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Wichtige Fragen zur Eishockey-WM Droht Deutschland das Blitz-Debakel?

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Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft startet mit dem neuen Bundestrainer Harold Kreis ambitioniert, aber mit vielen Fragezeichen in die Weltmeisterschaft. Der Kader muss viele Absagen aushalten, bekommt aber kurz vor Turnierstart noch hochkarätige Unterstützung. Das Auftaktprogramm ist knüppelhart, die drei größten Brocken der Gruppe warten direkt. Wir haben mit MagentaSport-Experte und Ex-Nationalspieler Kai Hospelt über die Chancen und Probleme des DEB-Teams gesprochen.

Mit welchem Ziel geht das DEB-Team ins Turnier? Die Direktqualifikation für die Olympischen Spiele 2026 in Mailand/Cortina ist das erklärte Ziel. Dafür könnte die Viertelfinalteilnahme reichen - vielleicht aber auch nicht. Denn noch ist offen, ob Russland - aktuell immer noch als Nummer drei der Weltrangliste geführt - in drei Jahren wieder mitspielen darf. Erst im März 2024 soll es eine Entscheidung geben, berichtet DEB-Sportdirektor Christian Künast. Zurzeit ist Deutschland Weltranglistenneunter, müsste die Slowakei oder die Schweiz überholen, um auf jeden Fall das Direktticket zu lösen. Sonst droht ein Quali-Turnier im August nächsten Jahres. Sollte Russland ausgeschlossen bleiben, würde auch Rang neun reichen.

TV-Fahrplan bei MagentaSport:

12. Mai, ab 18.30 Uhr: Schweden-Deutschland (1:0)
13. Mai, ab 18.30 Uhr: Deutschland-Finnland (3:4)
15. Mai, ab 14.30 Uhr: Deutschland-USA (2:3)
18. Mai, ab 18.30 Uhr: Dänemark-Deutschland
19. Mai, ab 18.30 Uhr: Österreich-Deutschland
21. Mai, ab 14.30 Uhr: Deutschland-Ungarn
23. Mai, ab 10.30 Uhr: Deutschland-Frankreich
25. Mai, ab 14.30 Uhr: Konferenz und Einzelspiele Viertelfinale
27. Mai: Halbfinalspiele
28. Mai: Spiel um Platz drei und Finale

Wie stark ist die deutsche Mannschaft eigentlich? Das ist die schwierigste Frage, die wohl auch der neue Bundestrainer Harold Kreis noch nicht beantworten kann. Denn es fehlen mehr als ein Dutzend Stammspieler und Leistungsträger aus unterschiedlichen Gründen. Superstar Leon Draisaitl und Torhüter Philipp Grubauer spielen um den Stanley Cup, die NHL-Jungstars Tim Stützle und Lukas Reichel sagten ihre Teilnahme ebenso ab wie DEL-Routiniers wie Matthias Plachta, Patrick Hager oder Yasin Ehliz und die Schweden-Legionäre Tobias Rieder und Tom Kühnhackl - meist wegen Verletzungen, aber nicht immer.

"Ich denke, dass trotz der vielen Absagen immer noch genug Talent in der Mannschaft vorhanden ist, um das Viertelfinale zu erreichen", sagt MagentaSport-Experte Hospelt. Gerade die guten Nachrichten der vergangenen Tage stärken wieder den Glauben daran, dass die Ziele erreicht werden können. "Mit den drei Verteidigern Moritz Seider, Leon Gawanke und Kai Wissmann bekommt das Team nochmal reichlich Qualität, Stabilität und einen offensiven Push".

Warum ist Seiders nachträgliche Zusage so besonders? Der 22-Jährige war am Montagabend doch noch zum deutschen Team gestoßen, nachdem er zunächst verletzt abgesagt hatte. Nach einigen Tagen Regeneration und Abstimmung mit Physiotherapeuten hatte sich Seider aber erneut an den Deutschen Eishockey-Bund gewandt, um seine Teilnahme an der am Freitag beginnenden WM in Finnland und Lettland anzubieten.

"Ich muss auch Respekt sagen an Mo, dass er kommt. Wir kennen alle seine Situation. Du weißt, was demnächst für ihn ansteht in Detroit", sagte Kapitän Moritz Müller angesichts der anstehenden wichtigen Vertragsgespräche mit den Red Wings. Seider steht vor seinem ersten großen Vertrag in der NHL und würde diesen mit einer Verletzung bei der WM gefährden. "Trotzdem zu sagen 'ich mache das' - das ist wirklich eine starke Leistung von ihm. Das wissen wir sehr zu schätzen", sagte Müller.

