Der Kriegstag im Überblick Selenskyj feuert Geheimdienstchef - Medwedew zetert gegen NATO
17.07.2022, 22:01 Uhr
Dieses von der russischen Staatsagentur Tass zur Verfügung gestellte Foto soll zerstörte Gebäude nach Kämpfen in der Region Donezk zeigen.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Die Tage von Iwan Bakanow als Leiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU sind gezählt. Präsident Selenskyj beruft ihn ab. Derweil rasselt der Vizechef des russischen Sicherheitsrates Medwedew wieder mit den Säbeln. Bei einem Veteranentreffen erklärt er die NATO und die Ukraine zu Bedrohungen für Russland. Der britische Armeechef warnt davor, die Treue der Kreml-Spitze gegenüber Präsident Putin zu unterschätzen. Im Donbass halten die Kämpfe um Slowjansk an. Das russische Militär behauptet, Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS vernichtet zu haben. In Berlin fordert die FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann Bundeskanzler Scholz in einem offenen Brief dazu auf, eine "Nationale Ukraine-Konferenz" einzuberufen. Der 143. Kriegstag im Überblick.
Selenskyj entlässt Geheimdienstchef und Generalstaatsanwältin
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zwei Schlüsselfiguren seiner Sicherheitsbehörden entlassen. In einem Erlass berief er den Chef des Geheimdienstes SBU, Iwan Bakanow, ab. Nach den vom Präsidialamt in Kiew veröffentlichten Erlassen wurde auch Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa entlassen. Ihre Funktion soll von Oleksij Simonenko übernommen werden. Begründungen wurden in den kurzen Dokumenten nicht gegeben. Auch ein Nachfolger für den Posten des Geheimdienstchefs wurde zunächst nicht genannt.
Bakanow ist enger Weggefährte Selenskyjs aus dessen Zeiten als Fernsehkomiker, er leitete den Geheimdienst seit 2019. Die Ukraine wehrt sich seit Februar gegen den russischen Angriffskrieg. Selenskyj hat in der Zeit so gut wie keine Personalwechsel vorgenommen.
Medwedew: NATO und Ukraine konstante Bedrohung für Russland
Die NATO und die Ukraine bleiben nach den Worten des Vizechefs des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, eine dauerhafte Bedrohung für Russland. Solange die NATO und die Ukraine die 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim nicht als Teil Russlands anerkennen, sei das eine Gefahr für das Land, sagte der frühere Präsident bei einem Treffen mit Veteranen in Wolgograd (früher Stalingrad). Sollte die Ukraine versuchen, die Halbinsel zurückzuerobern, werde über alle Ukrainer sofort das "Jüngste Gericht" hereinbrechen, "sehr schnell und schwer", drohte Medwedew.
"Wenn irgendein anderer Staat glaubt, sei es die Ukraine oder seien es die Staaten der NATO, dass die Krim nicht russisch ist, dann ist das für uns eine systematische Bedrohung", sagte er. Kremlchef Wladimir Putin hatte damit auch den am 24. Februar begonnenen Krieg gegen die Ukraine begründet. Medwedew sagte, dass die NATO-Staaten über Atomwaffen verfügten, die gegen Russland gerichtet seien. Wenn an der Spitze der Ukraine wieder "ein verrückter Nationalist oder irgendeine schwache ausführende Figur steht", dann sei das ein Risiko, dass der Konflikt eskaliere.
Britischer Armeechef: Angeblich schlechte Gesundheit Putins ist "Wunschdenken"
Spekulationen über einen schlechten Gesundheitszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin sind nach Einschätzung des britischen Generalstabschefs Tony Radakin Wunschdenken. "Einige der Kommentare, dass es ihm nicht gut geht oder dass ihn sicherlich jemand ermorden oder ausschalten wird, sind meiner Ansicht nach Wunschdenken", sagte Radakin dem Sender BBC.
Als professionelle Militärs sähen er und seine Kollegen "ein relativ stabiles Regime in Russland". Der Kreml-Chef habe es geschafft, "jede Opposition zu unterdrücken", sagte Radakin. "Niemand an der Spitze hat die Motivation, Präsident Putin herauszufordern." Über den Krieg sagte der Generalstabschef, dass Russlands Bodentruppen nach Rückschlägen in der Ukraine nun womöglich eine geringere Bedrohung darstellen könnten. Nach seinen Angaben wurden bereits 50.000 russische Soldaten im Krieg getötet oder verwundet. Zudem habe Moskau fast 1700 Panzer und rund 4000 gepanzerte Fahrzeuge verloren. Aber Russland sei "weiterhin eine Atommacht", sagte Radakin.
