Politik

"Polizei findet Personen nicht" Warum so viele Abschiebungen scheitern

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Auch noch am Flughafen können Ausreisepflichtige ihre Abschiebung verhindern - werden sie gewalttätig, müssen die Piloten sie nicht mitnehmen.

Auch noch am Flughafen können Ausreisepflichtige ihre Abschiebung verhindern - werden sie gewalttätig, müssen die Piloten sie nicht mitnehmen.

(Foto: picture alliance / ABBfoto)

Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte eigentlich abgeschoben werden sollen, das ist aber nicht passiert. Ein Fall von vielen: Zehntausende Abschiebungen scheitern jedes Jahr. Viele Ausreisepflichtige verstecken sich oder randalieren.

Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte nicht mehr in Deutschland sein dürfen: Issa H. sollte schon vergangenes Jahr abgeschoben werden. Passiert ist das aber nicht, obwohl der Asylantrag des Syrers abgelehnt worden war. Ähnlich war es beim Attentäter des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz vom Dezember 2016: Auch Anis Amri sollte abgeschoben werden. Das Verfahren wurde aber nicht eingeleitet, weil Amri keine Ausweispapiere hatte.

Es sind keine Einzelfälle. Zwei Drittel der Abschiebungen in Deutschland scheitern. Zwar gab es im ersten Halbjahr laut Bundesinnenministerium mehr Abschiebungen als im Jahr davor, insgesamt knapp 9500. Von rund 24.000 geplanten Rückführungen haben aber rund 14.600 nicht geklappt. Vergangenes Jahr sind sogar 31.330 Rückführungen gescheitert.

Dublin-Regelung verändert Zuständigkeit

Im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Solingen stand vergangenes Jahr schon ein Termin für die Überstellung nach Bulgarien fest. Doch dazu kam es nicht. Als die zuständige Ausländerbehörde in Bielefeld ihn in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn abholen wollte, war er nicht da. Issa H. war untergetaucht, ein halbes Jahr blieb er verschwunden. Monate später meldete er sich wieder bei den Behörden und kam in eine Flüchtlingsunterkunft in Solingen.

Die Abschiebung scheiterte an der Dublin-Regelung. Die besagt, dass das EU-Land für das Asylverfahren zuständig ist, das der oder die Asylsuchende zuerst betreten hat. In diesem Fall wäre das Bulgarien gewesen. Doch durch sein Untertauchen ließ Issa H. die sechsmonatige Frist verstreichen, Bulgarien war nicht mehr zuständig. "Er war in die deutsche Zuständigkeit als Dublin-Flüchtling geraten", erklärt Bundesjustizminister Marco Buschmann. "Deshalb müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir insbesondere bei den Dublinfällen noch schneller und effektiver abschieben."

Abschiebungen werden angekündigt

Das Hauptproblem bei gescheiterten Abschiebungen aber ist: Oft sind die Personen nicht in ihrer Unterkunft oder ihrer Wohnung, wenn die Polizisten sie abholen wollen. Denn die Abschiebetermine werden Tage vorher per Bescheid angekündigt. Die Betroffenen wissen, dass die Polizei auf dem Weg ist und haben genügend Zeit, um abzutauchen.

"Drei Viertel der Fälle scheitern genau aus dem Grund, eine sehr hohe Zahl", sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Bayern Florian Leitner bei RTL. Man könne die Bescheide anders zusenden, "dass die nicht ein paar Tage vorher zugestellt werden", dafür brauche es aber Rechtsänderungen, so Leitner.

Die Betroffenen warnen sich zudem untereinander. Auch Aktivisten informieren die Ausreisepflichtigen in den sozialen Medien oder per Messengerdienst, dass ein Charterflug für Abschiebungen organisiert wird. Wenn für die Maschinen keine Sitzplätze buchbar seien, sei klar, dass es sich um einen Abschiebeflug handle, sagt der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin, Benjamin Jendro, im Berliner "Tagesspiegel". Dann würden die Beamten den ersten Betroffenen oft noch antreffen, den zweiten schon nicht mehr.

