Rechte Ränkespiele in der EU Le Pen flirtet mit Meloni, von der Leyen aber auch


Inniges Verhältnis oder Zweckbündnis? So oder so sind Meloni (l) und von der Leyen aufeinander angewiesen.
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Neue Machtoption für Italiens Ministerpräsidentin Meloni: Die französische Rechtspopulistin Le Pen bietet ihr eine Zusammenarbeit im Europaparlament an. Mit dieser Kooperation würde Meloni viel riskieren. Die große Verliererin aber wäre EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.
Dieses Angebot birgt Tücken. Die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen lädt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein, mit ihr in der Europäischen Union zusammenzuarbeiten. "Jetzt ist der Moment, um sich zu vereinen", sagte Le Pen vom Rassemblement National (RN), dem früheren Front National, am Wochenende der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". Le Pen träumt von der "zweitgrößten Fraktion im Europäischen Parlament", falls sie mit Melonis Partei Fratelli d'Italia gemeinsame Sache machen darf. Doch Meloni würde viel riskieren, nähme sie Le Pens Angebot an.
Für Meloni stellt sich die Frage: Gibt sie für die Stärkung des rechten Rands im Europaparlament ihr mühsam aufgebautes Image auf? Seit ihrem Amtsantritt bemüht sie sich, in der EU eher als gemäßigte Konservative aufzutreten - und nicht als die Postfaschistin, die sie ist. Dafür pflegt sie demonstrativ ein gutes Verhältnis zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Auch von der Leyen profitiert von einer engen Beziehung zu Meloni. Sie macht inzwischen keinen Hehl mehr daraus, dass sie bei der Europawahl in knapp zwei Wochen auch auf die Fratelli d'Italia setzt. Meloni könnte zu von der Leyens Königsmacherin werden. Für ihre Wiederwahl zur EU-Kommissionspräsidentin braucht von der Leyen nicht nur die Zustimmung vom Rat der Staats- und Regierungschefs. Sie ist auch auf die absolute Mehrheit im Europaparlament angewiesen. Wie knapp es werden kann, weiß von der Leyen noch von der letzten Wahl 2019. Damals bekam sie nur neun Stimmen mehr, als sie brauchte.
Le Pen will vom Schmuddel-Image loskommen
Doch es gibt Grenzen für von der Leyen auf der Suche nach Mehrheiten. So lehnt sie eine Kooperation mit Le Pens RN ab. Ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen Meloni und Le Pen wäre deshalb für von der Leyen ein Schreckensszenario. Sie könnte weder ihrer Europäischen Volkspartei noch potenziellen Koalitionspartnern links der Mitte erklären, warum sie mit Meloni kooperiert, wenn die sich mit Le Pen ins Bett legt.
Len Pens Rassemblement National gehört im Europaparlament der Fraktion Identität und Demokratie (ID) an. Die Fraktion besteht zum überwiegenden Teil aus europafeindlichen Rechtsextremisten. Sie beheimatet etwa die österreichische FPÖ, die Lega aus Italien - und bis vor Kurzem die AfD. Le Pen sorgte dafür, dass die AfD vergangene Woche aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurde. Grund waren die verharmlosenden Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah über die Waffen-SS in einer italienischen Zeitung.
Nach dem AfD-Rausschmiss ist Le Pens Charmeoffensive gegenüber Meloni ein logischer Schritt. Zum einen verliert die ID-Fraktion durch den Abgang der Deutschen Sitze im Parlament und damit einen Teil ihrer Macht. Zum anderen setzt Le Pen mit dem Rauswurf ein klares Zeichen: Sie möchte von ihrem Schmuddel-Image der Rechtsradikalen loskommen, genauso wie Meloni. Dafür gibt es kaum ein besseres Mittel als die Annäherung an ihr Vorbild, zumal die Parteien der beiden Frauen laut Umfragen bei der Europawahl mit wesentlich mehr Sitzen als bislang rechnen können.
EVP-Chef Weber umgarnt Meloni schon lange
Melonis Fratelli d'Italia könnten künftig 25 statt bislang neun Abgeordnete stellen. Im Europaparlament ist sie Teil der EKR-Fraktion, die etwas gemäßigter ist als ihre Sitznachbarn von der ID. Die Nationalkonservativen in der EKR zeigen sich zum überwiegenden Teil konstruktiv bei der Ukraine-Politik und stehen hinter der NATO. Meloni könnte in der Fraktion das Zepter übernehmen. Bislang ist dort die polnische PiS die stärkste Partei.
Diese Entwicklung hat Manfred Weber, der Vorsitzende der EVP-Fraktion, vorausgeahnt. Die EVP ist die Fraktion der Konservativen und Christdemokraten im Europaparlament. Die Unionsparteien und somit auch Ursula von der Leyen gehören ihr an. CSU-Politiker Weber umgarnt Meloni, seit sie 2022 ins Amt gekommen ist. Weber schuf in der EU seine eigene Brandmauer nach rechts. Eine politische Zusammenarbeit machen er und von der Leyen von drei Bedingungen abhängig: Die potenziellen Partner müssen für die EU sein, für Rechtsstaatlichkeit und für die Ukraine.
Diesen drei Kriterien entsprechen die Fratelli. Meloni zeigte sich äußerst kooperativ im Rat und versichert immer wieder ihre bedingungslose Unterstützung für die kriegsgebeutelte Ukraine. Ihre Strategie geht bislang auf. Nach der Wahl kann sie sich wohl aussuchen, ob sie Len Pen oder von der Leyen stützen will. Meloni wartet jetzt zunächst einmal die Ergebnisse der Wahl ab. Sie hält sich alle Optionen offen.
Meloni hält auch Orban die Tür in die Fraktion auf
In einem Fernsehinterview antwortete sie auf Le Pens Offerte, sie könne sich eine Zusammenarbeit vorstellen. "Mein Ziel ist es, eine alternative Mehrheit aufzubauen, eine Mitte-rechts-Mehrheit, und die Linke auch in der EU in die Opposition zu schicken", sagte Meloni. Eine feste Zusage ist das aber noch nicht.
In den letzten Wochen fiel Meloni jedenfalls mit zunehmend europaskeptischen Aussagen auf, die von der Leyen nicht gefallen dürften. Vor Kurzem etwa warnte sie vor der Ausrichtung der EU als "bürokratischem Superstaat". Und sie hält nicht nur für Le Pen die Tür in ihre Fraktion offen. Meloni überlegt auch laut, ob sie die Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in die EKR aufnehmen will. Das wäre das zweite mögliche Schreckensszenario für von der Leyen. Ihre EVP warf Fidesz 2021 aus der Fraktion, weil Orban den Rechtsstaat in Ungarn zertrümmert hatte.
Schließlich sind da noch die Fraktionen, mit denen die EVP bislang ein informelles Bündnis für Mehrheiten bei Gesetzesvorhaben pflegt: die liberale Renew-Fraktion und die sozialdemokratische SD-Fraktion. Die Sozialdemokraten drohen von der Leyen, gegen sie zu stimmen, falls sie mit Meloni kooperiert. Die SD hat in ihrer "Berliner Erklärung" eine Brandmauer festgelegt, die sowohl eine Zusammenarbeit mit der EKR als auch der ID ausschließt. Nicht alle Parteien in der SD-Fraktion stimmen dieser Brandmauer zu, die SPD allerdings schon. Die deutschen Sozialdemokraten haben von der Leyen bereits bei der letzten Wahl die Stimme verweigert. Am Ende kann es wieder knapp werden.
Quelle: ntv.de