Lehre aus Debakel bei WM 2018 Die "Wenn-dann-Strategie" des Joachim Löw
17.11.2020, 19:27 Uhr
Defensiv soll sich etwas tun.
(Foto: imago images/Christian Schroedter)
Als eine Konsequenz aus dem WM-Debakel hat Joachim Löw an der taktischen Flexibilität der Nationalmannschaft gearbeitet. Ein Plan B ist für die EM im kommenden Sommer wichtig - und damit auch für die Zukunft des Bundestrainers.
Ob Joachim Löw auch schon mal mit Salz- und Pfefferstreuern über Taktik philosophiert hat? Wohl eher nicht. So eine Geschichte, wie sie über Pep Guardiola und Thomas Tuchel erzählt wird, passt nicht zum Bundestrainer. Dem 60-Jährigen ist eine gewisse Grundordnung zwar wichtig, aber taktische Diskussionen über eine diametral abkippende Doppelsechs oder eine falsche Neun findet er überbewertet.
"Für unsere Spielidee", betonte Löw jüngst, "spielt das System keine Rolle." Die Ausrichtung im Spiel der Nationalmannschaft sei "offensiv, da spielt es keine Rolle, ob man hinten zu dritt oder zu viert spielt", argumentierte der Bundestrainer: "Die Art und Weise ist wichtig." Doch die desaströse WM 2018, bei der Löw den Ballbesitzfußball "fast schon arrogant" auf die Spitze treiben wollte und damit krachend scheiterte, hat gezeigt, dass der Bundestrainer einen Plan B oder gar C benötigt.
Und daran hat er zuletzt mit seinem Team getüftelt: Zwar präferiert Löw zurzeit ein 3-4-3, doch gegen die Ukraine (3:1) experimentierte er mit einer Vierer-Abwehrkette und einem tief stehenden Sechser (Robin Koch), der die Mitte dichtmachen sollte.
In den Nations-League-Spielen gegen Spanien (1:1) und in der Schweiz (1:1) ließ er Toni Kroos und Co. über den gesamten Platz Mann gegen Mann spielen und früh pressen. Löw wollte damit eine Situation simulieren, bei der die DFB-Auswahl mit hohem Risiko spielen muss. So wie bei einem Rückstand oder einer eigenen Unterzahl nach einer Roten Karte.
"Ein guter Lerneffekt"
"Die Mannschaft hat das jetzt zwei-, dreimal gemacht, von daher war das ein guter Lerneffekt", sagte Löw: "Es ist gut, wenn die Mannschaft innerhalb eines Spiels wechseln kann." Der Bundestrainer nennt es eine "Wenn-dann-Strategie".
Die hatte beim WM-Debakel für alle offensichtlich gefehlt, diesen Fehler will Löw nicht noch einmal machen - er darf ihn auch nicht noch einmal machen. "Am Ende des Tages müssen wir alle uns an Ergebnissen messen lassen. Das weiß Jogi auch", sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff jüngst in einem FAZ-Interview. Aus Bierhoffs Aussage, er werde den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, "bis einschließlich der EM" mitgehen, lasen manche Medien schon einen gestiegenen Druck auf Löw heraus. Genau wie aus dem EM-Mindestziel Halbfinale, das DFB-Präsident Fritz Keller kürzlich ausgesprochen hatte.
Dabei hat sich an der Ausgangslage nichts geändert. Als Bundestrainer sei es "immer so, dass man von Turnier zu Turnier denkt", sagte Löw, der beim DFB noch bis 2022 unter Vertrag steht. Nach der Euro werde man sich zusammensetzen und "sich unterhalten, ob der Weg noch der richtige ist oder ob man einen neuen einschlagen muss". Wahrscheinlich braucht der DFB auch eine "Wenn-dann-Strategie".
Quelle: ntv.de, tsi/sid