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Tricks bei Verteidigungshaushalt Hauptsache zwei Prozent

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Verteidigungsminister Boris Pistorius, Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Deutschland meldet an die NATO, dieses Jahr erstmals seit über 30 Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Das ist ein Fortschritt, aber auch ein Trick: Tatsächlich wird weitaus weniger ausgegeben.

Eigentlich müssten heute im Kanzleramt die Sektkorken knallen. Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius müssten vor die Presse treten und feierlich verkünden: "Wir haben es geschafft." Warum? Weil die NATO Deutschland gerade bestätigt hat, erstmals seit 1992 wieder zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung ausgegeben zu haben.

Dass kein Triumphgeheul aus dem Regierungsviertel zu hören ist, könnte daran liegen, dass die Mundwinkel bei einem genauen Blick auf die zwei Prozent gleich wieder nach unten gehen. Tatsächlich stecken in diesen zwei Prozent viele Milliarden Euro, die hier und heute rein gar nichts zur Verteidigung Deutschlands beitragen.

In Wahrheit hat die Bundesregierung überaus großzügig definiert, was alles zur Verteidigung Deutschlands beiträgt. Darin stecken Zinszahlungen für Bundesschulden sowie das Sondervermögen der Bundeswehr oder auch Pensionen für einstige Soldaten der DDR-Armee NVA - und 7,5 Milliarden Euro Hilfen für die Ukraine. Auch dieses Geld trägt zum Erreichen der NATO-Quote bei. Ohne so eine überaus wohlwollende Einschätzung dessen, was "Verteidigungsausgaben" sind, würden sich diese nicht auf zwei Prozent des BIP summieren.

Konkret geht die NATO davon aus, dass Deutschland etwa 73,4 Milliarden US-Dollar (ca. 66 Milliarden Euro) für Verteidigung ausgibt. Das meldet die dpa unter Berufung auf NATO-Dokumente. Das sollen 2,01 Prozent des BIP sein. Die Zahl von 66 Milliarden Euro überrascht, denn sie ist deutlich niedriger als jene, die zuvor in Deutschland kursierten. Im Verteidigungshaushalt selbst stehen für das laufende Jahr 51,8 Milliarden Euro. Aus dem Sondervermögen kommen knapp 19,2 Milliarden hinzu. Das macht zusammen 71 Milliarden Euro.

Das Ifo-Institut rechnete aber im vergangenen Sommer aus, dass das nur 1,7 Prozent des BIP für 2024 sind. Zu den vollen 2 Prozent fehlten demnach noch 14 Milliarden Euro. Nach deutschen Zahlen müsste die Bundesregierung also rund 85 Milliarden Euro für Verteidigung einplanen. Dass bei der NATO schon 66 Milliarden Euro für zwei Prozent reichen, liegt daran, dass die Allianz die Zahlen auf das niedrigere Preisniveau von 2015 zurückrechnet, um sie vergleichbar zu machen.

Scholz stand im Wort, das Ziel zu erreichen

Der Unterschied zwischen 66 und 85 Milliarden Euro geht auf die Inflation und die Entwicklung des Dollar-Euro-Wechselkurses seit 2015 zurück, wie Marcel Schlepper vom Ifo-Institut ntv.de sagt. Füge man die Inflation wieder hinzu, komme man auf rund 86 Milliarden Euro. Das bedeutet auch: Für die NATO-Quote von 2 Prozent haben diese Rechnungen keine Auswirkungen.

Die Bundesregierung dürfte also rund 86 Milliarden Euro Verteidigungsausgaben an die NATO gemeldet haben - inklusive besagter 14 Milliarden Euro. Scholz stand im Wort, endlich das Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen. In seiner bemerkenswerten Rede am 27. Februar 2022, drei Tage nach der russischen Invasion, hatte Scholz das Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt und gelobt, künftig jedes Jahr zwei Prozent für Verteidigung auszugeben.

2022 gelang das nicht, 2023 auch nicht. 2024 sollte es endlich so weit sein. Die Lösung des Problems: Andere Ministerien sollten die 14 Milliarden Euro beisteuern. Alle Ausgaben, die irgendwie als "verteidigungsnah" deklariert werden konnten, sollten in die Zwei-Prozent-Rechnung miteinfließen. Das ist zwar durchaus üblich so. Vor dem Ukraine-Krieg kamen so etwa 5 Milliarden Euro zusammen - also deutlich weniger als in diesem Jahr. Allerdings zählen auch die 7,5 Milliarden Euro Ukrainehilfe zu diesen 14 Milliarden Euro, die vorher nicht notwendig waren. Der restliche Betrag wurde aus anderen Ministerien zusammengesucht. Dazu zählen Dinge wie Krisenprävention des Auswärtigen Amtes, Kosten für den Bundesnachrichtendienst oder auch Entwicklungshilfe nach Kriegen. Selbst Kindergeldzahlungen an Soldaten fließen mit ein.

Der "Spiegel" berichtete im vergangenen Oktober über eine vertrauliche Liste aus dem Bundesfinanzministerium, in dem diese Posten im Einzelnen aufgelistet wurden. Demnach steuerte das Finanzministerium 11,2 Milliarden Euro Verteidigungsausgaben bei. Darin waren neben Hilfen für die Ukraine auch erstmals 4,5 Milliarden Euro Zinszahlungen auf Bundesschulden. Die Rückzahlung von Schulden wird demnach als Verteidigungsausgabe deklariert - ein Novum. Das wird damit gerechtfertigt, dass einst mit geliehenem Geld Waffen gekauft wurden. Das stimmt zwar, trägt aber heute nichts mehr zu einer besser funktionierenden Bundeswehr bei. Über diesen Punkt streiten Regierung und Opposition seit Monaten.

Überraschend ist auch, dass die NATO-Zahlen unter dem liegen, was Pistorius kürzlich im Bundestag gesagt hatte. Da sagte er, Deutschland gebe sogar 2,1 Prozent für Verteidigung aus. Laut NATO sind es aber nur 2,01 Prozent. Was aus den fehlenden 0,09 Prozent geworden ist, ist noch unklar. Informationen über die genaue Zusammensetzung der Zahlungen haben weder NATO noch Bundesregierung veröffentlicht.

Seit mehr als 20 Jahren strebt Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel an. 2002 wurde es auf einem NATO-Gipfel erstmals vereinbart, dann 2014 nach der Annexion der Krim durch Russland erneuert. Priorität hat es erst seit dem Überfall der Putin-Truppen in die Ukraine vor zwei Jahren. Dank des Sondervermögens über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr kamen die Verteidigungsausgaben überhaupt erst in die Nähe der ersehnten Marke.

Quelle: ntv.de

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