Was Putin wirklich willDas ist kein Friedensplan, sondern hybride Kriegsführung

Das Sterben an der Front muss aufhören? Wer will sich also einem "Friedensplan" in den Weg stellen? Doch die 28 Punkte aus dem Kreml sind vergiftet.
Es nennt sich Friedensplan. Es sieht aus wie ein Friedensplan (28 Punkte, in denen die Begriffe "Nichtangriffsabkommen", "Deeskalation", "Sicherheitsgarantien" und "Wiederaufbau" vorkommen). Es wird behandelt wie ein Friedensplan (sämtliche westliche Ukraine-Unterstützerstaaten tun seit einer knappen Woche nichts anderes mehr als auszuloten, unter welchen Bedingungen dieses Papier, akzeptierbar wäre). Also ist es auch einer?
Keineswegs, und diese Bewertung reift nicht nur aus der Erkenntnis, dass die 28 Punkte direkt aus der Feder des Angreifers stammen. Die Truppen von Russlands Machthaber Wladimir Putin haben die Ukraine vor bald vier Jahren überfallen und jetzt kommt aus seinem Umfeld plötzlich ein sogenannter "Friedensplan", der diesen Krieg beenden soll. Dass die Ukraine und ihre europäischen Unterstützer die Punkte nicht in der Ursprungsfassung durchwinken würden, war auch den Russen von Anfang an klar. Einige Änderungen konnten die Europäer in den Genfer Verhandlungen durchsetzen. Gerade so viel, dass Putin den neuen Entwurf ablehnen wird mit der Behauptung, Europa wolle keinen Frieden.
Es geht darum, Zwietracht zu säen
Doch der strategische Schritt, diesen Vertrag zu lancieren, birgt für den Kreml trotzdem enorme Vorteile. In erster Linie schürt er Zwietracht zwischen den westlichen Ukraineunterstützern, namentlich zwischen den Europäern und den USA. Das ist natürlich immer gut für Diktator Wladimir Putin, der jetzige Zeitpunkt schien aber besonders günstig:
Zum einen beißt sich die russische Armee nach wie vor an den Verteidigungsstellungen der Ukrainer im Donbass fest. Immer wieder werden zwar taktische Erfolge vermeldet, hier ein Dorf eingenommen, dort eine Versorgungsroute abgeschnitten, aber das geschieht zu einem immens hohen Preis an Mensch und Material, und ein Durchbruch wurde bislang nicht erreicht. Der Ukraine mangelt es vor allem an Streitkräften, aber auch die russischen Truppen könnten in besserem Zustand sein, als es derzeit der Fall ist.
Zum zweiten hatte zuletzt unter westlichen Unterstützerstaaten der Plan, die in Belgien eingefrorenen Milliarden der russischen Zentralbank für die Ukraine zu nutzen, deutlich Fahrt aufgenommen. Kreative Ideen wurden entwickelt, wie man die 185 Milliarden Euro in EU-Anleihen indirekt investieren könnte, damit die EU-Kommission einen Kredit an die Ukraine weitergeben kann. Die Belgier zierten sich noch etwas, das eingefrorene Geld zu benutzen, aber da war ganz deutlich Musik drin. Mit dem Geld könnte Kiew seine Verteidigung verlässlich zwei weitere Jahre finanzieren. Eine Aussicht, die Putin kaum gefallen dürfte.
Offenbar sah man also im Kreml Handlungsbedarf und stellte einen Plan mit 28 Punkten zusammen. Ein nicht geringer Teil davon für die Ukraine in der Form unannehmbar, insofern eine leichte Übung - kostet ja nichts und lenkt vor allem die Gegenseite erstmal gründlich ab. Ein gewiefter Schachzug, um einmal auszutesten, wie weit man denn so kommt mit einem Dokument, das nicht etwa von erfahrenen Diplomaten des Pentagon mit ausgearbeitet wurde, sondern von Trumps Lieblings-Immobilienhändler Steve Witkoff. Der erwies sich auch bei zurückliegenden Besuchen im Kreml schon als leicht beeinflussbar und nicht sehr prinzipientreu.
