Reise nach Seoul und Peking Kann Habeck einen Handelskrieg mit China verhindern?
20.06.2024, 06:04 Uhr
Ein bisschen EM-Atmosphäre im Flugzeug nach Asien: Habeck spricht mit den mitreisenden Journalisten. Fußball wurde auch geguckt - allerdings gab es nach dem 1:0 keinen Empfang mehr.
(Foto: dpa)
Robert Habeck ist zu Besuch in Südkorea und China. Der erstmalige Besuch des Bundeswirtschaftsministers in Peking wird von einem drohenden Handelskrieg überschattet. Weitere schwierige Themen deuten auf heikle Gespräche. Doch Habeck kommt nicht als Bittsteller.
Zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt reist der Bundeswirtschaftsminister erstmals zu Deutschlands wichtigstem Wirtschaftspartner neben den USA: nach China. Angesichts wachsender Spannungen zwischen Europa und China kommt Robert Habeck keinen Tag zu früh. Von einem drohenden Handelskrieg ist die Rede, nachdem die EU-Kommission Strafzölle auf staatlich subventionierte Elektroautos aus China angekündigt hat. Peking prüft im Gegenzug, Schweinefleischimporte aus Europa mit Sonderzöllen zu belegen. Der Redebedarf ist groß.
Die E-Autozölle sind bei Weitem nicht das einzige Konfliktthema. China subventioniert auch andere Sektoren stark, sodass europäische Unternehmen oder zumindest deren europäische Produktionsstätten unter Druck geraten. Dabei haben diese wegen der - vor allem in Deutschland - hohen Energiepreise ohnehin schon zu kämpfen. Die deutsche Photovoltaik ist auf diesem Weg bereits unter die Räder gekommen. Kurzfristig bekommt Europa zwar günstige Technologie. Gleichzeitig gerät Europas Energiewende aber in wachsende Abhängigkeit von China. Und ein Versprechen der Politik wackelt: neue Jobs durch die Transformation in Deutschland und Europa - und nicht in Fernost.
"Die Erfahrung der letzten Jahre ist, dass jedenfalls in den kritischen Bereichen eine zu große Abhängigkeit in einem Land, mit dem man auch in einer gewissen Wettbewerbs- oder Systemrivalität steht, ein Problem werden kann", sagt Habeck auf dem Rollfeld wartenden Journalisten vor dem Abflug. Gemeint sind weniger Deutschlands Importe als vielmehr die Tätigkeit deutscher Unternehmen in China. Seit Habecks Amtsübernahme stehen die Themen "Diversifizierung" und "De-Risking" weit oben auf der Agenda des Wirtschaftsministeriums. Die deutschen Unternehmen sollen sich breiter aufstellen - in ihren Absatzmärkten, Produktionsstandorten, Lieferketten und Rohstoffquellen. "Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß", sagte Habeck im November 2022 im Interview mit ntv.de.
Vor allem Mittelständler sind jetzt risikobewusster
Vor seinem Abflug konstatiert der Grünen-Politiker, die deutsche Wirtschaft habe die Notwendigkeit zur Diversifizierung "vollständig verstanden". Das zeigten die Investitionen deutscher Unternehmen, die anderswo stärker zugenommen hätten als in China. Tatsächlich ist das Bild bei näherer Betrachtung komplexer. Gerade die großen DAX-Konzerne BASF, BMW, Daimler und Volkswagen bleiben in China stark engagiert. Mittlere Unternehmen dagegen sind teilweise vorsichtiger geworden, auch weil ihnen die harschen Pandemiegesetze Chinas ein kaum für möglich gehaltenes Ausmaß an Rechtsunsicherheit vor Augen geführt haben.
Habeck erklärt den Sinneswandel von Teilen der deutschen Wirtschaft auch mit den eigenen Bemühungen um mehr Sensibilität in der Wirtschaft sowie mit von der Ampel geänderten Anreizsystemen. Das betrifft etwa die Frage, in welchem Umfang der Staat noch bereit ist, Investitionen in China abzusichern und was sich die Bundesrepublik dafür zahlen lässt. Zugleich werden Investitionen andernorts stärker gefördert.
Die Grünen hatten zusammen mit der FDP die von der Bundesregierung aufgesetzte China-Strategie mitgestaltet. Die SPD sah wirtschaftliche Verflechtungen weniger skeptisch als ihre neuen Regierungspartner. Dieser Konflikt brach vor bald zwei Jahren auch beim Streit um chinesische Beteiligungen am Hamburger Hafen durch. Die China-Strategie steht seit Sommer 2023. Darin stuft die Bundesregierung das Land als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen ein. China ist für Deutschland nie nur eines. Im Englischen gibt es für einen derart uneindeutigen Beziehungsstatus die Wortschöpfung "Frenemy" - Freund (friend) und Feind (enemy) zugleich.
