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Wolff hat wieder Heldenstatus Deutschlands Retter, der aus der Wut kam

Andreas Wolff hielt das DHB-Team im Turnier.

Andreas Wolff hielt das DHB-Team im Turnier.

(Foto: picture alliance/dpa)

Andreas Wolff verwandelt mit großen Paraden die Lanxess-Arena von Köln in ein Tollhaus, aus einem Zitterspiel zwischen Nervosität und Angst macht er einen überlebenswichtigen Triumph. Der deutsche Handball-Nationaltorhüter ist ein Phänomen.

Manchmal verraten Emotionen viel mehr als Zahlen: Als die deutsche Handball-Nationalmannschaft den EM-Thriller gegen Island erfolgreich überstanden hatte, stürmten die Spieler auf Andreas Wolff zu. Im großen Taumel nach dem am Ende dramatisch erkämpften 26:24 im ersten Hauptrundenspiel bei diesem Heim-Turnier war der deutsche Torwart mittendrin. Der Europameister von 2016 wurde von den Fans zum "Spieler des Spiels" gekürt, schon während der Partie war der 32-Jährige frenetisch gefeiert worden. "Keine Ahnung, wie viele Paraden der Junge heute hatte. Gefühlt alle", schwärmte Rechtsaußen Timo Kastening. Linksaußen Lukas Mertens brachte die Bedeutung seines Torwarts für die Mannschaft auf eine einfache Formel: "Andi hat uns den Arsch gerettet. Was er gehalten hat, war unglaublich."

Die Wahrheit, die die Statistik liefert, ist: 33 Prozent aller Bälle hatte Wolff an diesem außergewöhnlichen Abend in der Kölner Lanxess-Arena gehalten. Zweifellos ein starker Wert. Aber keiner, der Wolffs Extraklasse beschreibt - und schon gar nicht seine immense Wichtigkeit für diesen Sieg. Zum Vergleich: Wenige Stunden zuvor hatte Kroatiens Schlussmann Dominik Kuzmanovic eine spektakuläre Leistung hingelegt, 42 Prozent aller Würfe der französischen Supertruppe parierte er - und fing dennoch 34 Gegentreffer, Kroatien verlor.

"Andi, Andi!"

Der deutsche Schlussmann, der beim Einmarsch der Mannschaften stets mit Abstand am lautesten von den Rängen gefeiert wird, hatte gegen Island Mitte der zweiten Halbzeit nur noch selten einen Finger an den Ball bekommen. Die Nordeuropäer glichen immer wieder knappe deutsche Führungen aus. Zum Entsetzen der meisten der 19.750 Zuschauer im deutschen Handball-Tempel ging Island sogar in Führung. Eine Niederlage hätte das frühe Ende der Träume von einem neuen Wintermärchen bedeutet. Sie wären auf der größten Bühne, die dieses Turnier noch zu bieten hat, vor aller Augen einfach geplatzt.

Aber dann lief Andreas Wolff zu großer Form auf: Zwei Siebenmeter hielt er, den zweiten, als Island zwei Minuten vor dem Ende die Chance auf den Ausgleich hatte. Die Halle stand, "Andi, Andi!" skandierte das Volk. Und Wolff hielt. "Ich wurde freundlichst aufgefordert, die Siebenmeter zu halten", sagte der Matchwinner hinterher. Dieser Bitte habe er nachkommen wollen. Wenn es doch so einfach wäre! Die nervenaufreibende Begegnung, die bis zu Julian Kösters 26:24 fünf Sekunden vor dem Ende auf des Messers Schneide stand, hatte den Torwart "emotional sehr mitgenommen". Am Ende hatte er den Sieg festgehalten und dem DHB-Team das gegeben, was es von ihm braucht. Ohne das es nicht geht.

Schon oft war über die Wandlung des Weltklasse-Torwarts gesprochen worden, der sich früher vor allem durch seinen gewaltigen Ehrgeiz zu Topleistungen gepusht hatte. Oft war er während seines kometenhaften Aufstiegs, der mit der sensationellen Europameisterschaft 2016 ein schwindelerregendes Tempo aufgenommen hatte, angeeckt, bei Mitspielern und Verantwortlichen. Wolff war einer, der immer einen raushaute: Kampfansagen! Harte Worte gegen Kollegen, die sich der Nationalmannschaft nicht zur Verfügung stellten!