Russisches Militär: Haben Raketendepot zerstört und Hubschrauber abgeschossen
Die ukrainischen Streitkräfte haben in der Region Slowjansk im östlichen Gebiet Donezk nach eigenen Angaben erfolgreich Angriffe von russischer Seite abgewehrt. Es habe massiven Artilleriebeschuss auf militärische und auf zivile Infrastruktur in verschiedenen Ortschaften gegeben, teilte der Generalstab in Kiew mit. Der Feind habe aber keinen Erfolg gehabt, verzeichne viele Verluste und sei nach Gegenwehr der ukrainischen Seite wieder abgezogen. Das russische Militär hat nach eigenen Angaben bei den Angriffen zahlreiche von den USA und anderen NATO-Staaten gelieferte Waffen zerstört. In Odessa am Schwarzen Meer sei ein Depot mit Harpoon-Raketen und im Gebiet Donezk ein von den USA gelieferter Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS vernichtet worden, behauptete der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Experten weisen allerdings darauf hin, dass die HIMARS-Systeme nur schwer zu orten und zu zerstören seien.
Strack-Zimmermann: Ukraine-Konferenz für bessere "Übersicht" nötig
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, fordert von Kanzler Olaf Scholz, zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine "Nationale Ukraine-Konferenz" einzuberufen. Es sei dringend notwendig, die Karten auf den Tisch zu legen und dabei zu klären, was Deutschland aktuell leiste und wozu Bundeswehr, Industrie und Politik in den kommenden Wochen noch in der Lage seien, heißt es in einem Schreiben der FDP-Politikerin an den Kanzler. Die FDP-Politikerin plädiert für ein Treffen, bei dem Vertreter aus Politik und dem Bundeskanzleramt, der Rüstungsindustrie, den Gewerkschaften und der Bundeswehr an einem Tisch sitzen und weitere Schritte abstimmen. "Ziel soll es sein, sich eine geordnete Übersicht zu verschaffen, um die kommenden Schritte gezielt, einvernehmlich und gemeinsam in die Wege zu leiten", heißt es in dem Brief.
Ukraine: Fast 40.000 Russen gefallen
Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte meldete, dass seit Beginn des Krieges 38.300 russische Soldaten gefallen seien. Außerdem seien 1.684 Panzer und 3.879 Schützenpanzer zerstört worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Laut dem britischen Generalstabschefs Radakin seien bislang 50.000 Soldaten Moskaus getötet oder verwundet worden. Insgesamt hätten die russischen Streitkräfte 30 Prozent ihrer Landkampfeffektivität verloren, so Radakin gegenüber der BBC.
Scholz wirbt für "geopolitische Europäische Union"
Bundeskanzler Olaf Scholz setzt sich als Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg für eine stärkere und "geopolitische Europäische Union" ein. In einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt der SPD-Politiker, die EU müsse ihre Reihen auf allen Feldern schließen, auf denen sie bisher uneinig gewesen sei: "Bei der Migrationspolitik etwa, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz". Er kündigt dazu konkrete Vorschläge der Bundesregierung "in den nächsten Monaten" an.
Von russischer Rakete getötete Liza beigesetzt
Die vierjährige Liza, die durch einen russischen Raketenangriff in Winnyzja getötet wurde, ist im Beisein von Familienmitgliedern beigesetzt worden. Liza, die am Down-Syndrom litt, war mit ihrer Mutter auf dem Weg zu einem Logopäden, als russische Raketen am Donnerstag in der Stadt Winnyzja fernab der Front einschlugen. Mindestens 24 Menschen wurden getötet, darunter Liza und zwei Jungen im Alter von sieben und acht Jahren. Mehr als 200 wurden verletzt, darunter auch Lizas Mutter. Nach dem Raketenangriff gingen Fotos im Netz viral, die Lizas leblosen Körper neben ihrem blutverschmierten Kinderwagen auf dem Boden zeigen.
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Quelle: ntv.de, lve/AFP/dpa