Keine Meloni, mehr Investitionen SPD zieht vor EU-Wahl rote Linien für von der Leyen


Von der Leyen und Scholz kommen miteinander gut aus - doch aus SPD-Sicht nicht um jeden Preis.
(Foto: picture alliance/dpa/Belga)
Ursula von der Leyen könnte EU-Kommissionspräsidentin bleiben. Dafür bräuchte sie aber die Stimmen der Sozialdemokraten. Kurz vor der Europawahl stellt die SPD fünf Forderungen an die künftige Kommission - und schiebt einer Kooperation mit rechtsradikalen Kräften einen Riegel vor.
Wenige Tage vor der Europawahl am 9. Juni stellt die SPD fünf Forderungen an die künftige EU-Kommission. Die von SPD-Chef Lars Klingbeil geleitete Internationale Kommission im SPD-Bundesvorstand spricht sich darin unter anderem für eine Vertiefung des Binnenmarkts, eine gestaltende Industriepolitik, mehr europäische Rüstungskooperation und eine Verzahnung der Energieversorgung aus. Das Vorstandspapier liegt ntv.de exklusiv vor.
Zudem bekräftigt die SPD in dem Papier ihre Haltung, die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht zusammen mit den Stimmen einer europafeindlichen Partei zu wählen. Die Christdemokratin hatte bisher offengelassen, ob sie sich im Falle knapper Mehrheiten auch auf die Stimme der Fratelli d'Italia stützen würde - der Partei der rechtsradikalen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. 2019 war von der Leyen mit den Stimmen der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen ins Amt gewählt worden.
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Lehren aus von der Leyens erster Amtszeit
"Eine Präsidentin oder einen Präsidenten der Europäischen Kommission, die oder der auf die Unterstützung der Feinde der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit baut, wird die europäische Sozialdemokratie nicht unterstützen", heißt es im SPD-Papier. Damit bekräftigt der SPD-Vorstand eine Erklärung der europäischen Sozialdemokraten von Anfang Mai, in dem eine Zusammenarbeit mit den Rechtsaußenfraktionen ID und EKR bereits abgelehnt wird. In diesen Fraktionen versammeln sich unter anderem die Partei der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen, die spanischen Rechtsextremisten Vox, Melonis Fratelli d'Italia, die polnische PiS und bis zu ihrem kürzlichen Rausschmiss aus der ID auch die deutsche AfD.
Vor allem Meloni gilt als mögliche Partnerin von der Leyens. Bislang hatte es die Kommissionspräsidentin abgelehnt, eine Zusammenarbeit mit der Italienerin auszuschließen. Dabei steht Meloni in ihrer Heimat in der Kritik, weil ihre Regierung die Pressefreiheit einzuschränken versucht und Italiens faschistische Vergangenheit unter dem Hitler-Verbündeten Benito Mussolini beschönigt.
Zudem erwarte die SPD "ohne Wenn und Aber", dass die kommende Kommission Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa schütze, heißt es in der SPD-Erklärung. Die SPD-Europaspitzenkandidatin Katarina Barley hatte in der Vergangenheit wiederholt von der Leyen Untätigkeit im Umgang mit Polens langjähriger Regierungspartei PiS oder der Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vorgeworfen. Beide hatten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in ihren Ländern geschliffen. Die Kommission konnte sich aber erst nach langem Zögern zu Vertragsverletzungsverfahren durchringen. Im Falle Polens ist das Verfahren nach Abwahl der PiS eingestellt.
SPD steht hinter Green Deal
Von der Leyen müsste entweder auf eine der größeren Rechtsaußenparteien oder aber auf die europäischen Grünen zugehen, sollten die Stimmen von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen keine ausreichend große Mehrheit gewähren. Konservative und Liberale stellen insbesondere den Green Deal der Kommission infrage, also den Umbau Europas auf weitgehend CO2-freies Wirtschaften. Die europäischen Sozialdemokraten und noch stärker die Grünen pochen dagegen darauf, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Auch die SPD hält in ihren fünf Forderungen an dem Ziel fest, "dass Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt wird". Europa könne so "zum führenden Wirtschaftsraum für Klimatechnologien und Erneuerbare Energien werden". Ferner wollen die deutschen Sozialdemokraten eine Weiterentwicklung der Energieunion: Ausbau und gemeinsame Nutzung von Strom- und Wasserstoffnetzen sowie Stromspeichern sollen vorangebracht werden. Das trage nicht nur zur Dekarbonisierung bei, sondern mache Europa auch unabhängiger von Lieferanten fossiler Energieträger wie Öl und Gas und führe langfristig zu niedrigeren Energiepreisen.
