Wichtigste EU-Spitzenkandidaten Zwei können Kommissarin werden, einer muss sich verstecken


Viele Parteien werben wenig bis gar nicht mit ihren kaum bekannten Spitzenkandidaten.
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Die Europawahl rückt näher, doch nur wenige der Spitzenkandidaten deutscher Parteien sind den Wählern bekannt. Dabei haben die aussichtsreichsten Männer und Frauen je ihre ganz eigene spannende Ausgangslage: Zwei Frauen haben Aussichten auf den deutschen Kommissar-Posten, eine steht Kanzler Scholz nur auf den Wahlplakaten sehr nah, einer fordert CSU-Chef Söder heraus, drei wären echte Newcomer im Europaparlament. Und einer tritt im Wahlkampf nicht mehr auf. ntv.de stellt die Kandidaten und Kandidatinnen vor.
Ursula von der Leyen, CDU
Ursula von der Leyen hat gegenüber den meisten anderen Spitzenkandidaten zur Europawahl einen klaren Vorteil: Man kennt sie. Jahrelang war sie Ministerin unter Angela Merkel, doch ihr Amt als Kommissionspräsidentin ist die Krönung ihrer Karriere. Es ist ihr gewissermaßen auf den Leib geschrieben. Sie wurde in Brüssel geboren und verbrachte dort ihre Kindheit. Ihr Vater Ernst Albrecht hatte verschiedene Posten bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der EU. Später war er 14 Jahre Ministerpräsident Niedersachsens. Von der Leyen spricht fließend Französisch und Englisch, ist weltgewandt - und politisch flexibel.

Von der Leyens Klima- und Wirtschaftspolitik ist in der CDU umstritten, dennoch ist sie Kandidatin der Partei.
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Einerseits ist sie anschlussfähig an die Grünen, hat mit dem "Green Deal" ein ehrgeiziges und milliardenschweres Klimaschutzprogramm für Europa gestartet. Die Grünen stützen sie bei manchen Vorhaben auch im Europaparlament. Noch zumindest, denn längst hat von der Leyen auch die Fühler in die Grauzone zwischen Rechtskonservativ und Rechtsradikal ausgestreckt. Ein Bündnis mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und ihrer umstrittenen Partei Fratelli d’Italia schließt sie nicht aus, wenn die drei Bedingungen - pro Ukraine, pro Rechtsstaat, pro USA - erfüllt sind.
In den eigenen Reihen löst von der Leyen aber wenig Begeisterung aus. Die CDU wurde nie so richtig mit ihr warm. Im Wahlkampf hängte die CDU lange keine Plakate mit ihrem Bild auf. Doch die Union hat für sich einen Weg gefunden, wie sie ihre Spitzenkandidatin unterstützen kann. Man betont jetzt gern, dass sie Deutsche ist. Da wird die Rückendeckung zur patriotischen Pflichtübung.
Terry Reintke, Bündnis90/Die Grünen
Sie ist erst 37 Jahre alt, aber schon seit zehn Jahren Europaabgeordnete und als Vorsitzende der Europafraktion auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen. Dennoch ist Reintke in Deutschland wenigen ein Begriff, was sich aber bald ändern könnte: Sollte Ursula von der Leyen nicht erneut Kommissionspräsidentin werden, muss Deutschland einen neuen deutschen Kommissar vorschlagen. Diesen oder diese zu bestimmen, ist laut dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung das Recht der Grünen.

Zog vor zehn Jahren im Alter von 26 ins Europaparlament ein und führt nun die europäischen Grünen an: Terry Reintke.
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Doch Reintke will von der Leyen unter bestimmten Bedingungen im Amt halten: Die Kommissionspräsidentin braucht für ihre Wiederwahl voraussichtlich neue Unterstützer im Europaparlament - neben Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen. Die Grünen wollen den Green Deal der Kommission retten. Der könnte deutlich zusammengestrichen werden, ließe sich von der Leyen lieber von einer Rechtsaußenpartei wie Italiens Fratelli d'Italia mitwählen. Denen wiederum dürfte Reintke ein Dorn im Auge sein: Die mit einer französischen Politikerin liierte Grüne setzt sich seit Jahren für Gleichstellung und Diversität ein.
Katharina Barley, SPD
Zwar ist sie SPD-Spitzenkandidatin. Doch Katarina Barley steht Bundeskanzler Olaf Scholz nur auf den Wahlplakaten, auf denen sie gemeinsam abgebildet sind, sehr nah. Vielleicht liegt das auch an den unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen der beiden. Während Barley einen Empathie-betonten Politikstil pflegt, hält Scholz Distanz.