Siehe da: Man kommt damit sogar ziemlich weit. So weit, dass US-Präsident Donald Trump die russischen Vorschläge und Forderungen eins zu eins übernahm und an die Ukrainer weiter reichte, ergänzt um die Aufforderung, sich bis kommenden Donnerstag zu entscheiden. So bereitwillig machte der Präsident diesen Job, dass sich über eine ganze Weile sogar das Missverständnis hielt, es handele sich um Trumps eigenen "Friedensplan".
Putin winkt Trump mit Geld
Dass der US-Präsident sich mit dem Papier derart anfreunden kann, hängt auch damit zusammen, dass Russland darin die richtigen Knöpfe drückt. Es winkt nicht nur ein weiteres "Kriegsende", um Trump dem angestrebten Friedensnobelpreis nochmal ein Stück näher zu bringen. Vor allem winkt es auch mit dem, was der ehemalige Immobilienmogul in allererster Linie und quasi ständig im Blick hat: mit Geld.
Wenn in Punkt 10 vertraglich festgeschrieben wird, dass Sicherheitsgarantien der USA nur gegen Bezahlung zu haben sind, dann klingelt in Trumps Phantasie die Kasse. Noch wichtiger: Der Kreml bietet in Punkt 14 an, das eingefrorene russische Vermögen mindestens teilweise an die USA abzutreten. Zudem beinhaltet der Vertrag unter Punkt 13 ein langfristiges Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA. Es geht um Energie, Infrastruktur, KI, seltene Erden, "sowie für beide Seiten vorteilhafte Unternehmensmöglichkeiten", so der Wortlaut im Papier.
Die Passagen zum Thema Geld sind aus einem weiteren Grund besonders wichtig: Wenn die USA Aussicht auf Dollars aus dem eingefrorenen russischen Vermögen haben könnten, wird Belgien noch unwilliger, die Milliarden im Sinne der Ukraine anzufassen. War zuvor schon die Sorge da, sich mit Russland und internationalen Geldgebern anzulegen, so fürchten die Belgier wohl erst recht, dass ihnen Trump aufs Dach steigt, wenn er feststellt: Das Geld, das ihm Putin zuschanzen wollte, ist leider grad an Selenskyj verliehen.
Dieser Pflock, den die europäischen Staaten eigentlich zeitnah einhauen wollten, um die Ukraine auch ohne US-Waffenhilfen resilient zu halten, kommt durch den russischen Plan erheblich ins Wanken, und dazu muss der nicht mal beschlossen werden.
Bekommt der ukrainische Präsident aber in Zukunft nicht diese massive finanzielle Unterstützung, dann ist es faktisch egal, ob die Truppenobergrenze bei 600.000 oder bei 800.000 Soldatinnen und Soldaten festgeschrieben würde (Punkt 6), wie es die europäischen Unterstützer in Genf erstritten haben. Denn Kiew könnte es sich dann ohnehin nicht leisten, über einen längeren Zeitraum im Zustand der Mobilmachung zu bleiben. Viele junge Leute würden versuchen, das Land Richtung EU zu verlassen, besonders aus den größeren Städten in der Nähe der neuen Grenzlinie.
Nach einer Pause marschiert Russland wieder ein
Russland könnte sich das langsame Ausbluten der ukrainischen Kräfte eine Weile lang entspannt anschauen, bevor es darauf pocht, dass die Ukraine doch in Punkt 20 zugestimmt hatte, sprachliche Minderheiten gemäß EU-Vorschriften zu schützen. Dann wird man irgendeine Form frei erfundener Diskriminierung von Exilrussen anprangern und erklären, dass man zum Schutz der russischen Minderheit jetzt leider gewaltsam vorgehen muss. Und damit kann sich Russland nach einer kurzen Verschnaufpause den Rest der Ukraine - wie geplant und vielfach öffentlich erklärt - auch noch einverleiben.
Nein, nicht überall, wo "Friedensplan" oben drüber steht, sind auch konstruktive, ernst gemeinte und verlässliche Lösungsvorschläge drin. Der 28 Punkte Plan macht aber schon jetzt einen brillanten Job für die russische Seite: Er stößt einen Keil ziemlich tief zwischen diejenigen, die lange gemeinsam an Kiews Seite standen. Hybride Kriegsführung nennt man so etwas. Sich gegen diesen Angriff zur Wehr zu setzen, wird vielleicht die anspruchsvollste Aufgabe, die Kiews Unterstützerländer in vier Jahren Krieg zu meistern hatten.