
Olaf Scholz war auch vor Ort.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft startet aus dem Rausch erfolgreich in den verrückten Alltag der Handball-Europameisterschaft. Nach dem Weltrekordspektakel reicht eine souveräne Pflichterfüllung für den ersten Meilenstein.
Was ist da in der Arena in Berlin eigentlich passiert?
Die erste gute Nachricht gab es für die deutsche Handball-Nationalmannschaft schon, da saßen sie noch in der Kabine: Im ersten Spiel des Abends knöpfte die Schweiz, beim Weltrekordspiel von Düsseldorf zum EM-Auftakt gegen das DHB-Team noch böse unter die Räder gekommen, dem großen Favoriten Frankreich mit 26:26 sensationell einen Punkt ab. Und sortierte so noch einmal ein wenig die Leistung der deutschen Mannschaft ein, die, gestützt auf eine gnadenlose Verteidigung, überhaupt nur 14 Gegentore zugelassen hatte.
Dass am Ende dieses aus deutscher Sicht wieder einmal gelungenen Handball-Abends das "Ohwieistdasschön"-O-Meter, wie es in den Hallen des Landes immer wieder in einer Mischung aus Reflex und Gewohnheit bemüht wird, ausschlug, dafür haben sie dann aber auf der Platte wieder selbst gesorgt: Gegen streckenweise völlig überforderte Nordmazedonier war der vorzeitige Einzug des deutschen Teams beim 34:25 (18:13) nie in Gefahr.
Eine Menge inspirierter Momente der Achse von Spielmacher Juri Knorr und Kreisläufer Johannes Golla und eine aufmerksame Abwehr, die zahlreiche Ballgewinne und einfache Tore erkämpfte, reichten für eine klare Führung schon nach der ersten Hälfte - in der - und das ist die überraschendste Nachricht des Abends - die deutsche Torwartleistung überhaupt keine Rolle spielte.
Eine Chance erkämpften sich die Gäste nie, auch nicht, als die deutsche Mannschaft in der zweiten Hälfte kurz durchhing. Tor um Tor setzte sich die im Laufe des Spiels wild durchgewechselte Mannschaft ab, am Ende stand ein klarer Sieg. Dank eines effizienten, teilweise rasanten Tempospiel gegen einen sich auflösenden gegnerischen Rückzug. Mit schönen, teils spektakulären Toren. Und nichts, was den Franzosen Angst machen muss. Aber die haben ja erstmal genug mit sich selbst zu tun.
So wars in der Halle:
Richtig laut wurde es in der Berliner Mercedes-Benz-Arena rund um den Anpfiff des zweiten Vorrundenspiels zweimal: Als Torwart-Held Andreas Wolff einlief - und als die Anwesenheit von Ehrengast Olaf Scholz verkündet wurde. Während der Europameister von 2016 frenetisch gefeiert wurde, wurde der Bundeskanzler von 2024 ausgepfiffen.
Auf den Rausch aus dem Eröffnungsspiel folgte dann keinesfalls der Kater. Nein, der soll irgendwann in der Woche nach dem 28. Januar, nach dem Finalwochenende dieser Heim-EM, übers deutsche Handball-Volk kommen. Aber jede gute Party braucht eben auch Phasen der relativen Ruhe. Das zweite deutsche Vorrundenspiel war kein Rausch, die Mercedes-Benz-Arena nicht die Bühne fürs nächste ganz große Spektakel. Mit 13.571 Zuschauern war sie freilich ausverkauft. Aber es war halt kein Weltrekordspiel, kein Spektakel, kein Krimi und kein Spiel ums sportliche Überleben. Bundestrainer Alfred Gislason sprach von der "Freundschaftsspiel-Atmosphäre". Die Fallhöhe war gering und am Ende des Tages sorgte das DHB-Team auch ohne den ganz großen Glanz für ein einseitiges Handballspiel. Das muss man ja auch mal aushalten können.
Die Szene des Spiels:
Halten Sie sich fest, Sie dürfen sich sogar die Augen reiben: Nur neun Prozent der Würfe, die auf sein Tor kamen, hielt Andreas Wolff, Deutschlands Super-Torwart. Eine Parade produzierte der 32-Jährige. Eine Nicht-Leistung, nachdem Wolff zum Auftakt eine unglaubliche Vorstellung abgeliefert hatte. Es werden wieder andere Tage kommen, Wolff ist ein Weltklasse-Rückhalt, der den Weg zu größeren Zielen ebnen muss. Nun räumte Wolff das Tor früh für den jungen David Späth. Und der U21-Weltmeister weckte das Publikum, das sich zeitig im wohligen Gefühl des unvermeidlichen Pflichtsieges eingerichtet hatte, mit drei Paraden zu Beginn des zweiten Durchgangs. Dann ging alles wieder seinen geregelten Gang.