Viktor Orban hat schon einmal persönlich gegen sie Kampagne gemacht: SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley.
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In Interviews zeichnet Barley natürlich ein anderes Bild und lobt die gute Zusammenarbeit mit Scholz. Oft betont sie, dass zwischen den beiden mehr Harmonie herrsche als zwischen dem Unions-Dreiergespann von der Leyen, Weber und CDU-Chef Friedrich Merz. Generell kann sie sich Spitzen gegen von der Leyen oft nicht verkneifen. Ein weiterer politischer Gegner Barleys sitzt in der Budapester Burg. Gegen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban fährt die Juristin einen harten Kurs - vor allem, wenn es darum geht, ihm EU-Subventionen zu streichen. Als Sozialdemokratin sieht sie es als eine ihrer Hauptaufgaben an, gegen die Korruption und Orbans Rechtsstaatsverletzungen in Ungarn vorzugehen.
Maximilian Krah, AfD
Maximilian Krah hat es mit Leichtigkeit zum bekanntesten der deutschen Spitzenkandidaten nach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschafft. Dabei führt der 54-Jährige nur noch formal die Europawahlkampagne der AfD an. Um seine Partei nicht noch weiter herunterzuziehen, tritt er im Wahlkampf nicht mehr auf. Der Jurist Krah machte nicht nur Schlagzeilen mit einem unter Spionageverdacht für China stehenden Mitarbeiter. Auch seine eigene Lobbyarbeit für China und Russland geriet im Zuge der Affäre in den Blickpunkt.

Maximilian Krah entpuppte sich für die AfD als maximale Katastrophe.
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Zudem äußerte sich Krah wiederholt frauenfeindlich und relativierte die Verbrechen des Nationalsozialismus: Im Gespräch mit einer italienischen Zeitung beharrte er darauf, dass es viele SS-Mitglieder mit reiner Weste gegeben hätte. Ob aus Empörung oder Kalkül: Die AfD flog hernach auf Wunsch der Französin Marine Le Pen aus der gemeinsamen Europafraktion ID. Krah hat die im Winter noch im Umfragehoch schwebende AfD so nicht nur Stimmen gekostet. Er hat sie auch um viele Millionen Euro gebracht, die eine Zugehörigkeit zu einer Fraktion im Europaparlament mit sich bringt.

Weber ist Vorsitzender der konservativen europäischen Parteienfamilien EVP.
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Manfred Weber, CSU
Manfred Weber ist der Spitzenkandidat der CSU - man muss fast schon sagen: nur der CSU. Bei der Europawahl 2019 war er noch Spitzenkandidat der gesamten Europäischen Volkspartei (EVP), der konservativen Parteienfamilie im EU-Parlament. Weber wollte Präsident der EU-Kommission werden. Er bekam auch die meisten Stimmen, doch wurde er eiskalt abserviert. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll gegen Weber gewesen sein und stattdessen Ursula von der Leyen durchgesetzt haben.
Weber nahm den Tiefschlag hin und blieb im Europaparlament, als Fraktionschef der EVP. Seit 2022 ist er auch deren Vorsitzender. Im Wahlkampf gibt sich der 51-Jährige sportlich und nicht nachtragend. Er zeigt sich als leidenschaftlicher Europäer, dem es um die Sache geht. Aktuell ist das vor allem eine strengere Migrationspolitik oder auch eine Überprüfung des Verbrenner-Verbots. Im Parlament managt er die Zusammenarbeit der EVP mit Sozialdemokraten und Liberalen. Auch die Grünen sind ab und zu Teil der informellen Koalition. Wegen Themen wie Migration und Verbrenner-Verbot ist die Freundschaft mit ihnen aber erkaltet.
Stattdessen suchte Weber neue Freunde und fand sie in Italien. Schon früh besuchte er Italiens rechtsradikale Premierministerin Giorgia Meloni. Dafür handelte er sich Kritik ein, unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Doch der ist mittlerweile selbst nach Rom gereist. Eine Zusammenarbeit knüpfen Weber und die Union an drei klare Bekenntnisse: Zur Rechtstaatlichkeit, zur Ukraine und zum Bündnis mit den Amerikanern. Alles drei sei bei den Fratelli d’Italia, Melonis Partei, gegeben, sagt Weber.
Am Wahltag winkt ihm noch eine andere Pointe: Weber könnte in seiner bayerischen Heimat auf über 40 Prozent kommen und damit das Ergebnis der CSU bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr übertreffen. Es wäre ein kleiner Triumph für den stets bedächtig und sachlich auftretenden Weber gegenüber dem Zampano Söder in der Staatskanzlei.