Wo drückt der Schuh und wo nicht? Die Vorbereitung lief holprig, auch weil sich der Kader ständig verändert hatte. Nichts Ungewöhnliches indes. Im letzten Testspiel vor der WM gegen die USA (3:6) am Dienstagabend wurden alle Stärken und Schwächen der Nationalmannschaft noch einmal deutlich. "Wie die Mannschaft sich die Chancen erspielt hat, das war schon stark", findet Hospelt. Dass sie diese aber erst in den wilden letzten Minuten nutzen konnte, sieht auch der Experte als großes Manko.

Er verspricht sich durch das nachnominierte Trio aus den USA wichtige Unterstützung für die Angreifer. "Wenn sie mit anschieben, wird das die Jungs vorne entlasten." Aber Seider, Gawanke und Wissmann dürfen nicht bloß in ein stürmendes Halleluja verfallen. Denn auch hinten braucht es unbedingt Hilfe. "Die Abstände waren zuletzt zu groß, international brauchen die Spieler noch wenig Platz, da muss noch etwas passieren", so Hospelt.

Fällt dem Bundestrainer womöglich auf den Schuh, dass er die drei besten Torjäger DEL nicht nominiert hat? Kreis verzichtet freiwillig auf Maxi Kammerer, Dominik Bokk und Daniel Schmölz (je 24 Treffer), das wirkt schon sehr überraschend. "Es geht in einer Mannschaft immer um die Rollenverteilung. Die ersten Reihen sind top besetzt, mit Jungs, die starke Scorer sind und das auch international schon bewiesen haben", sagt Hospelt.

Zum Verzicht auf das sehr treffsichere DEL-Trio findet er: "Sie waren in der Vorbereitung von Anfang an dabei und konnten sich zeigen. Der Bundestrainer hat sie lange gesehen und sich dann etwas dabei gedacht, sie nicht mitzunehmen." Aber klar sei auch: Wenn es bei der WM schiefgeht, wenn die Chancen nicht verwertet werden, "dann werden natürlich alle sagen, dass der Verzicht ein Fehler war."

Der deutsche WM-Kader

Torwart: Maximilian Franzreb (Fischtown Penguins), Mathias Niederberger (Red Bull München), Dustin Strahlmeier (Grizzlys Wolfsburg)
Verteidiger: Leon Gawanke (Manitoba Moose), Leon Hüttl (ERC Ingolstadt), Jonas Müller (Eisbären Berlin), Moritz Müller (Kölner Haie), Moritz Seider (Detroit Red Wings), Maksymilian Szuber (Red Bull München), Fabio Wagner (ERC Ingolstadt), Kai Wissmann (Providence Bruins)
Angreifer: Alexander Ehl (Düsseldorfer EG), Daniel Fischbuch (Düsseldorfer EG), Dominik Kahun (SC Bern), Maximilian Kastner (Red Bull München), Marcel Noebels (Eisbären Berlin), John-Jason Peterka (Buffalo Sabres), Justin Schütz (Red Bull München), Samuel Soramies (Augsburg Panther), Wojciech Stachowiak (ERC Ingolstadt), Nico Sturm (San Jose Sharks), Frederik Tiffels (Red Bull München), Parker Tuomie (Straubing Tigers), Filip Varejcka (Red Bull München), Manuel Wiederer (Eisbären Berlin)
Bundestrainer: Harold Kreis

Apropos Bundestrainer: Nach den sehr erfolgreichen Jahren unter Toni Söderholm steht nun Harold Kreis an der Bande, ein Trainerfuchs. Was wird anders? Nach den Neulingen Marco Sturm und Toni Söderholm, die die DEB-Auswahl zu Olympia-Silber 2018, einmal ins WM-Halbfinale und viermal unter die letzten Acht führten, steht einer der erfahrensten deutschen Trainer an der Bande. Der 64-jährige Kreis, als Spieler bei acht WM-Turnieren und zwei Olympischen Spielen, will diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen - mit bewährtem Rezept: "Wir müssen nicht viel ändern. Die Mannschaft spielt mit viel Selbstbewusstsein, versucht, das Spiel an sich zu reißen, und hat, egal gegen wen, den Gedanken: Die können wir besiegen." Auch Hospelt sieht viele Dinge aus der Söderholm-Zeit adapiert. "Gerade der Antrieb, möglichst mit viel Scheibenbesitz zu spielen. Sie schenken die Scheibe nach Gewinn nicht leichtfertig her, sondern suchen spielerische Lösungen."