Wird Deutschland jetzt Europameister?
Es geht ja bei diesen Turnieren, im Sport an sich, um Ergebnisse. Um wichtige Punkte fürs Weiterkommen, für Titel, zum Erreichen von Zielen und Erfolgen. Nüchtern betrachtet hat sich die deutsche Nationalmannschaft gegen Nordmazedonien also zwei wichtige Punkte gesichert, der erste Meilenstein, die Hauptrunde, ist vorzeitig erreicht. Ein Erfolg ist das noch nicht, die Ziele sind ganz andere und reichen deutlich über die Hauptrunde hinaus. Die Träume sowieso.
Aber diese Siege haben ja auch weiche Faktoren: Die Handball-Euphorie soll das Team durchs Turnier tragen, den Heimvorteil hatten sie immer wieder beschworen. Der Bundestrainer, die Spieler, die Verantwortlichen. Der Erfolg über den giftigen, aber überforderten Außenseiter passte nun perfekt ins Drehbuch: Auf den Rausch aus dem Weltrekord-Eröffnungsspiel, folgte ein souveräner Pflichtsieg.
Ein weiterer dieser begleitenden Faktoren, die der deutschen Mannschaft im weiteren Verlauf des Turniers helfen kann: Wie schon gegen die Schweiz konnte der Bundestrainer wichtigen Spielern lange Pause verschaffen. Kapitän Johannes Golla wurde schon nach weniger als einer Viertelstunde zum Teilzeitarbeiter, der offensiv unglückliche Julian Köster verabschiedete sich wenig später dauerhaft auf die Bank. Im weiteren Laufe des Spiels wechselte Gislason durch und gab dem gesamten Kader Spielzeit. Das hilft, jetzt, da das Team in den üblichen Zweitages-Rhythmus bei den großen Turnieren eingetreten ist.
An der Konstellation vor dem Gruppenfinale gegen Olympiasieger Frankreich ändert der Abend freilich nichts - zumindest nicht für die deutsche Mannschaft mit Blick auf die Hauptrunde: Schlägt das DHB-Team die gerupften Franzosen, nehmen sie zwei Punkte mit auf dem Weg ins Halbfinale. Bei einer Niederlage im letzten Vorrundenspiel wären es null.
Wie hat sich diesmal der Top-Politiker geschlagen?
Mit dem Kanzler in die Hauptrunde: Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Europameisterschaft in Düsseldorf eröffnet hatte, schaute nun Olaf Scholz vorbei. Einen Auftritt an einem Mikrofon sah das Protokoll für den Bundeskanzler nicht vor. Steinmeier hatte in Düsseldorf bei seiner Rede für Verwunderung gesorgt, als er die "Europameisterschaft in Europa" zunächst im englischsprachigen Teil seiner Ansprache ins Jahr "twenty-twentytwo", also ins Jahr 2022 verlegt hat. Und damit für Gelächter in der Halle gesorgt.
Der Bundeskanzler, in seiner Freizeit dann und wann beim Zweitligisten 1. VfL Potsdam auf der Tribüne zu sehen, musste nun bei seiner Begrüßung ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen. "Wir haben die klare Erwartung, dass der Bundeskanzler das Team lautstark unterstützt. Weil das machen alle Fans, die hier in die Halle kommen", hatte DHB-Sportvorstand Axel Kromer mit einem Augenzwinkern gefordert. Und Scholz lieferte: Er klatschte, wie alle der 13.571 Zuschauer in der Halle. Ausfälle leistete er sich in der Halle nicht. Seine Vorgängerin Angela Merkel hatte bei der Heim-WM 2019 nicht die Zeit für einen Besuch beim Turnier gefunden.
Die Stimmen:
Bundestrainer Alfred Gislason: "Die zweite Halbzeit war sehr gut, in der ersten Halbzeit hatten wir aber viele Fehlwürfe und zu viele Chancen liegen lassen. Da war zwar schon vieles gut - aber eigentlich nicht gut genug."
Jannik Kohlbacher (im ZDF): "Es ist der Wahnsinn, was Handball-Deutschland hier abreißt. Das ist phänomenal und steckt an. Wir wollen jedes Spiel gewinnen."
Quelle: ntv.de