Habeck sieht keinen AKW-Skandal "Unterlagen erzählen eine andere Geschichte"


Habeck hatte viele Fragen zu beantworten, von Medien und Abgeordneten.
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Bundeswirtschaftsminister Habeck erscheint zu einer Ausschusssondersitzung im Bundestag, um Fragen zu einem schweren Vorwurf zu beantworten: Hat sein Ministerium die Öffentlichkeit falsch informiert, um das Atom-Aus zu besiegeln? Der Grüne wiegelt gelassen ab, doch Union und FDP lassen nicht locker.
Der Arbeitstag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beginnt meistens früh, aber selten gleich mit einem offiziellen Termin. Um kurz vor acht erscheint der Grünen-Politiker im Bundestag, um in einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Die CDU hat die Sitzung und die Vorladung des Ministers beantragt, sie gibt sich höchst alarmiert. "Der alte Verdacht erhärtet sich: Beim Kernkraft-Aus wurden Parlament und Bevölkerung belogen", erklärte etwa Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, mit Blick auf Recherchen des Magazins "Cicero". Demnach hatten die grün-geführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt im Jahr 2022 von Beginn an eine Laufzeitverlängerung der letzten Atomkraftwerke hintertrieben, trotz sich anbahnender Energiekrise wegen Russlands Großinvasion in der Ukraine.
Beide Ministerien weisen die Darstellung des "Cicero" entschieden zurück. Den Abgeordneten sollen nun weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. "Und wenn die Abgeordneten die Unterlagen lesen, dann wird sich ein anderes Bild darstellen", sagte Habeck vor Sitzungsbeginn. "Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte, als es kolportiert wurde, nämlich dass das Ministerium und meine Person, und zwar schon vor dem russischen Angriffskrieg, aktiv auf die Betreiber der Atomkraftwerke zugegangen ist, mit der Frage: 'Können eure Dinger länger laufen? Und hilft es uns was?'"
"Die Atomkraftwerke haben keinen Saft mehr"
Der Bericht stützt sich insbesondere auf einen hausinternen Referentenvermerk von Anfang März 2022, der eine Verlängerung der Laufzeit der verbliebenen drei Atomkraftmeiler als prüfenswerte Option einstufte. Diese könnten helfen, Deutschland durch den Winter zu bringen, selbst wenn Russland den Gashahn abstellen sollte und alternative Lieferanten nicht schnell genug einspringen. Diese Sichtweise taucht aber nicht auf in den Empfehlungen an Ministerium und Öffentlichkeit, die Habecks später geschasster Staatssekretär Patrick Graichen federführend verfasst hatte. Der "Cicero" - und mit ihm zahlreiche Vertreter von CDU und CSU - vermutet eine ideologische Festlegung auf der Leitungsebene, weshalb hauseigene Experten übergangen und die Öffentlichkeit einseitig informiert worden sei.
"Der Punkt, der in dem Papier adressiert wurde, ist protokollarisch nachweisbar mit den Versorgungsbetreibern diskutiert worden", sagte Habeck - mit einer Hand in der Hosentasche betont lässig wirkend - vor Journalisten. "Die Atomkraftwerke haben keinen Saft mehr in den Brennelementen", hätten ihm die Kernkraftbetreiber gesagt, berichtete Habeck. Nach Darstellung seines Hauses hatten die Gespräche schon auf Leitungsebene stattgefunden, als der umstrittene Vermerk noch auf der Fachebene geschrieben wurde. Er sei schlicht überholt gewesen.
Laufzeitverlängerung kam trotzdem
Habeck, die für Reaktorsicherheit zuständige Umweltministerin Steffi Lemke und weitere Grüne hatten auch in den Folgemonaten des ersten Kriegsjahres wiederholt gesagt, die Atommeiler könnten zum Jahresende wie vorgesehen vom Netz gehen. Über den Sommer aber verschärfte sich die Gasversorgungskrise, die auch Deutschland zuliefernden französischen Atomkraftwerke fielen aus und zugleich fanden die Energieunternehmen in den AKW Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland doch noch Saft. Die Grünen stritten mit ihren Koalitionspartnern von SPD und FDP über Nutzen und Risiken einer verlängerten Laufzeit bis ins Frühjahr 2023.
Als der Sommer endete, entschied schließlich Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die AKW sicherheitshalber noch ein paar Wochen länger laufen sollen. Habeck versicherte am Freitag: "Die Versorgungssicherheit hatte für mich absolute Priorität und das ganze Haus hat ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, von Daten und auch von Rechtsnormen, gearbeitet." Eine Ideologie-getriebene Politik ist für Habeck und sein Öffentlichkeitsteam nicht erkennbar.
Auch im Ausschuss berichtete Habeck nach Angaben aus Teilnehmerkreisen entlang dieser Linie. Er habe den umstrittenen Vermerk, der sich für die Prüfung einer Laufzeitverlängerung aussprach, erstmals am Donnerstag gesehen. Dieser sei aber nicht an ihn als Minister gerichtet gewesen, und unterschiedliche Auffassungen innerhalb eines Ministeriums seien ganz normal. Auch im Ausschuss gab sich Habeck nach Auskunft von Teilnehmern betont gelassen.
FDP uneins, Union empört
FDP-Energieexperte Michael Kruse gab Habeck und Lemke dennoch keine volle Rückendeckung. Im Ausschuss habe man neue Unterlagen erhalten. "Wir werden also diese Unterlagen sehr intensiv prüfen, wir werden sie sichten und dann unsere Einordnung dazu mitteilen", sagte Kruse. Die FDP habe sich im Krisenjahr 2022 für einen Weiterbetrieb der AKW eingesetzt. Der von Graichen verfasste Vermerk des Wirtschaftsministeriums, der sich dagegen aussprach, hätte schon damals einer intensiven Prüfung nicht standgehalten.
Der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, sagte, es mache keinen Sinn, "über irgendwelche Rücktritte zu philosophieren". Und: "So wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat." Im Moment sei Habeck kein Fehlverhalten nachzuweisen, sagte in der Beek. Anders FDP-Politikerin Linda Teuteberg: "Die Enthüllungen belegen, dass der Ausstieg auf falschen Tatsachenbehauptungen beruhte", schrieb sie auf X und warf Habeck eine unredliche Darstellung der Entscheidungsfindung vor.
Die Union sieht das völlig anders. Aus Reihen der Fraktion wurden Forderungen nach einem Rücktritt laut sowie nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Zudem müsse erneut geprüft werden, ob eine Rückkehr zur Atomenergie die Strompreise senken und die Versorgung stabilisieren helfe. CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Grosse-Brömer schlug im "Focus" vor, den weiteren Rückbau der letzten drei Atomkraftwerke einstweilen zu stoppen. Grünen-Politikerin Lisa Badum bezeichnete das Verhalten der Unionsabgeordneten rund um den "Cicero"-Bericht als "peinliches Schauspiel". Sollten diese in den Ministeriumsunterlagen aber doch noch Belege für eine mutwillige Täuschung der Öffentlichkeit finden, war Habecks Auftritt im Ausschuss vielleicht auch nur das Vorspiel.
Quelle: ntv.de, mit dpa