Politik

Keine neue Regierung in Sicht Tag eins hinterlässt viele Fragezeichen

258266351.jpg

Ob der nächste Bundeskanzler Laschet oder Scholz heißt, ist am Tag nach der Wahl noch immer unklar.

(Foto: picture alliance / ROPI)

Deutschland hat gewählt, aber was nun? Am Montag nach der Wahl bekunden weiter zwei Parteien ihren unbedingten Willen zur Regierungsführung. Die Einschätzungen, was aus dem Wahlergebnis folgt, sind höchst unterschiedlich.

Immerhin, es gibt auch dieses Jahr zu Weihnachten die bewährte Naschware, wie sich beim Besuch der winterbereiten Supermärkte zeigt. Ob Deutschland bis zum 24. Dezember aber auch eine neue Bundesregierung haben wird, ist am Tag nach der Bundestagswahl ungewiss. Vier Parteien spielen die dritte Runde des Klassikers Reise nach Jerusalem: FDP und Grüne haben ihren Platz sicher und schauen mehr oder weniger belustigt zu, wie Union und SPD um sie herum tanzen, bis sie einem der beiden den letzten verbliebenen Stuhl zuweisen - den des Bundeskanzlers. Die Entwicklungen und Erkenntnisse vom 27. September im Überblick:

1. Die SPD will die Ampel

"CDU und CSU haben nicht nur erheblich an Stimmen verloren, sie haben die Botschaft der Bürgerinnen und Bürger bekommen, sie sollen jetzt nicht mehr regieren, sie sollen jetzt in die Opposition gehen", sagt Olaf Scholz am Vormittag. Er will Bundeskanzler werden und wirbt für eine "sozial-ökologisch-liberale Koalition", also eine Ampel. Wer die aushandeln soll, steht ebenfalls schon fest: Neben Scholz gehören die Vorsitzenden Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zur Sondierungsgruppe.

Doch während die SPD in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Siege feiern kann, ist die Stimmung im Bund nicht gänzlich ungetrübt. Dass die Union nicht nachgeben mag, kratzt am Bild von der triumphalen Eroberung des Kanzleramts durch die SPD.

2. Laschet gibt das Kanzleramt noch nicht auf

Nach Lesart von Armin Laschet liegen auch am Tag nach der Wahl zwei Parteien gleichauf. "Wenn der eine 24 Prozent hat und der andere 25 Prozent, hat nicht der, [der] 25 Prozent hat, automatisch eine Mehrheit im Bundestag", sagt Laschet nach einer langen Präsidiumssitzung der CDU. Wenn man schon runden will, kommt die SPD aber auf 26 Prozent. "Olaf Scholz und ich sind, finde ich, zur gleichen Demut aufgerufen", interpretiert der CDU-Vorsitzende das Wahlergebnis. Dass die SPD massiv hinzugewonnen, die Union immens verloren und Scholz die vielfach besseren persönlichen Zuspruchswerte hat, ändert aus Laschets Sicht nichts. Er wirbt dennoch für Jamaika, wofür er den Rückhalt seiner Partei hat. Ein Regierungsbündnis zu schmieden, ist Laschets letzte politische Überlebenschance.

3. Die CSU lässt Laschet noch nicht fallen

CSU-Chef Markus Söder macht aus seiner Enttäuschung über das Wahlergebnis keinen Hehl. "Wir dürfen es nicht schön reden", sagt der bayerische Ministerpräsident nach einer Sitzung des CSU-Vorstands. Aber er sagte auch: Erneuern gehe am besten in der Regierung. Söder betont zwar, dass die Union als Zweitplatzierter keinen Anspruch auf die Regierungsbildung habe. Gleichwohl stehe sie zu ihrem Angebot für Gespräche über eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen. Auch die Christsozialen geben damit Laschet eine Gnadenfrist, das Ruder noch herumzureißen.

4. Die Grünen tendieren zur Ampel

Am Tag nach der für sie alles in allem enttäuschenden Bundestagswahl haben sich die Grünen schon wieder gefasst und blicken nach vorn. "Es gehört ja zu der Verantwortung, die wir hier jetzt mehrfach betont haben, dass man gut vorbereitet und geklärt reingeht", sagt der Co-Vorsitzende Robert Habeck. Er soll nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auch Vize-Kanzler werden. In welcher Koalition? Die Ampel sei "die naheliegendste Option", sagt Habeck. Aber ohne Not wollen auch die Grünen für die Gespräche mit der SPD nicht das Druckmittel Jamaika aus der Hand geben. "Erweiterung der Möglichkeiten: Das ist das Gebot der Stunde." Allerdings brauche der künftige Kanzler auch "Prokura im eigenen Laden", sagt Habeck mit Blick auf die Union. "Wenn das in Zweifel steht, machen irgendwann Gespräche auch keinen Sinn mehr."

5. Die FDP will regieren

Die FDP hatte im Wahlkampf nicht nur wegen ihres freimütigen Umgangs mit Cannabis die Jamaika-Flagge gehisst. Das aber ist am Sonntagabend unwahrscheinlich geworden. Parteichef Christian Lindner soll am Abend noch lange mit Laschet telefoniert haben. Da muss der CDU-Chef das Signal bekommen haben, dass die FDP weiter bereit ist, auch einen Wahlverlierer Laschet zum Kanzler zu machen. Allerdings ist in der FDP unvergessen, wie schlecht die Partei sich bei den Koalitionsgesprächen 2017 von der Union behandelt gefühlt hat. Auch die Unionskampagne gegen die FDP erwähnt Lindner am Sonntagabend in der Elefantenrunde. Das Signal: Nicht nur die Grünen werden für Jamaika einen hohen Preis von der Union einfordern. Dass die Grünen auf die FDP-Initiative eingehen, zuerst zu zweit und dann mit den beiden großen Parteien zu sprechen, stärkt die Verhandlungsposition der vermeintlich Kleineren zusätzlich.

6. Die Linke ist in einer schweren Krise

Mehr zum Thema

Dank dreier Direktmandate darf die unter der Fünf-Prozent-Hürde gebliebene Linke auch im nächsten Bundestag eine vollwertige Fraktion bilden. Das war denkbar knapp, weil nur Gregor Gysi seinen Wahlkreis deutlich gewann. Gesine Lötzsch in Berlin-Lichtenberg und Sören Pellmann in Leipzig II gewannen mit nur jeweils rund 8000 Stimmen Vorsprung. Die erst seit diesem Jahr amtierenden Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow machen am Montag deutlich, dass sie dennoch im Amt bleiben wollen. Trotz dieser Kontinuität geht die Partei schweren Zeiten entgegen.

7. Die AfD ist die neue Ostpartei
16 Direktmandate heimst die AfD ein, allesamt in Thüringen und Sachsen. In Sachsen wird sie deutlich stärkste Kraft. In den übrigen Flächenländern des Ostens kommt die Partei ebenfalls auf Werte oberhalb 18 Prozent. Insgesamt gibt es aber auch in Sachsen keine Zuwächse nach Zweitstimmen. Bundesweit betrachtet schrumpft die Partei. Der innerparteiliche Streit über ihren künftigen Kurs dürfte sich fortsetzen.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen