
Trump äußerte sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem jordanischen König Abdullah.
(Foto: REUTERS)
Vermutlich merkt Donald Trump gerade, wie kompliziert Außenpolitik ist. Vor ein paar Jahren sah er das Vorgehen von Barack Obama in Syrien als Fehler. Jetzt macht er dort und mit Nordkorea dasselbe.
Als US-Präsident Barack Obama im August 2012 in einer Pressekonferenz nach seiner Haltung zu den Chemiewaffen in Syrien gefragt wurde, sagte er: "Wir haben dem Assad-Regime, aber auch anderen Akteuren in Syrien, sehr deutlich gemacht, dass es eine rote Linie für uns wäre, wenn chemische Waffen hin und hergefahren oder benutzt würden."
Fast auf den Tag genau ein Jahr später wurde in Syrien Giftgas eingesetzt, in Ghuta, östlich von Damaskus. Hunderte Menschen starben dabei. Für die USA war klar, dass Präsident Baschar al-Assad für ihren Tod verantwortlich war.
Damit stand Obama unter Zugzwang. Er hatte Assad eine rote Linie aufgezeigt und musste handeln, obwohl die Stimmung in den USA angesichts der irakischen Katastrophe eher von Kriegsmüdigkeit geprägt war. Die Sache ging glimpflich für ihn aus: Russland half Obama aus der Patsche, indem es vorschlug, Syrien könne seine Chemiewaffen unter internationaler Kontrolle zerstören lassen. So wurde es schließlich auch gemacht. In den Syrien-Krieg greifen die USA erst seit September 2014 mit Luftangriffen ein – gegen die Terrormiliz IS, nicht gegen Assad.
"Greifen Sie Syrien NICHT an"
Trotzdem verfolgte die "rote Linie" Obama bis zum Ende seiner Präsidentschaft. Einige Republikaner warfen ihm vor, er sei nicht hart genug, andere, dass das Zitat ein Fehler gewesen sei. Das war es vermutlich wirklich: Die "New York Times" berichtete später, dass Obamas Mitarbeiter erstaunt gewesen seien.
Donald Trump, damals noch ein skurriler New Yorker Milliardär und Moderator einer Casting-Show, warf dem Präsidenten im September 2013 vor, er wolle Syrien nur angreifen, um sein Gesicht zu wahren. Das Statement mit der roten Linie sei "sehr dumm" gewesen. "Greifen Sie Syrien NICHT an", twitterte Trump, "reparieren Sie die USA". Man könnte diesen Satz als Kern seiner "America first"-Politik sehen. In einer Vielzahl von Tweets verkündete Trump seinerzeit die immer gleiche Botschaft: Ein militärisches Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg wäre ein Fehler.
Die Geschichte geht noch weiter. Als Präsidentschaftskandidat warf Trump seiner Mitbewerberin Hillary Clinton mehrfach vor, in Syrien einen "Regimewechsel" anzustreben und durch eine Konfrontation mit Russland einen "dritten Weltkrieg" zu riskieren.
Er selbst hatte widersprüchliche Ziele. Über den IS sagte Trump, er würde "die Scheiße aus ihnen herausbomben". Zugleich kündigte er an, dass er das Problem Russland überlassen werde. Insgesamt signalisierte er jedoch, dass sich die USA unter seiner Führung weltweit weniger einmischen würden: "America first" statt Weltpolizei. Mittlerweile ist Trump Präsident – und er scheint Obamas Fehler zu wiederholen.
"Das überschreitet viele, viele Linien"
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem jordanischen König Abdullah am Mittwoch fragte eine Journalistin Trump nach dem jüngsten Chemiewaffenangriff in Syrien. Seine Antwort war etwas verwirrend, aber deutlich genug: "Nun, ich glaube, dass die Obama-Regierung eine gute Gelegenheit hatte, diese Krise vor langer Zeit zu lösen, als er von der roten Linie im Sand sprach. Und als er [gemeint ist Obama] diese Linie nicht überschritt, nachdem er damit gedroht hatte, glaube ich, dass uns das um Jahre zurückgeworfen hat, nicht nur in Syrien, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt, denn es war eine leere Drohung."
Daraufhin fragte die Journalistin nach, ob mit dem Chemieangriff für Trump eine "rote Linie" überschritten sei. Trump antwortete, für ihn seien "viele rote Linien" überschritten worden. "Wenn man unschuldige Kinder, unschuldige Babys – Baby, kleine Babys – mit Chemiegas umbringt, das so tödlich ist – die Leute waren geschockt, als sie hörten, was für ein Gas es war – das überschreitet viele, viele Linien, jenseits einer roten Linie. Viele, viele Linien."
Der Angriff auf die Kinder habe einen großen Eindruck bei ihm hinterlassen, fügte Trump hinzu und wirkte dabei tatsächlich angefasst. "Das war eine schreckliche, schreckliche Sache". Es sei gut möglich, dass dieser Vorfall seine Haltung verändert habe, "und ich werde Ihnen sagen, das ist schon passiert, dass meine Haltung zu Syrien und Assad sich sehr stark verändert hat".
"Ich sehe mich gern als flexibel an"
Die Äußerungen klingen spontan und wenig durchdacht, aber ein Ausrutscher scheinen sie nicht gewesen zu sein. Vor Trumps Auftritt mit Abdullah im Rosengarten des Weißen Hauses hatte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley mit Blick auf Syrien gesagt, wenn die Vereinten Nationen "fortlaufend ihre Pflicht zum kollektiven Handeln verletzen, dann sind wir gezwungen, unsere eigenen Maßnahmen zu ergreifen". Was das konkret bedeuten könnte, erklärte Haley nicht.
Auch mit Blick auf Nordkorea verfolgt Trump längst keine "America first"-Strategie mehr, sondern scheint auf eine Politik der Drohungen zu setzen. "China hat großen Einfluss auf Nordkorea", sagte Trump der "Financial Times" kürzlich. Wenn China das nordkoreanische Problem nicht löse, "werden wir es tun".
Es sieht so aus, als sei Trump dabei, sich in dieselbe Situation zu manövrieren wie Obama. Er hat sich zu Äußerungen hinreißen lassen, die ihn möglicherweise zwingen, in einer Weise aktiv zu werden, die er ursprünglich nicht beabsichtigt hatte. Mit einem wichtigen Unterschied: Trump hatte Obamas Fehler ursprünglich klar als solchen erkannt – und er wiederholt ihn trotzdem.
Es könnte allerdings auch sein, dass Trump gerade merkt, dass die Lösung von außenpolitischen Krisen längst nicht so einfach ist, wie er immer getan hat, und dass nun er selbst sein Gesicht wahren will – einerseits mit starken Sprüchen, andererseits, indem er die Verantwortung für alle Krisen dieser Welt an Obama abschiebt. Denn wie schon sein Vorgänger hat Trump schlicht keine Möglichkeit, China dazu zu drängen, den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un zu zähmen. Es liegt nicht in der Macht des amerikanischen Präsidenten, den syrischen Bürgerkrieg zu beenden. Trump hat nur die Wahl zwischen vielen schlechten Optionen – so wie vor ihm Obama.
Trump versucht derweil, aus der Not eine Tugend zu machen. "Ich sehe mich gern als flexibel an", sagte er. Er habe nicht eine Linie, die er auch dann durchziehe, wenn die Welt sich ändere. "Ich verändere mich und ich bin flexibel, und auf diese Flexibilität bin ich stolz."
Quelle: ntv.de