Wer sind die großen Hoffnungsträger im Team? In diesem Jahr fehlt eine starke NHL-Achse, wie es sie zuletzt mit Seider, mit Supertalent Tim Stützle und Kraken-Goalie Philipp Grubauer gab. Sicher bitter für das DEB-Team, aber auch eine Chance für andere Spieler, in den Vordergrund zu rücken. Hospelt hat da besonders das Duo Dominik Kahun und J.J. Peterka auf dem Schirm. Der ehemalige und aktuelle NHL-Spieler haben sich gegen die USA herausragende Chancen erarbeitet. "Das ist schon ein Pärchen, das mir sehr gut gefällt. Gerade auch mit Frederik Tiffels, der das Tempo der Beiden mitgehen kann", urteilt Hospelt.

Auch die Kombination mit Marcel Noebels und Daniel Fischbuch habe Potenzial. Auch von DEB-Debütant Nico Sturm aus der NHL erwartet der MagentaSport-Experte viel, allerdings weniger Abschlussaktion als wichtige Arbeit für die Mannschaft. "Er ist im Bully sehr stark und in den Special Teams, er wird der Mannschaft mit vielen Kleinigkeiten extrem weiterhelfen."

Deutschland spielt zum Start ins Turnier direkt gegen die Topnationen Schweden, Finnland und USA - droht das Blitzdebakel? "Ich finde es gut, wenn du direkt gegen eine Topnation ran musst, dann bist du direkt drin in dem Turnier", sagt Hospelt. Nichts sei schlimmer, als erstmal in eine WM reinzustümpern, wie er aus eigener Erfahrung weiß. "Wir haben mal bei einem Turnier zuerst mittags um 12 Uhr gegen Italien gespielt, vor leerer Halle. Wir haben zwar gewonnen, aber das war ein fürchterliches Gewürge." Nun in Tampere gegen Schweden vor voller Halle zu spielen, sei auch eine riesige Chance.

"Niemand erwartet, dass du da etwas holst, da kannst du erstmal befreit aufspielen." Allerdings sieht Hospelt auch die Gefahren in dem Spielplan. Das Szenario, dass man nach drei Runden ohne Punkte dasteht, ist durchaus realistisch. "Danach stehst du dann natürlich total unter Druck, weil du alle Spiele gewinnen musst, am besten auch nach 60 Minuten. Aber ich bin kein Freund von Was-wäre-wenn … -Szenarien, ich blicke lieber auf die positiven Dinge."

Ist der Spielplan auch eine Chance, weil die Topnationen noch nicht eingespielt sind? "Nein, das glaube ich nicht", sagt Hospelt. "Die Jahre, in denen die Jungs aus der NHL zum Turnier gereist sind und erstmal vor sich hin gestümpert haben, sind vorbei. Die kommen und wollen ihre Leistung voll abliefern." Zumal viele Mannschaften auch auf hungrige Top-Talente setzen, die ihre Chance auf der größten Bühne nutzen wollen. Bei den USA etwa Cutter Gauthier und Lane Hutson. Bei Kanada der als kommender Superstar geltende Adam Fantilli. "Klar, die Automatismen sind vielleicht in den ersten Tagen noch nicht da, aber das geht alles sehr schnell", so Hospelt.

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Wer sind die Favoriten? Nach zweimal Gold und einmal Silber bei den letzten drei WM-Turnieren sowie dem Olympiasieg 2022 in Peking ist Finnland aktuell die Nummer eins im Welt-Eishockey - und der Topfavorit. Mit Mikko Rantanen vom früh entthronten Stanley-Cup-Sieger Colorado Avalanche hat der Gastgeber auch den vermeintlichen Superstar des Turniers in seinen Reihen. Aber auch Schweden und Rekordweltmeister Kanada sind Titelkandidaten. Aber gerade "Team Canada" sei noch sehr schwer einzuschätzen. "Ihr Kader ist aktuell noch klein, sie spekulieren da noch auf Verstärkungen aus der NHL", so Hospelt, der auch die USA auf dem Zettel hat. "Die sind jung und sehr schnell. Das ist teilweise schon Wahnsinn, was die in den jungen Jahren so draufhaben."

Wo wird eigentlich gespielt - und warum nicht in Russland? In der finnischen Eishockey-Hochburg Tampere und in der lettischen Hauptstadt Riga. In der Nokia Arena, die 13.300 Zuschauer fasst, finden alle Partien der Gruppe A mit der deutschen Mannschaft statt. Die Gruppe B spielt in der Arena Riga (9550). Ursprünglich war die WM nach St. Petersburg vergeben worden, wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde sie Russland aber wieder entzogen. Die Gastgeber der letzten beiden Weltmeisterschaften sprangen als Ersatz ein.

Quelle: ntv.de, mit dpa/sid

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