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Eine Frage der Finanzierung Wie geht es mit dem 9-Euro-Ticket weiter?

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Eine Frage der Finanzierung: das 9-Euro-Ticket.

Eine Frage der Finanzierung: das 9-Euro-Ticket.

(Foto: picture alliance/dpa)

Verkehrsminister Wissing nennt das 9-Euro-Ticket einen "fulminanten Erfolg". Nichtsdestotrotz lehnt der FDP-Politiker eine Fortsetzung des Billigfahrscheins ab. Dazu, wie es mit der Monatskarte weitergehen könnte, gibt es viele Vorschläge. Teuer wird es so oder so.

Das, was Volker Wissing sagt, strahlt Überzeugung aus. Als die "beste Idee für den Bahnverkehr seit ganz langer Zeit" bezeichnete der Verkehrsminister die Einführung des 9-Euro-Tickets in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Tatsächlich gibt es dafür viele Argumente. Allein im Juni haben es etwa 31 Millionen Menschen gekauft. Laut einer Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom gab es in dieser Zeit weniger Staus. Die TU München hat in einer Studie erforscht, dass mehr Bus und Bahn und teilweise sogar etwas weniger Auto gefahren wurde. Hinzu kommt der große Entlastungseffekt für einkommensschwache Haushalte: Normalerweise kostet eine Monatskarte in deutschen Großstädten laut ADAC derzeit durchschnittlich rund 80,60 Euro.

Doch auch wenn FDP-Politiker Wissing das 9-Euro-Ticket einen "fulminanten Erfolg" nennt, eine pauschale Verlängerung des Billigfahrscheins lehnt er ab. Denn am Ende ist es eine Frage des Geldes. Wenn die Fahrgäste weniger zahlen, muss der Staat die Differenz übernehmen. Auch deshalb stößt das Ticket bei Finanzminister Christian Lindner auf Ablehnung. Er sei gegen eine "Gratis-Mentalität", sagt der FDP-Chef bei ntv. "Und das noch mit Steuergeld zu subventionieren, halte ich auch für ungerecht." Am Ende finanziere das "die Familie mit einem mittleren Einkommen, die auf dem Land lebt, Steuern zahlt, keinen Bahnhof hat und auf das Auto angewiesen ist". Lindner plädiert dafür, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket auslaufen zu lassen, dafür aber die Pendlerpauschale zu erhöhen.

Wissing sieht zudem auch die Länder in der Verantwortung. "Der ÖPNV und auch die Tarifgestaltung sind Ländersache und nicht Sache des Bundes", sagte er vergangene Woche in der ARD. Er könne das Ticket gar nicht gestalten, das müssten die Länder machen. Die Länder ihrerseits erinnern daran, dass es den Bund bei der Finanzierung brauche. Die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Senatorin Maike Schaefer, wies darauf hin, dass in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe derzeit über ein sozial gestaffeltes Ticket diskutiert werde. "Die Umsetzung wird aber nur mit einer massiven Anhebung der Regionalisierungsmittel durch den Bund möglich sein", erklärte die Grünen-Politikerin.

69 statt 9 Euro?

Trotz der noch offenen Finanzierungsfragen stellt Wissing zumindest die Möglichkeit eines Nachfolgers des 9-Euro-Tickets in Aussicht. Darüber entscheiden will er aber erst am Jahresende, wenn die Datenlage eine bessere ist. Schon jetzt kann er sich über fehlende Vorschläge nicht beklagen. Aus den Reihen von SPD und Grünen gibt es die Forderung, das 9-Euro-Ticket zum gleichen Preis zu behalten. Das könnte jedoch teuer werden: Wenn monatlich rund 31 Millionen Menschen das Ticket kaufen, würde das jährlich etwa 10 Milliarden Euro kosten. Hinzu kommt das Geld, das es braucht, um den Regionalverkehr dauerhaft auf den Passagieransturm vorzubereiten - auch das hat das 9-Euro-Ticket gezeigt. Grünen-Chefin Ricarda Lang plädierte im "Tagesspiegel" dafür, den Billigfahrschein durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen zu finanzieren.

Mit Blick auf die Kosten und den wachsenden Passagierandrang gibt es aus der Branche einen anderen Vorschlag: Geht es nach dem Verband der Verkehrsunternehmen (VDV), sollen aus den 9 bald 69 Euro monatlich werden. Trotz des deutlich höheren Preises würde das Ticket laut Verband jährlich etwa zwei Milliarden Euro vom Staat brauchen. Den Worten von Verbandschef Oliver Wolff zufolge könnte die Branche das bereits ab dem 1. September umsetzen. Alternativ plädierte er in der "Süddeutschen Zeitung" dafür, das 9-Euro-Ticket übergangsweise für zwei Monate fortzusetzen.

