Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Wie viel Pechstein steckt in uns Deutschen?

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Pechstein trat mit ihrer Uniform bei der CDU auf, um eine politische Rede zu halten.

Pechstein trat mit ihrer Uniform bei der CDU auf, um eine politische Rede zu halten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Eine uniformierte Eisprinzessin verzaubert Friedrich Merz. Gut für ihn, denn andere bringen ihn dafür in unfassbarer Geschwindigkeit auf die Palme. Pechsteins Auftritt zu verspotten ist leicht, bringt uns aber nicht weiter.

Das Schlimmste an der Debatte um das dumpfe Gestammel der früheren Eisprinzessin Claudia Pechstein ist die Selbstverzwergung des Friedrich Merz. Zur Erinnerung, weil es ja schon einige Tage her ist: Pechstein stellte sich in Uniform auf den Parteitag der CDU und hielt da etwas, das formal wohl eine Rede sein sollte. Sie stammelte, stockte und stolperte von Satz zu Satz, beschwerte sich über Deutschland: gegen Gendersternchen, darüber, wie man ein Naturschnitzel vom Kalb mit Paprikasauce nennen soll, damit Restaurantbesucher nicht die Orientierung verlieren ("Zigeunerschnitzel"), und dass sie in Bus und Bahn sitzen wolle, "ohne ängstliche Blicke nach links und rechts werfen zu müssen", schleppende Abschiebungen.

So weit, so egal. Der Parteitag war ja besonders für CDU-Verhältnisse bunt. Vor Pechstein sprach immerhin der Grünen-Intellektuelle Ralf Fücks, aber der hatte seine Uniform vergessen und genoss daher keine öffentliche Aufmerksamkeit - Pech.

Merz jedoch nannte Pechsteins Auftritt dann auf Vorhaltung eines Journalisten trotzig "brillant" - und das ist das Traurigste, was ich über diesen traurigen Mann je gehört habe. Friedrich Merz, "häufig empfohlener Anwalt" für den Bereich Gesellschaftsrecht, wie man auf seiner alten Kanzleiseite nachlesen kann, ein Mensch von Bildung und Führungsgestalt der Partei von Adenauer, Kohl, Schäuble und Merkel, findet für Pechsteins Haspelei also den funkeligsten denkbaren Ausdruck passend: brillant.

"Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?"

Die von Pechstein geäußerten Gedanken sind sicher das, was man in allerlei Whatsapp-Gruppen zu hören bekommt. Brillant, also strahlend, sind sie deshalb nicht. Merz dürfte das kognitiv einordnen können, aber etwas trieb ihn. Vielleicht ist es seine größte, fatale Schwäche: Er ist reizbar und impulsiv wie ein Bär auf Kokain. Meilensteine der Merzschen Kränkbarkeit listete kürzlich Mariam Lau bei der "Zeit" auf. Die CDU-Politikerin Serap Güler fuhr Merz angeblich mit ausgestrecktem Finger im Plenum an: "Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?"

Merz ist eben cholerischer Chef der alten Schule. Erst kürzlich brachte Hendrik W. ihn mit einem Text zur Weißglut: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wüst schrieb in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Beitrag über die Zukunft der CDU. Die Partei müsse modern und offen sein - "also nicht wie Merz". Letzteres stand da aber nur ganz, ganz winzig klein zwischen den Zeilen. Ein wenig gemein ist das ganze auch deshalb, weil Angela Merkel bekanntlich Helmut Kohl per "FAZ"-Beitrag entsorgte. Solche Dinge merkt man sich in der CDU - und Merz merkt sich Merkel bis ans Ende seiner Tage.

Der Politiker war jedenfalls auf Tausend: "Das ist der Fehdehandschuh", habe er gesagt, berichtet Lau. Was ist das nur mit Herren aus der Union, dass sie bei der kleinsten Kränkung sofort in schwülstige Sprache verfallen? Merz klingt fast wie Christian Wulff, der den Ausdruck "den Rubikon überschreiten" für immer aus Julius Cäsars Händen riss und auf Kai Diekmanns Anrufbeantworter bannte.