Strack-Zimmermann will ihren Kampf für das Überleben der Ukraine nach Europa tragen.
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Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP
Lange kannten Marie-Agnes Strack-Zimmermann außerhalb ihrer Heimatstadt Düsseldorf wohl nur ausgewiesene FDP-Kenner. Doch das änderte sich in der laufenden Legislaturperiode. Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses profilierte sie sich als besonders entschlossene Fürsprecherin der Ukraine - und als Kritikerin von Kanzler Olaf Scholz. Der bekam gerade erst wieder eine volle Breitseite ab. In einem Interview bescheinigte Strack-Zimmermann ihm "autistische Züge" - wofür sie sich entschuldigte. Allerdings nicht beim Kanzler, sondern bei den Autisten.
Sie sei übers Ziel hinausgeschossen, teilte sie mit. So etwas ist durchaus typisch für sie. Ihr Markenzeichen ist ihre Schlagfertigkeit, die manchmal mit ihr durchgeht. In Berlin hinterlässt sie vielleicht nicht gerade verbrannte Erde, aber manch einer dürfte auch aufatmen. Strack-Zimmermann war unbequem, stimmte auch mal gegen die eigene Fraktion, etwa in der Frage der Lieferung des Marschflugkörpers Taurus.
Für Brüssel hat sie sich zwei besonders dicke Bretter vorgenommen: Verteidigung und Bürokratieabbau. Die Europapolitik kann Politikerinnen wie sie gut gebrauchen - sie ist eine, die durchdringt und erklären kann, was da in Brüssel überhaupt getrieben wird. Andererseits: Mit Draufhauen und flotten Sprüchen erreicht man in Brüssel wenig. Dort ist eher Diplomatie gefragt.
Carola Rackete, Linke
Als Kapitänin und Seenotretterin hat sie die Weltmeere bereist. Als Ökologin nahm sie an mehreren Polarexpeditionen teil. Jetzt will Carola Rackete als Spitzenkandidatin der Linken in ein Brüsseler Büro einziehen - obwohl sie kein Parteibuch hat. Dort warten schwierige Aufgaben auf sie. Rackete trägt das Schicksal der im freien Fall befindlichen Linken auf ihren Schultern. In Umfragen des RTL/ntv-Trendbarometers zur Bundestagswahl liegt die Linke inzwischen nur noch bei drei Prozent Zustimmung. Damit fällt sie aus der Einzelwertung und wird unter sonstige Parteien gezählt.

Entkam knapp dem italienischen Gefängnis und zieht wohl nur knapp ins Europarlament ein: Carola Rackete.
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Beschleunigt hat diese Entwicklung Sahra Wagenknecht, Ex-Fraktionschefin der Linken. Mit der Gründung ihrer Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) warb sie sowohl Abgeordnete als auch Wähler von den Linken ab. Während Wagenknecht konsequent auf Begrenzung von Migration setzt und den angeblichen Snobismus der von ihr sogenannten "Lifestyle-Linken" anprangert, steht Rackete für Antidiskriminierung und verstärkten Klimaschutz. Den Einzug ins Parlament wird Rackete mit ihrer Agenda zwar schaffen, weil es bei der Europawahl noch keine Prozenthürde in Deutschland gibt. Angesichts der schlechten Umfrageergebnisse werden sie aber nur wenige Linken-Abgeordnete begleiten.
Fabio De Masi, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
Für das Bündnis Sahra Wagenknecht ist die Europawahl ein Stimmungstest. Erst zu Jahresanfang gegründet, kann die Partei hier ihre Chancen für die kommenden Land- und Bundestagswahlen ausloten. Abgeworben hat die Vorsitzende Wagenknecht dafür einige bekannte Gesichter von den Linken, deren Fraktionsvorsitzende sie einst war. Darunter: Fabio De Masi, der sich schon in seiner früheren Partei einen Ruf als ausgewiesener Experte für Finanzpolitik erarbeitet hat.

De Masi hat sich einen Namen in Untersuchungsausschüssen gemacht, bevor er erst den Bundestag und dann die Linke verließ.
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Verteilungspolitik ist auch ein Schwerpunkt im Wahlprogramm des BSW. Dabei grenzt es sich klar von der Linken ab: Es fordert es mehr Sozialleistungen, aber nicht für Asylbewerber. Das Ziel des BSW ist, Migration einzudämmen. Außenpolitisch orientiert sich die Partei eher an Russland als an den USA. De Masi fällt immer wieder mit NATO-kritischen Positionen auf. Er verurteilt zwar Moskaus Angriffskrieg auf die Ukraine, sieht aber eine "Vorgeschichte": Die NATO hätte aus seiner Sicht nicht erweitert und somit näher an Russlands Grenzen geschoben werden dürfen. Dies habe Moskau provoziert.
Quelle: ntv.de