Politik

Heftiger Zoff bei Asyl-Gipfel Union setzt Kanzler maximal unter Druck

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Das wird eine lange Nacht: Vor dem Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler zerlegen sich die Länderchefs über zusätzliche Forderungen aus dem Unionslager. Mehr als drei Stunden lassen die Länder Olaf Scholz warten. Der erzielte Kompromiss erleichtert eine Einigung mit dem Bund nicht.

Seit Monaten machen die Bundesländer Druck für mehr Geld bei der Flüchtlingsversorgung vom Bund sowie für Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung. Doch am Tag, als sie ihre Forderung gemeinsam bei Bundeskanzler Olaf Scholz vortragen und durchsetzen wollen, zerlegen sich die Ministerpräsidenten erst einmal untereinander. Als das Ländertreffen am Abend mit drei Stunden Verzögerung endet, ist es Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wichtig, die Schuldfrage zu klären: Die von der SPD regierten Bundesländer sowie Thüringen seien am Morgen "überrascht worden" von einem zusätzlichen Forderungskatalog jener Länder, die von der CSU, CDU und den Grünen regiert werden. Diese hätten ein vor drei Wochen geeintes Papier teilweise infrage gestellt "und darüber hinaus auch weitere Themen aufgemacht".

Als "nicht so wirklich erquicklich" habe er den Nachmittag erlebt, formuliert SPD-Ministerpräsident Weil. Der neben ihm stehende hessische Ministerpräsident, der Christdemokrat Boris Rhein, dagegen ist gut aufgelegt. So hatte sein Lager, das der sogenannten B-Länder, zwar nicht alle zusätzlich eingebrachten Forderungen durchsetzen können. Doch in gleich mehreren Punkten haben sich die A-Länder angeschlossen: Einstimmig fordern die Bundesländer nun vom Bund,

  • den EU-Türkei-Deal zum Umgang mit vor allem syrischen Flüchtlingen auf türkischem Boden zu verlängern,
  • den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus zu begrenzen, was sich vor allem auf syrische Flüchtlinge bezieht,
  • mehr Bezahlkarten statt Geldleistungen an Asylantragsteller auszugeben,
  • eine Bund-Länder-Kommission zur Weiterentwicklung des Asylrechts ins Leben zu rufen.

"Weitergehende Maßnahmen gewünscht"

Die Ministerpräsidenten hätten sich "sehr intensiv beraten" und sich "auf wichtige Punkte - und zwar mit allen Ländern - einigen können", lautet das Fazit von Rhein. "Ich sprach an, dass die B-Seite sich weitergehende Maßnahmen gewünscht hat." Hierzu zählt:

  • alle Länder mit einer Anerkennungsquote von unter 5 Prozent zu sicheren Herkunftsländern zu erklären,
  • das Asylrecht zu novellieren,
  • vom Bund angekündigte freiwillige Aufnahmeprogramme zu stoppen.

Und - das brachte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst am Wochenende mit Nachdruck in die Debatte - künftig auch Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen und während der Verfahrenszeit illegal nach Deutschland eingereiste Flüchtlinge in diesen Drittstaaten unterzubringen.

Diese Forderungen finden sich nun in Einzelerklärungen der B-Länder wieder, die dem gemeinsamen Forderungskatalog der Ministerpräsidenten an den Bund angehängt sind. Diese Wünsche waren so überwiegend auch schon von der Unionsfraktion im Bundestag erhoben worden. Mit ihrem Vorgehen am Montag haben die B-Länder den Unionsforderungen aber noch einmal größtmögliche Aufmerksamkeit verschafft. In einer weiteren sogenannten Protokollnotiz forderten die Ministerpräsidenten Sachsens und Bayerns "das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form" zu überdenken.

Auffällige Distanzierung

Rhein war es wichtig zu sagen, dass die unionsgeführten Länder keinesfalls als verlängerter Arm der Bundestagsfraktion oder des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz gehandelt hätten. Es handele sich um "Punkte, die an der einen oder anderen Stelle eine gewisse Deckungsgleichheit aufbieten, aber das sind Punkte, die den Ländern besonders wichtig sind", sagte Rhein.

"Wenn Friedrich Merz uns Punkte hätte diktieren können, dann wären es vielleicht andere Punkte als diese Punkte gewesen. Ich will nur mal die Drittstaatenfrage nennen: Da muss ich ja nicht um den heißen Brei herumreden, das haben sie ja in den vergangenen Tagen verfolgt, ist insbesondere eine Frage des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten." Rheins Einlassung dürfte in den kommenden Tagen noch die Frage nach sich ziehen, ob die Unionsländer sich hier vor allem von der Bundespolitik emanzipieren wollten - oder das Lager um Hendrik Wüst von Friedrich Merz.

Heikle Mission für SPD-Länder

Weil erklärte indes, warum sich die A-Länder nicht vollumfänglich den Wünschen der Union und des vom Grünen Winfried Kretschmann regierten Baden-Württembergs an den Bund angeschlossen haben. So seien Asylverfahren in Transitländern - also Staaten, die Asylantragsteller auf ihrer Reise nach Deutschland durchreist haben - denkbar. Mit einem sogenannten "Ruanda-Modell" aber kann die SPD nichts anfangen, nachdem der Kanzler am Wochenende darauf hingewiesen hatte, dass kein afrikanisches Land bislang Interesse an solche einer Rolle gezeigt habe. "Ruanda-Modell" deshalb, weil Großbritannien prüft, illegal eingereiste Menschen bis zur Klärung ihres künftigen Aufenthaltsstatus in Ruanda unterzubringen, um sie künftig von der gefährlichen Einreise über das Meer abzuhalten. Ähnlich argumentiert Wüst bei seinen Forderungen, in der EU künftig ähnlich zu verfahren.

Bei der Frage der sicheren Herkunftsländer ahnten die SPD-Länder wohl, dass eine Ausweitung der Liste solcher Länder mit den im Bund mitregierenden Grünen schwierig würde. Weil erklärte, es würde schon genügen, die Asylverfahren für Menschen aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote deutlich zu beschleunigen. Auch das für Afghanistan geplante freiwillige Aufnahmeprogramm ist den Grünen und Teilen der SPD wichtig und für Scholz nicht eben auf einer Konferenz mit den Ministerpräsidenten beiseite zu wischen.

Die SPD-geführten Länder finden sich auch so schon in der schwierigen Lage wieder, dem SPD-Kanzler Scholz große Zugeständnisse bei der Finanzierung der Flüchtlingsversorgung und des Deutschlandtickets abverhandeln zu müssen. 10.500 Euro fordern die Länder in ihrem vorab geeinten Papier vom Bund pro Geflüchteten. Der will bislang aber nur die Hälfte geben und verweist auf leere Kassen. "Ich streite mich ungern, aber wenn es sein muss", gab sich Weil am Abend kampflustig und betonte, er verhandele als Niedersachsens Ministerpräsident, nicht als Parteikollege des Kanzlers. Wie auch beim Deutschlandticket rechnen alle Beteiligten mit harten Verhandlungen. Ein Ergebnis noch in dieser Nacht ist nicht garantiert.

Quelle: ntv.de

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