Warnung vor Rückfall Steinmeier: Shoah ist Teil unserer Geschichte und Identität
29.01.2025, 15:39 Uhr Artikel anhören
Gemeinsam kommen der Holocaustüberlebende Roman Schwarzman, Bundeskanzler Scholz, Elke Büdenbender, Bundestagspräsidentin Bas, Bundesratspräsidentin Rehlinger und Bundespräsident Steinmeier in das Plenum des Bundestages (v.l.).
(Foto: picture alliance/dpa)
In einer Gedenkstunde des Bundestags zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz warnt Bundespräsident Steinmeier vor Gefährdungen der Demokratie. Er zieht einen Vergleich von damals zu heute. Und ein Überlebender des Holocaust berichtet aus einem Land im Krieg.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus an die Verantwortung Deutschlands für die eigene Geschichte erinnert. Es gebe "kein Ende der Erinnerung und deshalb auch keinen Schlussstrich unter unsere Verantwortung", sagte er im Bundestag und warnte vor diesem Hintergrund vor "Feinden der Demokratie". Der ukrainische Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman zog in seiner Rede Parallelen zum russischen Angriffskrieg gegen sein Land.
"Die Shoah ist ein Teil deutscher Geschichte. Sie ist, ob wir wollen oder nicht, Teil unserer Identität", sagte Steinmeier. Deutsche hätten dieses Menschheitsverbrechen organisiert und begangen. Damit wandte sich der Bundespräsident auch an jene Menschen, die den Holocaust "verdrängen, verharmlosen oder vergessen" wollen. Damit werde das Fundament erschüttert, auf dem die Demokratie gewachsen sei.
"Wer heute die Demokratie lächerlich macht, verachtet, angreift, der ebnet eben auch den Weg zu Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit", sagte Steinmeier. Er fügte an: "Nehmt die Feinde der Demokratie ernst."
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sagte, in diesen Zeiten sei historisches Bewusstsein besonders wichtig. Im analogen und digitalen Raum grassierten Verschwörungsmythen und Propaganda. "Es ist an uns, die Überlieferungen der Zeitzeugen auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren." Bas mahnte, Mitmenschlichkeit zu leben, sei keine Aufgabe, die man zum Beispiel einfach an die Politik delegieren könne. "Jede und jeder von uns sollte sich immer wieder fragen: Was bin ich bereit, für das "Nie wieder" zu tun?"
Der Bundestag gedenkt jährlich der Opfer des Nationalsozialismus - Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, queere Menschen oder Opfer von Euthanasie-Programmen. Diesmal stand die Gedenkstunde im Zeichen des 80. Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Zu dem Gedenken kam auch eine Reihe von Überlebenden, darunter die Zeitzeugin Margot Friedländer.
Steinmeier sagte dazu, es gebe immer weniger Überlebende der Shoah, die von ihren Erfahrungen berichten könnten. "Wir werden besonders für die jungen Menschen neue Formen des Erinnerns finden müssen", sagte er. Es sei eine "Aufgabe unserer Generation, überall in Europa gegen das Vergessen zu arbeiten".
"Bedenke das Ende"
Das gelte vor allem vor dem Hintergrund wachsender Judenfeindlichkeit in Deutschland. "Wenn Antisemitismus Alltag wird in unserem Land, auf unseren Straßen und Plätzen, in Schulen und Hochschulen, das dürfen wir in unserem Land mit unserer Geschichte niemals zulassen", warnte Steinmeier. Es sei eine "Schande", dass Gedenkstätten statt für die Bildungsarbeit jährlich einen immer höheren Anteil für Sicherheitsmaßnahmen aufwenden müssten. Es gehe längst nicht mehr um den Satz "Wehret den Anfängen", sondern um "Bedenke das Ende".
Auch Bas beklagte, Jüdinnen und Juden würden "offen bedroht und angegriffen" und viele von ihnen "fühlen sich nicht sicher in Deutschland". Im Kampf gegen den Antisemitismus "erleben wir enttäuschende Rückschritte. Das schmerzt".
Parallele von damals zu heute
Bei der Gedenkstunde kam auch der ukrainische Shoah-Überlebende Roman Schwarzman zu Wort. Es sei ihm eine "Ehre", dass er aus seiner angegriffenen Stadt Odessa gekommen sei, sagte Steinmeier. "Mein Land steht an Ihrer Seite", sagte er und bezog sich abgesehen von der Erinnerungsarbeit auch auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Schwarzman selbst zog eine Parallele von damals zu heute. "Damals wollte Hitler mich töten, weil ich Jude bin. Heute versucht Putin mich zu töten, weil ich Ukrainer bin", sagte er mit Blick auf Kreml-Chef Wladimir Putin. Er bedankte sich für die bereits geleistete militärische Hilfe Deutschlands für die Ukraine. Das reiche aber nicht, nötig seien mehr Flugabwehr und Langstreckenwaffen. "Ich flehe Sie an, uns zu bewaffnen." Der Vernichtungskrieg Putins müsse beendet werden.
Erinnerung an Gräuel im Ghetto
Schwarzman berichtete von Gräueln, die er als Kind im Ghetto der ukrainischen Stadt Berschad erleben musste. "Meine Geschichte ist die Geschichte von Millionen von Menschen, die ihre eigene Geschichte nicht mehr erzählen können", sagte der 88-Jährige vor den Abgeordneten im Plenarsaal. Er habe mit seinen Geschwistern zweieinhalb Jahre hinter Stacheldraht verbracht. "Zweieinhalb Jahre voller Erniedrigung, Schmerzen, Läuse und mit ständigem Hunger." Auch nach 80 Jahren könne er sich daran erinnern, wie das Wasser im Ghetto geschmeckt habe.
Schwarzman erinnerte an 25.000 Opfer des Nationalsozialismus, die in seiner Heimatstadt Odessa 1941 bei lebendigem Leib in Lagerhallen verbrannt worden seien. Er setze sich weiterhin dafür ein, ein Denkmal für sie zu errichten. Der Bau sei wegen Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine unterbrochen worden. "Damals wollte Hitler mich töten, weil ich Jude bin", sagte Schwarzman und fügte mit Blick auf den russischen Präsidenten hinzu: "Jetzt versucht Putin mich zu töten, weil ich Ukrainer bin." Die Ukraine dürfe von der russischen Macht auf gar keinen Fall in die Knie gezwungen werden.
Quelle: ntv.de, gut/AFP/dpa