Wie teuer wird die Gaskrise? Worauf sich Verbraucher einstellen müssen
17.07.2022, 17:26 Uhr
Wegen Wartungsarbeiten wird durch Nord Stream 1 kein Gas mehr aus Russland geliefert. Die Arbeiten sollen bis zum 21. Juli dauern. Ob Gazprom danach wieder liefert, ist offen.
(Foto: REUTERS)
Fließt durch die Pipeline Nord Stream 1 bald wieder Gas, oder nicht? Wenn nicht, wird der Engpass bei russischen Gaslieferungen zu weiteren Engpässen führen. Und das geht ins Geld. Zunächst spüren das die Versorger, mit zeitlichem Verzug dann aber auch die Verbraucher. Wie schlimm wird es?
Wie machen sich die höheren Einkaufskosten bei Gasimporten schon jetzt bemerkbar?
Nachdem die Gaspreise nach dem ersten Schock des Krieges im Frühjahr bis Mitte Juni auf hohem Niveau relativ stabil waren, sind sie seit Mitte Juni enorm gestiegen. Hintergrund sind die russischen Lieferkürzungen durch die Pipeline Nord Stream 1 - angeblich wegen technischer Probleme mit einer Turbine. Wegen der alljährlichen Wartung der Pipeline, die seit diesem Montag läuft, und den Unsicherheiten, wie es nach dem planmäßigen Abschluss der Arbeiten Ende kommender Woche weitergeht, ist der Preis am Terminmarkt zuletzt noch einmal nach oben geschossen – vergangene Woche binnen eines Tages zwischenzeitlich um acht Prozent auf 175 Euro je Megawattstunde.
Viele Gashändler müssen wegen der russischen Lieferkürzungen um rund 60 Prozent teureres Gas am Terminmarkt nachkaufen, um ihre Kunden weiter mit den zugesagten Mengen zu bedienen. Das geht ins Geld: Allein der Energiekonzern Uniper rechnet mit Mehrkosten im Gaseinkauf von bis zu 10 Milliarden Euro bis Jahresende, sollten die Preise auf ähnlichem Niveau verharren.
Was merken die Verbraucher davon?
Viele Gaskunden sehen bislang noch kaum etwas von den Entwicklungen am Gasmarkt auf ihrer Rechnung. "Die massiv steigenden Beschaffungskosten machen sich erst dann bei den privaten Haushalten bemerkbar, wenn deren meist einjährige Tarifbindung endet – oder wenn man umzieht und deswegen einen neuen Vertrag abschließen muss", bestätigt Lion Hirth, Energieökonom an der Hertie School und Gründer des Beratungsunternehmens "Neon Neue Energieökonomik". Auch Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach warnte davor, dass die massiven Preissteigerungen an den Terminmärkten mit Sicherheit auch auf die Endkunden durchlagen werden – wenn auch erst mit einer gewissen Verzögerung: "Es kommt eine sehr, sehr große Preiswelle auf die deutschen Verbraucher zu", sagte Maubach bei einer Pressekonferenz.
Was bedeuten die Änderung beim Energie-Sicherheitsgesetz jetzt für Verbraucher?
Um die Gasimporteure wie Uniper zu entlasten, soll das in der vergangenen Woche kurzfristig geänderte Energiesicherungsgesetz einen "Werkzeugkasten" mit verschiedenen Optionen bereitstellen. Vor allem zwei davon könnten Verbraucher direkt zu spüren bekommen: Entweder kann die Bundesregierung Versorgern erlauben, die gestiegenen Einkaufskosten kurzfristig entlang der Lieferkette an ihre Kunden weiterzugeben (Paragraf 24) – also von den betroffenen Importeuren an Zwischenhändler wie Stadtwerke und dann weiter an die Endkunden.
Als alternative Option ist künftig die Umlage der Mehrkosten auf alle Gasverbraucher in Deutschland möglich (Paragraf 26). Ersteres war nach den meisten Gasverträge auch regulär möglich – allerdings eben erst mit Verzögerung. Bei der zweiten Option geht es praktisch um einen Solidarbeitrag aller Gaskunden. Noch sind die beiden Mechanismen zur Preisweitergabe allerdings nicht aktiviert. Dafür müsste die Bundesnetzagentur erst einen erheblichen Gasmangel wegen dauerhaft unzureichender Gasimporte feststellen. Das könnte frühestens der Fall sein, wenn auch nach der regulären Wartungspause von Nord Stream 1 kein Gas aus Russland mehr nach Deutschland fließen sollte.
Wie stark dürfen die Versorger die Preise anpassen?
Laut dem Energiesicherungsgesetz dürfen Versorger die Preise auf ein "angemessenes Niveau" anheben. Verbraucherschützer kritisieren aber bereits, dass es dafür keine Deckelung gibt. "Die privaten Haushalte wären dann auch vor extrem hohen Gaspreisen nicht geschützt", befürchtet etwa Thomas Engelke, Energieexperte des Verbraucherzentrale Bundesverband. Das könne auch die Kunden treffen, die in ihrem Gasvertrag eine Preisgarantie haben. Bisher setzt die Bundesregierung aber vor allem darauf, die Energieunternehmen zu unterstützen, damit die Preiserhöhungen gar nicht erst zum Einsatz kommen müssen.
Wie hoch könnte die Gas-Umlage ausfallen?
Das lässt sich nicht genau beziffern und hängt maßgeblich von der Entwicklung der Liefermengen aus Russland und der Preise an den Terminmärkten ab. Zumindest eine Größenordnung nannte am Freitag Uniper-Chef Maubach, dessen Unternehmen als größter Gasimporteur des Landes auch die größten Gasmengen aus Russland ersetzen muss: Sollten die Zusatzkosten für die alternative Beschaffung an den Terminmärkten auf alle Gasverbraucher umgelegt werden, könnten laut Maubach 25 Euro je Megawattstunde anfallen. Berechnungsgrundlage für diese Zahl seien allerdings die Gaspreise von vor zwei Wochen, fügte er hinzu – in der Zwischenzeit haben die Preise am Terminmarkt weiter angezogen. Sollte der Bund dagegen mit einem hohen Milliardenbeitrag direkt bei Uniper einsteigen und substanzielle Anteile übernehmen, könnte das den Liquiditätsbedarf und die Höhe einer Umlage ein Stück weit reduzieren. Anders formuliert: Je mehr Steuergeld fließt, desto weniger dürften die Gasverbraucher vorerst belastet werden.
Welche Preissteigerungen drohen Gaskunden auf mittlere Sicht?
Wie stark die Turbulenzen am Gasmarkt auf die Verbraucher durchschlagen, hängt stark von den politischen Entwicklungen der nächsten Monate ab – in erster Linie von den Entscheidungen des Kreml über die künftigen Gaslieferungen von Gazprom nach Westeuropa. Schon jetzt gibt es erste Schätzungen zu den Belastungen, viele davon variieren allerdings. So erwarten Verbraucherschützer etwa für einen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Erdgas Zusatzkosten von 1000 bis 2000 Euro. Energieökonom Hirth rechnet ebenfalls mit einem deutlichen Anstieg für Verbraucher: "Eine Altbauwohnung oder ein unsaniertes Einfamilienhäuschen mit Gastherme hatte bisher schätzungsweise Heizkosten in Höhe von 100 Euro monatlich. Bei den aktuellen Börsenpreisen dürften die Kosten auf 300 bis 400 Euro ansteigen."
Dieser Artikel erschien zuerst bei Capital.de.
Quelle: ntv.de