
Mit einem Stück Apfelkuchen konnte auf dieser Welt noch jede Wartezeit überbrückt werden.
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Jetzt ist es vorbei. Durchatmen. Erst in den letzten August-Tagen werden die Adrenalin-Junkies aus der Transferszene wieder auf ihre Kosten kommen. Bis dahin holen sie Luft und müssen sich nach einem enttäuschenden Winter neu aufstellen. Die Konkurrenz schläft nie.
S04_Henry blickte noch einmal auf seinen Apfelkuchen. Es würde ein langer Tag werden. Am Morgen hatte sich bereits sein Klub nach ihm erkundigt. "Wir waren für kurz vor 10 aufm Parkplatz der Geschäftsstelle verabredet. Wo bleibst denn du?", schrieb der Verein auf X. Das hatte ja einen Grund: Seit Tagen schon hatte er seine über 3000 Follower in dem Musk-Netzwerk allumfassend informiert. Heute durfte er seine Arbeit sogar einen Moment früher beenden, aber doch nicht um 10 Uhr. Es war wohl so gegen 15.40 Uhr, als es endlich passierte. Er konnte seinen Wagen vor der Geschäftsstelle des FC Schalke 04 parken. Deadline Day! Und, wie sich zeigen sollte, auch noch der Geburtstag seiner Mutter. Um 15.43 meldete er sich endlich in den Sozialen Medien an. "Here we go again", schrieb der Fabrizio Romano des Ruhrpott und 773 Nutzer applaudierten.
Nur wenige Minuten später entdeckte er eine Person auf einem Balkon. Sie telefonierte. Doch S04_Henry musste erst einmal den Wagen umparken. Um 15:52 war er dann endlich angekommen. "UmGEparkt, direkte Sicht auf Geschäftsstelle", teilte er mit und sendete über die nächsten Minuten Bilder von Menschen, die in ein Gebäude gehen. Einmal kam Stürmer Sebastian Polter, um dann wieder zu gehen. Zum SV Darmstadt 98. Der 32-Jährige fiel am letzten Tag der Transferperiode eine Stufe höher, spielt nun in der ersten Liga und nicht mehr in der zweiten Liga gegen den Abstieg.

Am Deadline Day stand in Gelsenkirchen ein Mann auf einem Balkon. (Hier nicht im Bild)
(Foto: picture alliance / firo Sportphoto)
Dabei blieb es. Kein Spieler kam mehr, kein Spieler ging mehr. Insgesamt vier Spieler verließen den strauchelnden Giganten aus dem nördlichen Ruhrgebiet, mit Brandon Soppy und Darko Churlinov kamen zwei Leihspieler zum Berger Feld geeilt, um den drohenden Abstieg in die endgültige Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Nicht nur S04_Henry dürfte sich mehr vom Deadline Day versprochen haben, er hatte immerhin noch Kuchen dabei.
Kevin Behrens angelt jetzt am Mittellandkanal
In diesem Winter hält sich die Bundesliga auf dem Transfermarkt zurück. Die 18 Vereine des Oberhauses, zu dem der FC Schalke 04 in dieser und wohl auch in der nächsten Saison nicht gehört, gaben laut der alles wissenden Plattform Transfermarkt.de nur 82,5 Millionen Euro für neue Stars aus. Mehr als ein Drittel dieser Summe entfiel auf den neuen französischen Rechtsverteidiger des FC Bayern München. Sacha Boey kam für rund 30 Millionen Euro von Galatasaray Istanbul. Fünf Ligen weltweit gaben mehr Geld aus und sogar 20 Ligen weltweit nahmen mehr Geld ein. Durch Verkäufe holten die Klubs nur etwas über elf Millionen Euro in die Klubkassen, ein Großteil davon floss in Richtung Borsigplatz. Der dort gegründete Ballspielverein Borussia aus Dortmund erlöste über acht Millionen Euro für den Verkauf zweier Youngster nach Amsterdam und Salzburg.
Der Deadline Day hat sich unter den Liebhabern des Fußballs über die vergangenen Jahre zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Ausgehend von England hat er längst auch Deutschland erobert. An diesem Tag dreht sich die Welt normalerweise noch ein weniger schneller. Immer ist irgendwo ein Flieger in der Luft, immer wartet irgendwer auf das, was passieren könnte und dadurch ja möglicherweise den Lauf der Saison eines Vereins entscheidend beeinflussen wird. Kommt der Linksverteidiger aus der ersten norwegischen Liga rechtzeitig zum Flughafen und erweist sich dann in der Folge als Retter des abgeschmierten Vereins? Streikt die Bahn nicht und hält sogar in Wolfsburg, um den Union-Fan-Liebling Kevin Behrens ausgerechnet am Mittellandkanal auszuspucken? Wird die neue Herausforderung für den Leverkusener Mittelfeld-Spieler Nadiem Amiri in Mainz sich als heilbringend für den akut abstiegsgefährdeten Ex-Klub von Jürgen Klopp erweisen?
