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"Das muss mein Sohn sehen!" Ein Ex-Hausmann stürmt vom Herd ins deutsche Schicksalsspiel

Robert Weber steht vor dem größten Spiel seiner Karriere.

Robert Weber steht vor dem größten Spiel seiner Karriere.

(Foto: picture alliance / Marco Wolf)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht bei der Heim-EM vor dem nächsten Schicksalsspiel. Für Gegner Österreich geht es auch noch ums Halbfinale. Ein Wunder hat das Überraschungsteam des Turniers schon gewirkt. Mittendrin ist Robert Weber, der noch vor kurzem außen vor war.

Wer im Sommer den Instagram-Kanal von Robert Weber verfolgte, bekam kaum den Eindruck, da dem Leben eines angehenden Europameisterschafts-Helden zu folgen. Weber zeigte sich bei der Fortbildung mit Fachbüchern, beim Lernen, aber auch beim Plantschen, hier und da auch beim Handball. Es war das Leben eines Studenten mit Tagesfreizeit. Im Sommer war die Handball-EM in jeder Hinsicht weit weg. "Ich bin jetzt ein Hausmann, koche gerne. Und meine Frau sorgt für den Lebensunterhalt", verriet der österreichische Rechtsaußen im Juli. Nun, wenige Monate später, schreibt Robert Weber mit dem Nationalteam Handball-Geschichte. Und steht vor "einem der größten Spiele, die man überhaupt bestreiten kann".

"Österreich-Deutschland, Lanxess Arena, 20.000 Leute bei deren Heimturnier. Da habe ich gesagt, mein Sohn muss das sehen, der ist 10 oder 11, großer Handball-Fan, also muss der hier sein", sprudelte es aus dem Handball-Profi nach dem Sieg zum Hauptrundenauftakt gegen Ungarn heraus. Am Abend (20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) kämpfen Weber und seine Teamkollegen gegen Deutschland um die Chance aufs EM-Halbfinale. "Das war das Erste, was ich zu meiner Familie gesagt habe: Holt Tickets, fliegt nach Köln!" Wer verliert, ist raus aus dem Rennen um die Medaillen. Für Deutschland wäre das ein Drama, für Österreich nur ein weiteres Kapitel in einer wundersamen Geschichte.

"Wunder von Mannheim"

Dass die Österreicher von ihrem Vorrundenspielort Mannheim überhaupt nach Köln umziehen durften, war nicht vorgesehen: In einer starken Gruppe mit dem Mitfavoriten Spanien, ambitionierten Kroaten und Außenseiter Rumänien traute man der Wintersportnation wenig zu. Doch sie besiegten Rumänien, erkämpften gegen Kroatien und Spanien jeweils ein dramatisches Unentschieden. Bei der EM 2022 landeten sie auf Platz 20, die WM 2023 verpasste Österreich komplett, nun sind sie im Konzert der Großen dabei. Die heimische Presse schrieb vom "Wunder von Mannheim".

Dass Robert Weber am österreichischen Wunder mitwirkt, ist eine der großen Geschichten dieser Europameisterschaft. Weber ist mit 2510 Toren Fünfter der ewigen Bundesliga-Torschützenliste, 450 Spiele machte er in der besten Handballliga der Welt. In seinen zehn Jahren beim SC Magdeburg warf er sich zur Klublegende, wurde mit dem Klub Pokalsieger und Torschützenkönig. Für Nordhorn/Lingen spielte er in der 2. Bundesliga, zog nach Griechenland weiter - und landete dann beim deutschen Spitzenklub Füchse Berlin. Dort sprang er für den Bundesliga-Rekordtorschützen Hans Lindberg ein, der sich verletzt hatte. Weber lieferte, traf und gewann mit dem Klub die European League - und damit den ersten internationalen Titel seiner langen Laufbahn. Doch im Juni war Schluss in Berlin - und die Zeit der Ungewissheit begann für den Profi, der 2004 bei Alpla HC Hard seinen ersten Profivertrag unterschrieben hatte.

Die Angebote blieben aus, banges Warten trübte den Traum von der EM-Teilnahme. Handball spielte er zeitweise nur noch als Trainingsgast beim Neuntligisten in seiner Heimat Dornbirn. "Die Decke ist mir schon auf den Kopf gefallen", bekannte der Außen mit dem gewaltigen Wurfrepertoire im Rückblick. Erst im Oktober tat sich dann die passende Option zur Rückkehr auf die Platte auf: Weber heuerte beim Erstligisten HSG XeNTiS Bärnbach/Köflach an, unterschrieb einen Vertrag bis Ende Februar. Und erst damit rückte auch die Europameisterschaft wieder in Reichweite. Der Routinier packte bei der großen Chance bei dem kleinen Klub beherzt zu und Nationaltrainer Ales Pajovic holte den Rechtsaußen in seinen Kader.