Zu wenige Abschiebehaftplätze

Behördenvertreter dürfen zwar inzwischen in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume betreten als nur das Zimmer des Ausreisepflichtigen, so hat es der Bundestag zu Jahresbeginn beschlossen. Eine komplette Durchsuchung sei aber gerade bei Massenunterkünften nicht möglich, macht der bayerische Polizeigewerkschafter Leitner deutlich. Das würde Tumulte und einen riesigen Polizeieinsatz auslösen. Wenn eine Person nicht angetroffen wird, werde stattdessen die zuständige Ausländerbehörde informiert. Diese entscheide dann, wie es weitergeht - ob etwa ein Ausreisehaftbefehl beantragt wird.

Abschiebehaftplätze gebe es aber zu wenige, kritisiert der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Andreas Roßkopf, bei ntv. Der Bundestag hat zwar die gesetzliche Höchstdauer des Ausreisegewahrsams verlängert, von 10 auf 28 Tage. Wenn aber alle 800 Abschiebehaftplätze voll sind, wie es vergangenes Jahr laut Bundespolizeipräsident Dieter Romann der Fall war, bringt das wenig.

Nancy Faeser hat es sich in dem Fall bisher eher leicht gemacht. Der Bund habe in der Sache genug getan und "ein großes Rückführungspaket auf den Weg gebracht", findet die Bundesinnenministerin. Für Abschiebehaft-Plätze zu sorgen, sei aber Länderaufgabe, meint die Politikerin.

Ausreisepflichtige wehren sich im Flugzeug

Viele Abschiebungen scheitern auch am Flughafen oder im Flugzeug. Fluggesellschaften oder Piloten weigern sich, Ausgewiesene mitzunehmen, weil diese sich absichtlich schlecht benehmen. "Die Luftsicherheit ist in den Händen des jeweiligen Piloten und der entscheidet", weiß GdP-Vertreter Leitner. "Wenn die Person, ob Mann oder Frau, sich weigert, in den Flieger einzusteigen, aggressiv wird, Radau macht vor Ort, sagt der Pilot: Nö, ich nehm’ dich nicht mit. Dann scheitert das Ganze."

Anders sei das bei Charterflügen. "Aber eine ganze Maschine zu chartern kostet halt viel, viel Geld. Wenn ich das forcieren will, dann muss ich das Geld hier in die Hand nehmen und genauso braucht es entsprechendes Personal, wenn ich mehr abschieben will", sagt Leitner.

Wenn sich die Betroffenen, teils auch gewalttätig weigern, ist allerdings nicht mehr die Bundespolizei zuständig, sondern wieder die Landespolizei. Und liegt dann kein Haftbefehl vor, muss die ausreisepflichtige Person auf freien Fuß gesetzt werden.

Apolda scheitert an Abschiebung

Dass Abschiebungen scheitern, kann aber auch Gründe wie Krankheit haben. Teils weigern sich auch die Herkunftsländer, Menschen zurückzunehmen. In anderen Fällen fehlen die Ausweispapiere. Die Behörden müssen dann die Staatsangehörigkeit klären und Passersatzpapiere beschaffen. Dabei sind sie allerdings auf die Kooperation der Herkunftsländer angewiesen.

Mehr zum Thema

Der Fall eines abgelehnten Asylbewerbers im thüringischen Apolda zeigt das Problem beispielhaft. Der Mann soll in Deutschland mehrere Straftaten begangen haben. Eine Abschiebung gestaltet sich aber schwierig, weil Dokumente fehlen und sich die marokkanischen Behörden querstellen. "Er kommt aus Marokko und jetzt geht es darum, einen Pass zu beschaffen", erklärte Thüringens Innenminister Georg Maier wütend bei ntv. "Da müssen die marokkanischen Behörden mitmachen. Das ist bisher nicht erfolgt, wie es notwendig gewesen wäre."

Damit nicht mehr so viele Abschiebungen scheitern, fordern die Polizeigewerkschaften eine bessere Vernetzung von Polizei und Verfassungsschutz deutschlandweit, eine bessere Ausstattung und mehr Kompetenzen. "Wir müssen hier Kompetenzen an die Polizeien ausweiten. Wir müssen hier besser und größer abschieben können. Und wir müssen Abkommen mit Herkunftsländern und Drittstaaten treffen können, damit wir auch abschieben können", sagt GdP-Chef Roßkopf.

Viele sehen Dänemark als Vorbild. Das Land fährt seit Jahren einen strengen Kurs in der Asylpolitik. Hier werden viel weniger Asylanträge gestellt als in Deutschland - und ausreisepflichtige Asylbewerber konsequent abgeschoben.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen