
Es war ein "gutes Gespräch" mit der FDP. Mehr ist von Annalena Baerbock nicht zu erfahren.
(Foto: AP)
Vertraulichkeit ist das Gebot der Stunde: Über die Inhalte des Gesprächs zwischen den Spitzen von FDP und Grünen ist nichts bekannt. Nur ein Selfie dringt an die Öffentlichkeit. Und dabei wird es wohl auch erstmal bleiben - glaubt man den Beteiligten.
Es ist eine ureigene Fähigkeit im politischen Betrieb, keine konkreten Antworten auf konkrete Fragen zu geben. Diese Kunst erlebte nicht nur im Wahlkampf ihre Hochphase, sondern lässt sich besonders gut auch an diesem Mittwoch beobachten. Drei Tage nach der Wahl und wenige Stunde nach einem ersten Treffen von den Spitzen der FDP und Grünen ist nur so viel bekannt: Es gab ein Treffen. Wo es stattfand, wie lange es dauerte, wie die Atmosphäre war, was besprochen wurde: All das bleibt ein Geheimnis.
Auf entsprechende Fragen von Journalistinnen und Journalisten entgegnen FDP-Generalsekretär Volker Wissing und Grünen-Chefin Annalena Baerbock also einiges, ohne irgendetwas Substanzielles zu sagen. Nur so viel lässt sich Baerbock entlocken: "Wir hatten ein gutes Gespräch." Weitere Aussagen würden die vereinbarte Vertraulichkeit verletzen, fügt sie lächelnd an. Zuvor verkündet Wissing in einer separaten Pressekonferenz, man habe sich geeinigt, dem öffentlichen Interesse gerecht zu werden, indem man ein Bild von dem Treffen für sich sprechen lasse. Dessen Interpretation sei jedem Beobachter, jeder Beobachterin selbst überlassen.
Gemeint ist das fast schon ikonische Selfie, das die vier Gesprächspartner - neben Baerbock und Wissing waren das FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Chef Robert Habeck - am Dienstagabend auf Instagram teilten. "Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten." Das steht unter dem Schnappschuss und mehr ist erst einmal nicht zu erfahren. Auch auf mehrmalige Nachfragen der Hauptstadt-Journalisten nicht.
Nur so viel ist klar: Die Gespräche gehen weiter. Die Liberalen treffen sich am Freitag noch einmal "in größerer Runde" mit den Grünen. Im Anschluss stehen voraussichtlich am Samstag Sondierungen - diesen Begriff vermeidet Wissing allerdings tunlichst - mit der Union und am Sonntag schließlich mit der SPD an. Die Grünen wollen erst in der nächsten Woche mit der Union reden, kommen aber bereits am Sonntagabend mit den Sozialdemokraten zusammen. Zuvor, am Samstag, wollen sie auf einem kleinen Parteitag die weiteren Schritte bei den anstehenden Sondierungen festlegen. Dann soll auch feststehen, welches Personal in die Verhandlungen geht.