Echter Binnenmarkt soll Potenziale freisetzen
Mehr Wettbewerbsfähigkeit ist auch das Ziel hinter der SPD-Forderung nach einem "Jacques Delors Plan 2.0". Der langjährige EU-Kommissionspräsident war Ende der 1980er Jahre Architekt einer Reihe von Maßnahmen zur Integration und Angleichung des EU-Binnenmarkts. Dieser müsse nun weiter vertieft werden, fordert die SPD.
Seit Jahren kommt etwa die Kapitalmarktunion nur stockend voran. Dabei geht es unter anderem um eine Angleichung von Investitionsregeln in den 27 Mitgliedstaaten, damit vorhandenes Kapital künftig länderübergreifend fließen kann. Noch bremsen unterschiedliche Vorgaben den Kapitalfluss von einem EU-Land ins andere. Ferner fordert die SPD eine Investitionsstrategie und eine bessere Wettbewerbspolitik für Zukunftsindustrien, es brauche weniger Bürokratie und ein vereinfachtes Einwanderungsrecht für Fachkräfte.
Das Forderungspapier deckt sich in weiten Teilen mit der Rede, die Klingbeil im Oktober auf der Tiergartenkonferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gehalten hatte. Darin war der Parteivorsitzende auch auf die notwendigen öffentlichen Investitionen zur Dekarbonisierung und Modernisierung von Europas Wirtschaft eingegangen. "Zur Finanzierung der Transformation bin ich auch bereit, die Diskussion über europäische Einnahmen und gemeinsame Schulden zu führen", sagte Klingbeil damals.
Eigene EU-Einnahmequellen oder gemeinsame Schulden finden sich unter den fünf Forderungen an die Kommission nicht. Das nach der Pandemie aufgesetzte NextGenEU-Paket enthielt einen 723 Milliarden Euro schweren Fonds, der zur Hälfte über erstmals gemeinsam aufgenommene Schulden gefüllt wurde. Die Mittel stehen noch bis einschließlich 2026 zur Verfügung, auch weil bislang nur ein Drittel der Summe an die Mitgliedstaaten ausgezahlt wurde.
Gemeinsam verteidigen, gemeinsam rüsten
Fünftes SPD-Thema neben Wettbewerbsfähigkeit, Klimaneutralität, Energieunion und Verteidigung der Demokratie ist die Forderung, "die Sicherheitsunion Europa voranzutreiben". Die EU-Staaten sollen demnach mehr Rüstungsgüter gemeinsam beschaffen, gemeinsam forschen und entwickeln sowie mehr darauf achten, dass verschiedene Waffensysteme zusammen eingesetzt werden können. Die SPD will zudem die europäische Rüstungsindustrie gestärkt sehen.
Die SPD-Vorschläge zur Verteidigungsunion decken sich weitgehend mit den Vorstellungen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz in der vergangenen Woche präsentiert haben. Beide sprachen sich zudem für die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in den Bereichen der Außen- und Fiskalpolitik aus, wie sie auch die SPD von der Kommission fordert. Bislang gilt in diesen Bereichen das Einstimmigkeitsprinzip, was insbesondere notorischen Quertreibern wie Orbán sehr viel Verhandlungsmacht verleiht.
Die europäischen Sozialdemokraten bilden mit 139 von 751 Abgeordneten die zweitgrößte Fraktion im Europaparlament. In der sozialdemokratischen Fraktion stellt die SPD mit 16 Abgeordneten die zweitgrößte Ländergruppe hinter den spanischen Sozialisten.
Quelle: ntv.de