Aufgefressen von Dämonen Hope Solos tragischer Absturz in die Hölle
30.07.2022, 08:12 Uhr
Hope Solo bei den Olympischen Spielen 2016.
(Foto: imago images/Shutterstock)
Hope Solo ist lange Zeit die wohl beste Torhüterin auf der Erde. Auf ihre Weltkarriere folgt ein dramatischer Absturz in die Hölle der Alkoholsucht, der jetzt im Gefängnis endet. Solos Kampf gegen Dämonen, die sogar das Leben ihrer Kinder aufs Spiel setzen.
Wie fühlt es sich dort oben an? Welcher Druck, welche Erwartungen Lasten auf einem, wenn man an der Spitze thront? Welche Dämonen und Ängste piesacken Hirn und Herz? Das Leben eines Sportstars kennen nur ganz wenige. Das Leben in der Öffentlichkeit, im grellen, stetigen Rampenlicht. Ein Zustand, in dem manch einer trotz, oder gerade wegen, unzähliger Bewunderer unglaublich einsam ist. In dem Privatleben nicht privat bleibt und die oder der von Millionen Angehimmelte sich stets strahlend zeigen muss. Ein Leben, an dem man zerbrechen kann.
Hope Solo sitzt lange auf diesem oft gnadenlosen Thron. Der Traum von Fußballstar - nach dem so viele Frauen, Männer, Mädchen und Jungen greifen, ohne auch nur annähernd in die Nähe zu gelangen - sie lebt ihn eine erfolgreiche Karriere lang. Die heute 40-jährige ist von 2000 bis 2016 Torhüterin des US-amerikanischen Nationalteams der Frauen, gewinnt zwei olympische Goldmedaillen und eine Weltmeisterschaft. Sie gilt weithin als eine der weltweit Besten in ihrem Fach - jemals.
Doch irgendwelche Dämonen zerfressen die Keeperin, mutmaßlich schon länger. Im März diesen Jahres fährt Solo unter Alkoholeinfluss Auto. Die Polizei findet sie auf einem Parkplatz. Schlafend sitzt Solo zu diesem Zeitpunkt hinter dem Steuer, der Motor läuft - und auf dem Rücksitz sitzen ihre zwei Jahre alten Zwillinge. Nun verurteilt ein US-Gericht den ehemaligen Weltstar zu 30 Tagen Gefängnis und zwei Jahren auf Bewährung.
Innere Not und Verzweiflung
Solo durchlebt wohl schon seit Jahren einen tragischen Absturz vom Ruhm in die Hölle, der sogar hinter Gittern endet. "Ich habe unterschätzt, was für ein zerstörerischer Teil meines Lebens Alkohol geworden ist", gibt sie jetzt in den Sozialen Medien zu und fügt an, nachdem sie ihre Kinder in Lebensgefahr gebracht hat: "Ich habe einen großen Fehler gemacht. Einfach den schlimmsten Fehler meines Lebens."
Hinter der Alkoholsucht stehen oft große innere Not und Verzweiflung. Für einen selbst verdeckte Dämonen, die gefährlich, schmerzhaft und wirksam im Kopf herumspuken und ihn langsam aber sicher aushöhlen. Diese Krankheit scheint Solo schon länger im Griff gehabt zu haben, die genauen Gründe sind noch unbekannt. Einige Sportlerinnen und Sportler erleben einen Absturz nach der Karriere, wenn sich mit einem Schlag alles ändert, die Strukturen, Tagesabläufe und sozialen Kontakte des Leistungssports wegfallen. Auch das schillernde Leben des Ruhms und die Möglichkeit, in einem Bereich so viel besser als fast alle anderen Menschen auf der Erde, sind nicht mehr ganz gegeben.
Möglicherweise verschlimmert bei Hope Solo ihr Karriereende 2016 die Lage. Möglicherweise erliegt sie der Alkoholsucht schon während ihrer Laufbahn. Auf jeden Fall ist es nicht das erste Mal, dass die Ex-Keeperin in den Kontakt mit dem Gesetz kommt und derart negative Schlagzeilen macht. Im Juni 2014 wird sie wegen häuslicher Gewalt in zwei Fällen verhaftet. Es geht um eine Konfrontation zwischen Solo und ihrer Halbschwester und ihrem 17-jährigen Neffen, den sie mehrfach geschlagen haben und dessen Kopf sie mehrfach auf den Zementboden geknallt haben soll. Die Polizeiaufzeichnungen und zwei vereidete Aussagen besagen, dass Solo bei der Verhaftung, bei der sich sich gewaltvoll und lautstark widersetzt haben soll, und der mutmaßlichen Tat betrunken gewesen sein soll.
"Durch die Hölle gegangen"
Im Januar 2015 stellt jedoch ein Richter das Verfahren aus verfahrenstechnischen Gründen ein. Zum gleichen Zeitpunkt wird Solo für 30 Tage suspendiert, wieder ist Alkohol im Spiel. Sie und ihr Ehemann Jerramy Stevens werden in einem U.S. Soccer-eigenen Van angehalten und Stevens wird wegen Trunkenheit am Steuer angeklagt.
