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Zwei Jahre Krieg in der Ukraine Deutschland muss die echte Zeitenwende fürchten

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Hoffen auf Biden - Bundeskanzler Scholz am 9. Februar in Washington.

Hoffen auf Biden - Bundeskanzler Scholz am 9. Februar in Washington.

(Foto: dpa)

Deutschland hofft und hofft und hofft. Auf US-Präsidenten, die Europa beschützen. Bis jetzt ging diese Strategie auf. Doch zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine müssen wir endlich verstehen: Das reicht nicht mehr.

Die Schockwellen nach Donald Trumps Äußerungen über die NATO erreichten Berlin schneller als Washington. Ein ehemaliger - und womöglich künftiger - US-Präsident, der offen amerikanische Verbündete in die Pfanne haut und Russland noch dazu "ermutigt" gegen NATO-Staaten vorzugehen, die nicht genug für ihre eigene Verteidigung bezahlen, das war schon ein neues Level.

Aber eigentlich auch nichts Neues, dieser Trump-Wahnsinn. Die Wahrheit ist doch: Russland musste erst die Ukraine angreifen, damit Deutschland vor zwei Jahren aus seinem Tiefschlaf geweckt wurde und endlich mit seiner ignoranten Haltungen gegenüber der eigenen Bundeswehr brach. Der Zeitenwende-Bundeskanzler Olaf Scholz war als Finanzminister in der letzten Merkel-Groko einer der ganz großen Widersacher gegen das Zwei-Prozent-Ziel. Scholz ließ damals, 2019, sogar eine (für heutige Verhältnisse sehr vorsichtige) Formulierung aus der Halbzeitbilanz der großen Koalition streichen, in der stehen sollte, dass sich Deutschland verpflichtet fühle, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen.

Genau dieser Bundeskanzler sitzt vor ein paar Wochen im Weißen Haus in Washington D.C. und muss zugeben: "Ohne die Unterstützung der USA wird es für die Ukraine unmöglich, ihr Land zu verteidigen."

Deutsches Wunschdenken

In den Fehlern der Vergangenheit liegt ein Schlüssel, um die heutige Situation zu verstehen. Die SPD, aber auch viele Politikerinnen und Politiker anderer Parteien, schätzten die Lage jahrelang gänzlich falsch ein. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck sagte vor einem Jahr mit Blick auf das Verhältnis zu Russland: "Es gibt in Deutschland ein Wunschdenken, das weit über die Sozialdemokratie hinausgeht: Wenn wir den Gegner nur freundlich genug anschauen, dann reagiert der auch in entsprechender Weise. Man hat diese Andersartigkeit des Gegenübers nicht erkannt. Man wollte auch nicht Feindschaft wahrnehmen, wo schon Feindschaft existierte."

Und deutsche Bundesregierungen ignorierten die offensichtlichen Warnsignale: ob Putins Annexion der Krim im Jahr 2014 oder Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 und das damals vorläufige Ende der harmonischen transatlantischen Beziehungen. Dass Donald Trump die NATO als "obsolet" einstuft, das ist spätestens seit 2017 klar. Doch was tat man, um sich für die Zukunft zu wappnen? Man hoffte auf Joe Biden. Vier Jahre lang.

Nun hofft man wieder… auf Joe Biden. Doch dieses Mal ist die Welt eine andere und die Republikanische Partei in den USA entwickelt sich zunehmend zu einer seelenlosen Ansammlung von Trump-Fanatikern.

Sicherheit Europas nicht mehr gewährleistet

Mittlerweile erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel, wenn auch mit ein paar Tricks. Doch der SPD-Politiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, sagt: "Eine zweite Amtszeit von Donald Trump käme einer erneuten Zeitenwende gleich, weil die Sicherheit Europas vom ersten Tag seiner Amtszeit nicht mehr gewährleistet wäre. Putin wird das als Einladung verstehen, die Grenzen unserer Partner an der NATO-Ostflanke auszutesten." Die Sicherheit Europas wäre nicht mehr gewährleistet, wenn die Amerikaner sich für einen anderen US-Präsidenten entschieden? Es wäre eine Zeitenwende, die Deutschland fürchten müsste. Roths Einschätzung dürfte stimmen, aber sie ist auch verdammt traurig.

Denn das Problem ist: Deutschland springt weiterhin nur so hoch, wie es muss. Dabei müssten wir uns jetzt trauen, ganz neu über unsere Verteidigung und die Verteidigung Europas nachzudenken. Dazu würde dann aber auch gehören, dass sich die SPD klar - und zwar als ganze Partei - zu dieser Verteidigung bekennt.

Wir dürfen jedenfalls nicht weiterhin nur auf Biden hoffen. Wir müssen endlich höher springen. Das schulden wir der Ukraine, vor allem aber uns. Und letztlich schulden wir das auch den Amerikanern, die sich jahrzehntelang um den Schutz der Bundesrepublik gekümmert haben. Der ehemalige US-Außenminister Dean Acheson schrieb 1963 in einem Essay für "Foreign Affairs", dass die NATO keinen wirklichen Plan für die Verteidigung Europas habe. 60 Jahre später fragt man sich: Haben wir diesen Plan eigentlich heute?

Quelle: ntv.de

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