- Freitag, 1. Oktober: "Erste inhaltliche Gespräche" von FDP und Grünen
- Samstag, 2. Oktober: "Kleiner Parteitag" der Grünen, um Sondierungsgespräche vorzubereiten
- Sonntag, 3. Oktober: Gespräche der SPD zunächst mit der FDP, danach mit den Grünen
- Dienstag, 5. Oktober: Gespräche der Grünen mit der Union
Aufstellung der Verhandlungsteams
- SPD (6): Kanzlerkandidat Olaf Scholz, die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Fraktionschef Rolf Mützenich, Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Generalsekretär Lars Klingbeil
- CDU (10): Kanzlerkandidat und Parteichef Armin Laschet, Generalsekretär Paul Ziemiak, Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, die Ministerpräsidenten Volker Bouffier, Daniel Günther und Reiner Haseloff, die Partei-Vize Thomas Strobl, Julia Klöckner, Silvia Breher und Jens Spahn
- Grüne (10): die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Parteivize Ricarda Lang, die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth und der Europaabgeordnete Sven Giegold
- FDP (10): Parteichef Christian Lindner, Generalsekretär Volker Wissing, die Partei-Vize Nicola Beer und Johannes Vogel, Schatzmeister Harald Christ, Baden-Württembergs Landeschef Michael Theurer, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann, Parlamentsgeschäftsführerin Bettina Stark-Watzinger, Sachsen-Anhalts Fraktionsvorsitzende Lydia Hüskens und der EU-Parlamentarier Moritz Körner (Parteivize Wolfgang Kubicki ist wegen eines medizinischen Eingriffs zunächst nicht dabei)
- CSU (5): Parteichef Markus Söder, Generalsekretär Markus Blume, Parteivize Dorothee Bär, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der parlamentarische Geschäftsführer der Landesgruppe Stefan Müller
Liberale bevorzugen Jamaika, Grüne die Ampel
Selbstverständlich würden Entscheidungen, die bei zukünftigen Gesprächen getroffen werden, kommuniziert, sagt Volker Wissing fast schon vertröstend. Mehr ist ihm partout nicht zu entlocken. Er bringt nicht einmal einen Glückwunsch an die Wahlsieger SPD über die Lippen, sondern sagt lediglich, die FDP habe wahrgenommen, dass die Sozialdemokraten besser als die Union abgeschnitten hätten. Außerdem habe er Olaf Scholz am Rande einer Fernsehsendung bereits persönlich gratuliert. Woran Wissing aber keinen Zweifel lässt: Die Liberalen bevorzugen eine Jamaika-Koalition. Trotz der schmerzlichen Erfahrungen aus früheren Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene - die bekanntlich scheiterten - und trotz der herben Stimmenverluste von CDU/CSU.
Die Grünen sehen das anders. Das könnte im kommenden "Ausloten" ein Knackpunkt sein. Aus dem Wahlergebnis leite sie den klaren Auftrag ab, Verantwortung für die Zukunft des Landes zu übernehmen und ein progressives Bündnis zu bilden, sagt Baerbock. Es gehe um Erneuerung. Das klingt eher nach einem Ampel-Bündnis mit den Parteien, die bei der Wahl tatsächlich mehr Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen konnten: SPD und FDP. So konkret sagt das Baerbock aber nicht.
Was passiert, wenn die FDP sich auf die Union als Koalitionspartner und die Grünen sich auf die SPD versteifen? Darüber sei gesprochen worden, aber eben vertraulich, sagt Wissing. Ziel der FDP sei es jedoch, dass es zu einer Regierungsbildung komme und dass sich die Beteiligten nicht blockierten. Eine zukünftige Koalition müsse dabei nicht nur bezüglich der im Koalitionsvertrag besprochenen Fragen Einigkeit erzielen, sondern auch bei den Fragen, die im Zuge eine Legislaturperiode aufkommen und nicht vorhersehbar sind, gut zusammenarbeiten.
"Wir haben keinen Plan B"
Das setzt Vertrauen voraus. Ein Schlüsselwort dieser Tage. Auffällig ist an diesem Mittwochnachmittag, mit welchen behutsam gewählten Worten die potenziellen Koalitionspartner die Situation beschreiben. Die Wunden von 2017, als die Jamaika-Koalition schlussendlich doch nicht zustande kam und sich beide Parteien in der Opposition wiederfanden, scheinen vernarbt. Und so betont auch Baerbock: "2017 sollte sich nicht wiederholen." Ihr Generalsekretär Michael Kellner sagt zu ntv, man sei sich unter den Generalsekretären einig, dass Nachtsitzungen, wie vor vier Jahren, vermieden werden sollten, weil das die politischen Ergebnisse nicht gerade verbessern würde.
Deswegen die viel beschworene Vertraulichkeit und die wortreichen Nicht-Antworten auf konkrete Fragen. Ob diese Methode dafür sorgt, dass tatsächlich das erste Dreier-Bündnis die Bundesrepublik Deutschland in Zukunft regieren wird, bleibt fraglich. Dass es zu einer neuerlichen Notlösung, einer von allen Seiten kaum beliebten Großen Koalition kommt, gilt als ausgeschlossen. "Wir haben keinen Plan B", sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Das ist doch mal eine Ansage.
Quelle: ntv.de