Rede zur Vertrauensfrage Scholz will mehr Schulden, basht FDP - Merz: Unverschämtheit!


Erst zum sechsten Mal überhaupt stellt ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage. Olaf Scholz modelt sie vom formalen Akt zur Vertrauensfrage für die Bürger. Er breitet seine Wahlkampfmessage aus, wirbt für die Lockerung der Schuldenbremse. CDU-Chef Merz rastet anfangs fast aus.
Eigentlich ist Olaf Scholz an diesem Mittag im Bundestag nur in einem Punkt wiederzuerkennen: Er übt keinerlei Selbstkritik. In seiner Rede zur Vertrauensfrage, die er an diesem 16. Dezember etwas später stellen wird, gibt es nur einen Moment, der ein wenig danach klingt. "Diesen Schaden bedaure ich zutiefst", sagt er und meint damit den Schaden, den der ständige Streit in der Ampelkoalition der Demokratie insgesamt beigefügt habe.
Doch Schuld daran sei nicht die SPD, sondern die FDP, und zwar ausschließlich. Er habe die Uneinigkeit in der "von mir geführten Regierung nicht länger dulden" können, sagt der Kanzler. Die Unionsparteien hätten da eine andere Lesart - sie warfen Scholz stets vor, den Streit viel zu lange laufengelassen zu haben.
Der Kanzler fährt immer schwerere Geschütze auf: Für den Eintritt in eine Regierung bedürfe es der "notwendigen sittlichen Reife", sagt er und wirft der FDP "wochenlange Sabotage" der eigenen Regierung vor. Schon als er FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister entließ, äußerte er sich in ähnlicher Weise. Die Strategie dahinter: Sämtlichen Unmut über die Ampel bei der FDP abladen. CDU-Chef Friedrich Merz nennt das in seiner direkten Antwort auf Scholz eine "blanke Unverschämtheit" gegenüber Lindner.
Trotzdem aufregende Debatte
Doch das FDP-Bashing ist nur der Einstieg in Scholz' Rede, die er vor der Vertrauensfrage hält. Seit am 6. November die Ampel-Regierung zerbrochen war, wartete das Land auf diesen Moment. Der Kanzler stellt die Vertrauensfrage, um sie zu verlieren. Mit voller Absicht - denn nur dieses Nadelöhr sieht das Grundgesetz vor, um Neuwahlen herbeizuführen. Erst zum sechsten Mal überhaupt greift ein Bundeskanzler seit 1949 zu diesem Mittel. So ist es ein historischer Tag. Und doch ist der Akt vor allem eine Formalie auf einem längst eingeschlagenen Weg. Die Neuwahlen sollen am 23. Februar abgehalten werden, das ist längst bekannt.
Aufregend ist die Rede mitsamt Debatte trotzdem. Denn spätestens jetzt beginnt der Wahlkampf. Das merkt man auch dem Kanzler an. Wie schon bei anderen Auftritten seit dem Ampel-Ende, ist Scholz wie ausgewechselt. Der "Scholzomat" ist Geschichte - plötzlich versteht man, was der Kanzler sagen will, die Worte sitzen. Herausforderer Merz findet ebenfalls klare Worte: Im Anschluss an Scholz' Rede erklärt er den Kanzler zum gescheiterten Mann von gestern.
Die Vertrauensfrage deutet Scholz um - vom formalen Akt im Bundestag zu einer Bitte an die Wählerschaft: "Die Vertrauensfrage lautet: Trauen wir uns zu, als starkes Land in unsere Zukunft zu investieren?" Diese Investitionen, das wird schnell deutlich, sollen auf Pump finanziert werden - über eine Lockerung der Schuldenbremse. Oder wie Scholz sagt: "indem wir die Schuldenregel im Grundgesetz klug modernisieren". Er schlägt eine "maßvolle Öffnung" vor, die auf Investitionen begrenzt sei.
Mindestlohn, Rente, Taurus
Deutschland braucht jetzt Investitionen in die Infrastruktur, das sei das größte Problem der Wirtschaft, wie Fachleute bestätigten. "Alle raten dazu, haben die alle keine Ahnung?", fragt er. "Wenn es ein Land gibt, das es sich leisten kann, in die Zukunft zu investieren, dann sind wir das", fügt er hinzu. Die meisten G7-Staaten hätten Schulden oberhalb von 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die deutschen Schulden sänken dagegen Richtung 60 Prozent. Was, Ironie der Geschichte, auch Ex-Finanzminister Lindner zu verdanken ist. Der stand bei neuen Schulden stets auf der Bremse.
Scholz spult dann sein Wahlprogramm ab, das sich schon seit Wochen abzeichnet. Die Renten sollen stabil bleiben, der Mindestlohn auf 15 Euro steigen, die bereits reduzierte Mehrwertsteuer für Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent sinken. Im Gesundheitssystem solle es keine Kürzungen geben, stattdessen müssten mehr Leute einzahlen. Das alles wirkt wie die Neuauflage des "Respekt"-Wahlkampfes von 2021 und Scholz räumt das selbst ein. Respekt verdienten auch alle, die hart für Mindestlohn arbeiten, nicht nur "die oberen Zehntausend". Scholz, der Kämpfer für die kleinen Leute, der Sozi mit flammenden Herzen - das soll hier wohl die Botschaft sein. Zumutungen finden sich jedenfalls nicht in seiner Rede. Mit einer Lockerung der Schuldenbremse wären die ja auch nicht nötig.
Zur Ukraine sagt er, Deutschland solle zweitgrößter Unterstützer des von Russland angegriffenen Landes bleiben, nach den USA. Aber den Marschflugkörper Taurus will er nicht liefern. Die Unionsparteien halten sich dagegen diese Möglichkeit offen.
Merz: Waren Sie auf einem anderen Stern unterwegs?
CDU-Chef und Kanzlerkandidat Merz hält schwungvoll dagegen und versucht den Kanzler wieder einzufangen. "Sie hatten ihre Chance, Sie haben sie nicht genutzt", ruft er ihm entgegen. In den vergangenen 26 Jahren sei die SPD 22 Jahre an der Regierung gewesen. Scholz sei SPD-Generalsekretär, Finanzminister und Bundeskanzler gewesen. "Warum haben Sie das denn alles nicht gemacht? Wo waren Sie denn?" Und weiter: "Waren Sie auf einem anderen Stern unterwegs, sind Sie in einer anderen Welt unterwegs gewesen in den letzten 22 Jahren?"
Nach dem Ukraine-Krieg habe Scholz eine Zeitenwende gesprochen, doch nicht geliefert, sagt Merz. Nach dem Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hätte es eine zweite Gelegenheit gegeben, eine Zeitenwende zu vollziehen und Prioritäten im Haushalt zu setzen. In Brüssel sei Scholz ein Totalausfall. Wie Scholz auf EU-Ebene agiere, sei peinlich. "Sie blamieren Deutschland, es ist zum Fremdschämen, wie Sie sich in der EU bewegen."
Trotzdem: Scholz hat seine Hausaufgaben gemacht. Er stürmt mit seiner Rede in den Wahlkampf, unvorbereitet ist er jedenfalls nicht. Er macht die Wahl im Februar zu einer Richtungsentscheidung. Den Ampel-Ballast versucht er bei der FDP abzuladen und mit SPD pur seinen Überraschungserfolg von 2021 zu wiederholen. Fakt ist: Bis zum 23. Februar sind es nur noch zehn Wochen und seine Ausgangslage ist schlecht. Aber auch vor drei Jahren hielt kaum jemand einen Wahlsieg für möglich.
Quelle: ntv.de