Es gab oft Stress und irgendwann führte Wolffs Ehrgeiz, die Härte gegen sich selbst, bei ersten Rückschlägen in einen Abwärtsstrudel, anstatt an frische Energiedepots. Es gab Turniere, da war der Weltklassemann zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er seiner Mannschaft helfen konnte. Die großen, stets offen und offensiv formulierten Ziele passten nicht mehr zu Leistungen und Ergebnissen. "Ich habe Misserfolge zu stark bewertet, war frustriert, dann bin ich entsprechend aufgetreten", erzählte er im vergangenen Jahr der "Süddeutschen Zeitung". Allzu destruktiv wurde es, wenn es nicht auf Anhieb lief. Und wenn das deutsche Team keinen Weltklasse-Wolff hat, kann es auf die Dauer eines Turniers nicht an der Weltklasse kratzen. Oder auch mal wieder mehr erreichen.

"Es ist in Ordnung, Fehler zu machen"

"Das Pflichtdenken, ein gutes Turnier spielen zu müssen, die ganze Mannschaft auf den Schultern tragen zu müssen" habe irgendwann dazu geführt "dass man sich in sich selbst verloren hat", berichtete Wolff jüngst in einer ARD-Doku. Er holte sich professionelle Hilfe bei einer Psychologin, gemeinsam erarbeitete man neue Wege, die großen Stärken und den großen Ehrgeiz in große Qualität zu kanalisieren. "Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, mal einen Fehler zu machen. Dann kassiert man mal einen dummen Ball. Das wirst du nicht mehr ändern können, es ist aber auch nicht das Ende der Welt. Dann konzentrierst du dich auf den nächsten Ball." Mit der WM im vergangenen Jahr, die das DHB-Team mit einem endlich wieder auf Turnierlänge überragenden Wolff auf Platz fünf abschloss, meldete sich ein der Wut entwachsener Andreas Wolff in der Weltspitze zurück.

Die Partie gegen Island war ein Lehrstück, wie diese Entwicklung funktionierte: Von starken 40 Prozent aus der ersten Halbzeit war seine Quote irgendwann abgesackt, auf deutlich unter 30 Prozent. Und dann kam die Crunchtime, in der die engen Spiele entschieden werden und das Volk schrie "Andi, Andi" und Andi gab ihnen und seinem Team alles, was es brauchte, um ein Zitterspiel voller Nervosität und Angst in einem Freudentaumel enden zu lassen.

"Es wird ja immer viel geschrieben und viel gesagt, dass er Weltklasse ist. Aber das immer und immer wieder zu bestätigen, das ist wirklich Weltklasse", sagte Linksaußen Rune Dahmke. Kapitän Johannes Golla will "ihn nicht zu viel loben. Aber man kann schon sagen, dass er in dieser Verfassung derzeit wohl der beste Torwart der Welt ist. Er hält uns im Turnier, ist unsere Lebensversicherung und unser bester Mann." Für Bundestrainer Alfred Gislason ist sein Schlussmann zweifelsfrei der "derzeit beste Torwart der Welt."

"Eine wichtige Führungsfigur"

Hinterher plauderte der 32-Jährige, der beim polnischen Spitzenklub Industria Kielce schon Legendenstatus besitzt, ewig in der Mixed Zone mit den Journalisten. Wolff ist der gefragteste Spieler im Kader. Er ist einer von vielen guten Typen, aber auch einer von wenigen Stars. Dieser Rolle wird er gerecht, gibt je nach Bedarf Auskunft auf Deutsch, Englisch oder Polnisch. Seine Antworten sind druckreif, die Geduld beinahe grenzenlos. Wie seine Bedeutung für diese Mannschaft. "Andi ist eine wichtige Führungsfigur. Er gibt den Jungs viel Sicherheit", lobte der Bundestrainer und fügte hinzu: "Er ist ausgeglichener geworden und zu einem Weltklasse-Torwart gereift. Das freut mich sehr."

Entsprechend groß war die Sorge, als im vergangenen Sommer die Nachricht über Handball-Deutschland hereinbrach: Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule bei Nationaltorwart Andreas Wolff! Sogar von einem möglichen Karriereende war die Rede. Eine Operation hätte das Aus für die Heim-EM bedeutet, doch die konservative Behandlung schlug an: Schon im November kehrte der Nationalheld nach quälenden Monaten in der Reha ins Tor zurück.

Das Aufatmen war kollektiv, denn Wolff ist neben Spielmacher Juri Knorr sowie Kapitän und Kreisläufer Johannes Golla einer von drei absolut unersetzbaren Spielern im deutschen Kader. In das Turnier startete er dann mit einer unmissverständlichen Ansage: "Ziel ist ganz klar, Europameister zu werden. Wer antritt und nicht Europameister werden möchte, hat seinen Beruf verfehlt." Dass das Ziel auch nach dem Thriller von Köln noch in Reichweite ist, haben sie vor allem ihrem Torwart zu verdanken.

Quelle: ntv.de

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