Dabei will der VDV eine bestimmte Klientel erreichen: Die "relevante Zielgruppe" sind einer Mitteilung zufolge zahlungswillige Autofahrerinnen und -fahrer. "Gleichzeitig würde so sichergestellt, dass neu hervorgerufene Mehrfahrten wie beim 9-Euro-Ticket auf einem vertretbaren Maße gehalten werden", hieß es. Haushalte mit geringen Einkommen profitieren davon also nicht unbedingt. Erst in einem zweiten Schritt sollen zu Beginn des nächsten Jahres "sozialpolitisch wünschenswerte Varianten vorbereitet werden".

"Natürlich ein Sonderangebot machen"

Damit aber von Anfang an alle davon profitieren können, schlagen die Verbraucherzentralen ein 29-Euro-Ticket vor. "Das würde in der Preiskrise alle entlasten, insbesondere aber Haushalte mit wenig Geld, und zudem der Verkehrswende mehr Schub geben", sagte die Chefin des Bundesverbandes (VZBV) Jutta Gurkmann.

Unterstützung bekommt sie dabei vom Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Das 69-Euro-Ticket sei aus seiner Sicht viel zu teuer, erklärte Knie dem ZDF. Es gehe darum, dass Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umstiegen. "Dafür muss man natürlich ein Sonderangebot machen." Ähnlich wie Grünen-Chefin Lang fordert er zudem, autofreundliche Förderungen zu reduzieren. Damit ließe sich das 29-Euro-Ticket finanzieren.

Der vierte Vorschlag ist für die Bahnreisenden nur etwas teurer: das 365-Euro-Ticket. Unterstützt wird das von CSU-Chef Markus Söder und dem Städte- und Gemeindebund. "Die Bürgerinnen und Bürger haben ein hohes Interesse, ohne Tarifdschungel Busse und Bahnen in ganz Deutschland nutzen zu können. Das zeigen auch die Erfahrungen des 9-Euro-Tickets", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Auch das Beispiel Österreich zeigt, dass ein 365-Euro-Ticket auf hohe Akzeptanz stößt." In Wien ist es bereits seit Jahren im Einsatz.

"Solche Zustände noch nie erlebt"

Doch auch das 365-Euro-Ticket braucht zusätzliches Geld. Wie viel genau, hat Greenpeace in einer Studie nachgerechnet. Davon ausgehend, dass es durch den höheren Preis auch weniger Leute kauften, würde es jährlich ungefähr vier Milliarden Euro mehr kosten. Auch die Umweltorganisation schlägt vor, im Bundeshaushalt umzuschichten und Auto-Subventionen wie etwa das Dienstwagenprivileg zu streichen. Damit ließe sich ein sogenanntes Klimaticket finanzieren.

Damit hat Verkehrsminister Wissing die Wahl. Unerheblich davon, wie er sich im Winter entscheiden wird: Teuer wird es so oder so. Denn alle theoretischen Nachfolger des 9-Euro-Tickets sind mit der aktuellen Realität des ÖPNV konfrontiert. "Es ist ja nicht so, dass der niedrigste Preis immer die größte Zufriedenheit herbeiführt. Wenn die Leistung dahinter nicht stimmt, dann nutzt es niemandem, für einen Euro fahren zu können, aber die Takte passen nicht", sagte Wissing vergangene Woche. Zudem zeigt eine Studie der Universität Kassel eine erste Tendenz, dass das 9-Euro-Ticket auch dort besser ankommt, wo der ÖPNV gut ausgebaut ist.

Und auch die bisherige Bahninfrastruktur ist für die Dauerbelastung überhaupt nicht ausgelegt. Vor wenigen Wochen zeigten sich die beiden Gewerkschaften besorgt über die Lage der Deutschen Bahn. "Ich habe solche Zustände wie in diesem Sommer noch nie erlebt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, der "Welt am Sonntag". Der Fahrgast-Ansturm auf den Nahverkehr seit Anfang Juni habe zu starken Abnutzungserscheinungen geführt. "Wir stellen schon sehr frühzeitig Schäden durch die starke Nutzung des 9-Euro-Tickets fest: Aufzüge sind defekt, Toiletten in Zügen funktionieren nicht mehr, es wird einfach alles sehr stark belastet", sagte Burkert. "Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits an der Belastungsgrenze." Die Krankenstände stiegen. "Wir merken: Das 9-Euro-Ticket macht krank." Auch der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sagte der Zeitung, dass der Zustand des Staatskonzerns "durch jahrelanges Kaputtsparen katastrophal" sei.

Quelle: ntv.de

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