Deutsche Transferjournalistenelite berichtet aus Unterföhring
Es sind Fragen, die in ihrer Nichtigkeit faszinieren. Es sind Fragen, die den Fußball auch abseits der 90 Minuten als Eskapismus erlebbar machen. Wer über den möglichen Wechsel des Dortmunder Rechtsverteidigers Thomas Meunier nachdenkt, dem wird die harte Realität des Alltags in diesen Momenten nichts anhaben können. Wer dann einen cholerischen Anfall bekommt, weil BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl mit Hendry Blank die Zukunft der so anfälligen Abwehr der Borussia für sieben Millionen Euro inklusive Bonuszahlungen an RB Salzburg abgibt, dessen Wut ist womöglich für den Rest des Tages entwichen. Die Welt der Transfers hat keine eigentlichen Auswirkungen auf das Leben der Fußball-Fans, sie ist die Krönung der Seifenoper Fußball und auch deswegen so beliebt.
Perfektioniert wurde diese Kunstform der öffentlichen Aufregung tief im Süden Deutschlands. In Unterföhring bei München haben diese Perfektionierer an diesem Deadline Day groß aufgefahren. Sky, der Rechteinhaber der Bundesliga, hat die Stars des deutschen Transfergeschäfts unter Vertrag. Kerry Hau, Patrick Berger und natürlich Florian Plettenberg, der Star der deutschen Transferszene, berichten dort minutenaktuell über alle anstehenden Deals.
Am Münchener Flughafen geschehen unglaubliche Dinge
Die Stars der Transfers leben für diesen Tag und sie werden dafür bezahlt. "Hinter mir liegt ein Monat, in dem ich wenig geschlafen habe. Ein Monat, der sehr nervenaufreibend war. Man stand ständig unter Dauerstrom", erzählte Plettenberg dieser Tage bei BlueWin in der Schweiz. Abschalten könne er nicht, höchstens beim Dschungelcamp. Aber sonst träume er in dieser Zeit nur noch von Transfers und manchmal hat er so ein Gefühl, dann fährt er zu einem Flughafen und sieht, wie ein Spieler ankommt.

Florian Plettenberg ist der Star der deutschen Transferjournalistenszene.
(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)
"Ich konnte es kaum glauben, als er dann tatsächlich aus dem Auto stieg. Es war völlig verrückt", berichtet Plettenberg über den Transfer von Eric Dier, den es im Januar von der Ersatzbank bei den Tottenham Hotspur in die Startelf des FC Bayern München gespült hat. Der Transferguru hatte dies exklusiv. Wie so viele andere Sachen, die er mit seinem Team dieser Tage in die Welt posaunt hat. Die Transferjournalisten, sagt er, können den "Transfermarkt beeinflussen", wenn sie denn einbezogen werden. Sie sind, glaubt der unter Dauerstrom stehende Experte, die vierte Gewalt in der dritten Saisonhälfte des Fußballs. Nach der letzten Transfer-Sendung geht es dann in die Erholung. Das Geschäft, sagt Plettenberg, gehe erst im März weiter.
"Kaminski darf nie wieder ein Spiel für uns machen"
Auch S04_Henry musste durchatmen, als sich der ganze Wirbel am nächsten Tag gelegt hatte. Er saß über den Dächern von Gelsenkirchen und war doch direkt wieder mittendrin. Er freute sich für die Spurs und Lucas Bergvall. Der hatte an diesem Freitag, dem 2. Februar, eben nicht nur Geburtstag, sondern auch seine Unterschrift unter den Vertrag beim englischen Premier-League-Klub gesetzt. Der, der die Nachricht verkündete, war Fabrizio Romano, der Erfinder des Transferjournalismus. "Transfer auf den letzten Metern gekapert, stand kurz vor einem Barça-Wechsel", schreibt er dazu. Das Interesse aber war gering. Sein mit Abstand erfolgreichster Post in den letzten Transferstunden war der fußballfremde, der den Hamilton-Wechsel zu Ferrari verkündete. Weit über 10 Millionen Leute sahen ihn.
"Mein Anspruch ist es, besser zu sein als Fabrizio Romano, auch wenn seine Reichweite sicherlich nicht mehr einzuholen ist", sagt Plettenberg: "Ich schätze Fabrizio, sehe ihn aber als absoluten Konkurrenten."
Die Konkurrenz aber schläft nie und sie agiert internationaler. Sie hatte damit in diesem Transferfenster, in dem nur Strohballen durch die Bundesliga wehten, einen riesigen Vorsprung. S04_Henry ist das egal. Er hat noch ein anderes Geschäftsfeld. Er ist ein Scouting-Experte. "Kaminski", schrieb er, "darf nie wieder ein Spiel für uns machen." Auf der Geschäftsstelle in Gelsenkirchen werden sie es vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Abstiegsmitbewerber Eintracht Braunschweig mit Interesse zur Kenntnis genommen haben.
Quelle: ntv.de