Ein Markt für kalte Engherzigkeit

Vielleicht wollte Merz mit seinem grotesken Pechstein-Kompliment aber auch ganz absichtsvoll den Kurs festnageln. Merz sieht womöglich einen Markt für die eiskalte Engherzigkeit der Schlittschuhläuferin. Vielleicht zurecht: Es wabert gerade ein merkwürdiges Sumpfgas durch die Republik, die Fantasie einer Fremdbestimmtheit, die das "Volk" nun endlich durchbrechen müsse.

Hubert Aiwanger von den Freien Wählern etwa sagte kürzlich: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss." Wobei die Frage ist, wer, wenn nicht die Demokratie, den Aiwanger Huber auf den Stuhl des bayerischen Wirtschaftsministers gelassen hat?

Ein anderes Beispiel: Bei Spiegel TV filmen sie einen Mann, der angibt, das nächste Mal zur Wahl zu gehen, wenn die NSDAP wieder antritt. Als der Journalist den Holocaust zu bedenken gibt, erntet er Achselzucken.

Aus der braunen Suppe schöpfen

Will Merz also aus derlei brauner Suppe schöpfen, damit sie nicht weiter zur AfD fließt? Der Politikberater Erik Flügge hat präzise aufgedröselt, warum das fehlschlagen könnte. Er zeichnet die Wählerwanderungen nach und kommt zu dem Schluss: Es wandert niemand von einer der anderen Parteien zur AfD - die AfD mobilisiere schlicht Nichtwähler und die CDU verliere halt.

Es ist wie mit den Störchen und der Geburtenrate: Es sind zwei unabhängige Prozesse. So könnte dieser Text nun im Selbstvergewisserungssound enden: Merz fischt im Trüben, die Welt ist aber eigentlich in Ordnung.

Doch das ist sie nicht. Es gibt sie durchaus, die blinden Flecken im deutschen Diskurs. Etwa, wenn in einer Talkshow über das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen neben Rammstein auch das Thema "Catcalling" durch Menschen ausländischer Herkunft aufkommt. Als die CDU-Kommunalpolitikerin Lisa Schäfer bei "Hart aber Fair" gefragt wird, ob sie schon einmal belästigt worden sei, sagt sie: Wenn sie durch Brennpunktstraßen in größeren Städten laufe und ihr "junge Männer, deren Sprache ich teilweise nicht mal verstehe, Sprüche hinterherrufen", entstünde bei ihr ein Gefühl der Unsicherheit.

Sie erntet Spott: Der Moderator fragt sie, ob sie kein Englisch könne und eine Feministin sagt, so erginge es ihr auf dem Oktoberfest. Später wird sie bei Twitter nachlegen, Schäfer hätte "rassistische Narrative" bedient. Schäfer wiederum geht zu "Bild".

Stadtflucht vor Großfamilien

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Ende des Gesprächs- aber nicht Ende des Problems. In dieser Woche ereilte mich der Anruf einer alten Freundin. Ob sie aus Berlin wegziehen solle, fragte sie, es sei hier alles so teuer geworden. Doch sie frage sich zugleich, ob wohl das Leben in der Provinz im Kopf auszuhalten sei. Darüber grübelte ich auch jeden Tag, sagte ich. Aber in der Provinz gebe es halt keine Bundespolitik und spöttische Kolumnen über Rhododendren und Zeltfeste würden die Leute bei ntv mir vermutlich nicht abkaufen. Das Problem sei auch, ergänzte die Freundin mit leiser, aber fester Stimme, dass sie in Nachbarschaft arabischer Großfamilien wohne. Und sollten ihre Kinder denn in der Schule die einzigen mit blauen Augen sein?

Ich wollte ihren Satz sofort mit empörtem Kommentar veröffentlichen ("das ist ein rassistisches Narrativ!" oder so), da erinnerte ich mich: Wir sind ja gar nicht auf Twitter, sondern im Telefonat. Also hörte ich noch ein bisschen zu. Wen wird diese Freundin eigentlich wählen? Werden ihre Ängste eigentlich ausreichend debattiert? Hat sie, die ich bis dato für eine recht progressive Feministin hielt, bei Pechstein womöglich genickt?

Quelle: ntv.de

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