Ein halbes Jahr später kommen neue Details über den Vorfall der mutmaßliche häuslichen Gewalt ans Licht. Als nach einem Einspruch der Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder aufgenommen wird, versucht Solo, die Anklage fallen zu lassen, was 2016 abgelehnt wird. Erst 2018 geht ein Gericht diesen Schritt. Der Sachverhalt wird demnach nie öffentlich vor Gericht erörtert und die ehemalige Keeperin rechtlich nie freigesprochen. Solo, die die Anschuldigungen bis heute bestreitet, sagt damals, sie sei "durch die Hölle gegangen", auch wegen der medialen Berichterstattung.
2016 erlebt Solo ein unrühmliches Karriereende. Nach abfälligen Äußerungen über das gegnerische Team aus Schweden bei den Olympischen Spielen in jenem Sommer wird sie aus der Nationalelf geworfen. Ob das Karriereende sie persönlich zerfrisst, ob sie abstürzt, verrät die ehemals beste Torfrau der Welt nicht. Doch, dass es es ihr zusetzt, zeigen ihre Behauptungen, der wahre Grund für ihre Entlassung sei, dass sie generell immer ihre Meinung sage. Wäre sie ein Mann gewesen, wäre die Strafe vielleicht nicht so hart und dauerhaft gewesen, sagt sie.
Schleichende Alkoholabhängigkeit
Welche Rolle die Sucht nach Alkohol damals schon gespielt hat, wann genau er ein zerstörerischer Teil ihres Lebens wird, zu welchem Zeitpunkt deswegen erstmals körperliche, psychische und soziale Probleme auftreten - möglicherweise weiß Solo selbst das nicht mal genau. Alkoholabhängigkeit kommt anders als Erfolg, Ruhm oder das Karriereende. Schleichend, hinterhältig, individuell verlaufend. Betroffene erkennen oder verleugnen die Sucht lange, selbst wenn schon eine Vernachlässigung von Lebensinhalten auftritt.
Solo belügt sich wohl über solch einen langen Zeitraum selbst, bis sie ihre Kinder in Lebensgefahr bringt. Suchtkrankheiten, das zeigt dieser Fall mal wieder deutlich, sind niemals das alleinige Problem des erkrankten Menschen, betroffen ist immer das ganze System Familie. Und wenn Eltern trinken, leiden die Kinder am meisten. Die tragische und gefährliche Alkoholfahrt mit den Zwillingen im Auto verdeutlich, wie stark die Abhängigkeit die Mutter zu dem Zeitpunkt im Griff hat. Ob in den Prozess hin zur Sucht auch der Schicksalsschlag 2018, als Solo eine Fehlgeburt erleidet, eine Rolle spielt, ist so wenig bekannt, wie ob bei ihr eine Suchtveranlagung vorliegt.
Wie bei vielen Alkoholabhängigen ist (oft selbst für Familie und Freunde) die Krankheit nicht unmittelbar sichtbar. Solo versucht nach der Fußballkarriere, sich neu zu erfinden und sich von der Sportlerin zur Aktivistin zu wandeln. Einen Schwerpunkt legt sie auf die Gleichberechtigung und gleiche Bezahlung von Sportlerinnen und Sportlern. 2016 gehört die ehemalige Torhüterin somit auch zu den fünf Star-Nationalspielerinnen, die bei der US-Kommission für Chancengleichheit am Arbeitsplatz eine letztlich erfolgreiche Klage wegen Lohndiskriminierung durch U.S. Soccer einreichen.
Kampf den Dämonen
Doch die Fragen, warum sie trotz aller Erfolge auf und neben dem Platz dem Alkohol immer stärker nachgegeben hat, wie und warum es zu diesem tragischen Absturz kam, wird Solo wohl nur mit der Zeit beantworten können. Ihrer Psyche, ihren ganz eigenen Dämonen, muss sie nun in ihrer wichtigsten und zugleich schwierigsten Partie gegenübertreten. 30 Tage im Gefängnis werden zugleich notwendiger kalter Entzug. Weil es sich um eine schwere Erkrankung handelt, benötigt sie anschließend Ärztinnen und Ärzte und Suchttherapeutinnen und Suchttherapeuten, um auf Dauer mit dem Trinken aufhören zu können. Ein Schritt, den sie definitiv gehen will, wie Solo sagt. Wichtig wird auch sein, durchaus kompliziert für eine (ehemalige) Leistungssportlerin, nachsichtiger mit sich selbst umzugehen. Und dann mit den Schuldgefühlen den Kindern gegenüber umgehen zu lernen.
Wie fühlt es sich dort oben an? Hope Solo ist ein von wenigen, die es weiß, die eine Karriere wie kaum andere Fußballerinnen und Fußballer hingelegt hat. Doch oft verbergen sich hinter den brillantesten Karrieren Dämonen, die eine ganze Existenz beeinträchtigen können. Vor allem in der wettbewerbsorientierten, mit so viel Druck belegten Welten des Sports und des Ruhm, die nach Perfektion, Leistung und Glanz strebt.
Die beste Torhüterin der US-Geschichte weiß, dass sie jetzt wieder kämpfen muss. Ein Kampf, der ihr restliches Leben andauern wird. Der harte Kampf gegen die bösen Geister der Alkoholsucht. Es sei ein langer Weg, schreibt Solo in den Sozialen Medien, "aber ich komme langsam von meiner Auszeit zurück".
Quelle: ntv.de