"Es ist abartig"

Und nun, nur drei Monate nach dem Ende des Bangens, passieren verrückte Dinge. Handball ist in Österreich eine Randsportart , die Sporthalle Bärnbach, wo Robert Webers Handball-Alltag stattfindet, passen 1000 Menschen - "und jetzt sind wir überall. Ich bin so stolz auf meine Mannschaft, dass wir das geschafft haben, hier in Deutschland so eine Explosion auszulösen", schwärmte der Rekord-Nationalspieler seines Landes. "Wir werden da so ein bisschen ferngehalten, aber es ist abartig. Es geht zu, das ist Wahnsinn. Aber auch zu Recht und auch verdient, finde ich. Das ist einfach hammergeil."

Am Wochenende, an dem mit dem Abfahrtsrennen auf der "Streif" in Kitzbühel das größte Spektakel des Wintersports stattfindet, redet man in Österreich über Handball - es ist kaum überzubewerten, was die Mannschaft geschafft hat. "Wir sind doch nur 16 Freunde, die zusammen Handball spielen", sagte Linksaußen Sebastian Frimmel, "und die jetzt bei den Großen mitmachen dürfen."

Die 16 Freunde sind eine wilde Mischung. Es gibt die Routiniers wie Weber und den ebenfalls 38 Jahre alten Janko Bozovic, der in Kuwait spielt und gegen Spanien wenige Sekunden vor Schluss das Tor zum Hauptrundeneinzug warf. Topstar des Teams ist der Kieler Mykola Bilyk, der Rückraumspieler ist mit 26 Treffern der erfolgreichste Torschütze seiner Mannschaft. Ihm zur Seite steht mit Lukas Hutecek vom TBV Lemgo Lippe ein weiterer torgefährlicher Shooter, Außen Sebastian Frimmel spielt für den ungarischen Topklub Pick Szeged. Der Rest des Teams hat im Alltag mit internationaler Klasse eigentlich wenig zu tun.

Und doch: Am Kreis wächst der gewaltige Tobias Wagner, der zur laufenden Saison zurück in die heimische Liga gewechselt war, noch über das Format seiner knapp zwei Meter und über 120 Kilo hinaus. Und Constantin Möstl trieb die spanischen Stars um Alex Dujshebaev dermaßen zur Verzweiflung, dass sie nicht mal mehr das Tor trafen, wenn der Torwart gar nicht im Dienst war: Dreimal warfen die konfusen Iberer in ihrem Schicksalsspiel, das mit dem "Wunder von Mannheim" endete, an den Pfosten des leeren österreichischen Tores. Auch Möstl spielt in Österreich, die Zuschauerzahlen dort sind selten vierstellig. Nun laufen sie alle gemeinsam in der gewaltigen Kölner Arena auf.

"Schreiben jede Minute Geschichte"

Österreich hat sich längst den Respekt der Konkurrenz erarbeitet, spätestens das 30:29 über Ungarn, das seine Vorrundengruppe vor Island gewonnen hatte, hat auch im deutschen Lager die Sinne geschärft. "Die haben Spanien in der Vorrunde nach Hause geschickt und rund um Mykola Bilyk und Lukas Hutecek haben sie eine starke und erfahrene Mannschaft", lobte Bundestrainer Alfred Gíslason. Linksaußen Rune Dahmke sieht den nächsten, bislang ungeschlagenen Gegner "auf einem absoluten Hoch". "Die schreiben jede Minute, die sie auf dem Spielfeld hier verbringen, Handballgeschichte für Österreich. Die haben gar nichts zu verlieren. Das ist eine gefährliche Ausgangssituation und der Druck ist klar bei uns", analysierte der Kieler.

Robert Weber, der vor 100 Tagen noch ohne Klub dastand und jetzt vor dem größten Spiel seiner großen Karriere steht, spielt eine Hauptrolle in der Geschichte der Österreicher: Gegen Ungarn traf er sechsmal, 20 Treffer bei 26 Versuchen bedeuten eine Erfolgsquote von 70 Prozent. Mit Juri Knorr hat nur ein deutscher Spieler mehr Tore erzielt als der 38-Jährige. Einen Siebenmeter hat Weber im Laufe des Turniers noch nicht verworfen. "Wir genießen das jetzt. Wir haben doch eh schon alle überrascht." Gegen Deutschland "erstarren wir nicht vor Ehrfurcht, sondern gehen mit breiter Brust aufs Feld und schauen einfach, was passiert."

Auch Mykola Bilyk beschwört den besonderen Geist beim Überraschungsteam des Turniers: "Wir genießen die Momente extrem momentan, das gibt viel Kraft zurück. Wenn ich den Jungs in die Gesichter schau’, hab ich noch mehr Bock darauf, weiterzumachen und Gas zu geben." Gegen Deutschland wollen sie das nächste Wunder möglich machen - und Revanche nehmen für die üble 22:34-Packung zu Hause in Wien bei der EM 2022. Die Batterien seien nicht mehr so voll nach vier Partien in sieben Tagen. "Aber die Motivation dafür umso größer."

Quelle: ntv.de

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