Andersherum muss Peking mit Blick auf Deutschland zu ähnlichen Einschätzungen kommen. Feind: Habeck will auch über unangenehme Themen wie Menschenrechte sprechen. Aber das muss ja in China niemand zu hören oder zu lesen bekommen. Freund: Dafür aber ist Deutschland potenzieller Alliierter beim Ringen zwischen USA und China. Die Bundesrepublik hat mit Blick auf die in beiden Ländern produzierenden und verkaufenden deutschen PKW-Hersteller wenig Interesse an einem Zollkrieg zwischen beiden Supermächten. Überhaupt sind weder Habeck noch Bundeskanzler Olaf Scholz oder gar FDP-Chef Christian Lindner Freunde von Handelshemmnissen. Fair gestaltet müssen die Beziehungen aber schon sein.
Zölle werden sicherlich ein Thema
Habeck geht davon aus, dass während seiner Visite die Strafzölle der EU zur Sprache kommen. "Das wird sicherlich die Reise stark prägen", sagt er, weist aber darauf hin, dass die EU-Kommission die Verhandlungen führt. Sein China-Trip ist kommunikativ eng mit Brüssel abgestimmt. In Peking wird Habeck am Freitag von Handelsminister Wang Wentao und von Industrieminister Jin Zhuanglong empfangen. Zudem erwartet ihn der Vorsitzende der Staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), Zheng Shanjie.
Bei allen Gesprächen dürfte es um die Frage der Reziprozität gehen. Nicht nur subventioniert China - teils offen, teils verdeckt - ganze Industriezweige, bis diese anderswo kollabieren. Auch im Einzelhandel rückt China mit Billiganbietern wie Temu und Shein den Europäern höchst aggressiv auf die Pelle. Dagegen haben es westliche Unternehmen in China schwer, etwa beim Zugang zu öffentlichen Aufträgen und bestimmten Märkten.
Chinas Wirtschaft wächst langsamer
Peking könnte über die deutschen Wünsche hinweggehen, wenn es nicht selbst Probleme hätte. Das erwartete Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr liegt nach einer Prognose des Internationalen Währungsfonds bei für chinesische Verhältnisse schwachen 4,6 Prozent. In den beiden Folgejahren könnte dieser Wert unter 4 Prozent bleiben. Die Inlandsnachfrage schwächelt, die Bevölkerung altert rasant und die Immobilienkrise hält an. Peking müsste also ein Interesse an stabilen Handelsbeziehungen zu Europa haben, weshalb Brüssel mit den Sonderzöllen auf Elektroautos sich nun zutraut, ein Zeichen zu setzen: Wir müssen reden!
Habecks Gesprächszettel geht aber noch weiter: Er wird auch auf den Export von Dual-Use-Gütern zu sprechen kommen müssen - Produkte, die für zivile und kriegerische Zwecke eingesetzt werden können. Ohne Chinas zivile Technologieprodukte könnte Russlands Rüstungsindustrie nicht im selbem Umfang für den Krieg gegen die Ukraine produzieren. Chinas wachsende Öl- und Gasimporte spülen Geld in Wladimir Putins Kriegskasse. Und politisch hält sich China nicht nur raus, sondern stellt sich offen an Moskaus Seite. Zum jüngsten Versuch eines internationalen Friedensgipfels reiste kein Vertreter Pekings an. Dafür war Chinas Staatschef Xi Jinping kürzlich zu Besuch in Ungarn und Serbien, den beiden europäischen Ländern mit der größten Nähe zu Putin.
Der Bundesminister fasst vor dem Abflug seine Mission in typischer Habeck-Manier zusammen: "Eine anspruchsvolle Reise, die die verschiedenen Konflikte, die wir in dieser Zeit erleben, in einem Brennglas bündelt." Bevor er aber in Peking landet, geht es nach Seoul, Hauptstadt des Partnerlandes Südkorea. Die nach Westen orientierte Hightech-Demokratie teilt viele Perspektiven mit der Bundesrepublik: China ist Südkoreas wichtigster Handelspartner und wesentlich für die eigene Industrie. Wegen Chinas aggressiver Territorialpolitik und der Unterstützung für Nordkorea sucht Südkorea zugleich Distanz und Unabhängigkeit. Habeck und Premierminister Han Duck-soo haben bei ihrem Treffen an diesem Donnerstag also viel zu bereden.
Zudem kann wohl nur Besuch aus Deutschland nachvollziehen, was es heißt, über Jahrzehnte in einem geteilten Land zu leben. Habeck wird die demilitarisierte Zone besuchen, wo die Grenze zwischen Nord- und Südkorea verläuft. Auf der anderen Seite war dieser Tage auch ein wichtiger Gast zu Besuch: Putin.
Quelle: ntv.de