BVB-Ikone Norbert Dickel "Machen uns vor Bayern nicht in die Hose"
28.04.2015, 10:59 Uhr
"Wir haben ja noch die ein oder andere Möglichkeit, etwas zu erreichen": Norbert Dickel.
(Foto: imago/Team 2)
Mächtig gelitten hat Dortmunds Legende Norbert Dickel in dieser Saison mit seiner Borussia. Der ehemalige Spieler und jetzige Stadionsprecher kann immer noch nicht verstehen, wie die Saison in der Fußball-Bundesliga derart aus der Bahn geraten konnte, dass Trainer Jürgen Klopp am Saisonende vorzeitig aufhört. Vor dem Pokalkracher beim FC Bayern (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) zeigt sich Dortmunds Pokalheld von 1989 im Gespräch mit n-tv.de dennoch überzeugt: Der BVB kann auch gegen "eine überragende Mannschaft, vielleicht die stärkste der Welt" wie die Sofa-Meister von Josep Guardiola bestehen - wenn er aus den eklatanten Fehlern des FC Porto lernt. Zum Abschied vom Klopp wünscht sich Dickel, "als Pokalsieger nochmal um den Borsigplatz zu fahren". Von so manchem Bayern-Verantwortlichen fordert er allerdings: "Einfach mal den Kopf einschalten."
n-tv.de: Herr Dickel, Sie bezeichnen Borussia Dortmund gerne als ihre zweite große Liebe neben Ihrer Frau. Wer von beiden hat Ihnen in dieser Saison mehr Kummer bereitet?
Norbert Dickel: In dem Fall mein Klub (lacht). Ich bin mit meiner Frau 30 Jahre verheiratet, da gibt es nicht mehr so viel Ärger.
Wie sehr haben Sie am BVB gelitten?
Ganz klar, das war eine schwere Saison für uns. Das können wir alle nicht wirklich verstehen, dass es so gekommen ist. Nichtsdestotrotz wollen wir sie vernünftig zu Ende kriegen. Wir haben ja noch die eine oder andere Möglichkeit, etwas zu erreichen. Zudem möchten wir Jürgen Klopp einen schönen Abschied bescheren.
Der Trainer hat als Konsequenz aus den Problemen in dieser Saison seinen Rücktritt im Sommer angekündigt. Hat Sie dieser Schritt überrascht?
Das hat mich schon überrascht und traurig gestimmt. Es tut immer weh, wenn ein Freund geht. Jürgen Klopp hat wie die Faust aufs Auge zu Borussia Dortmund gepasst. Seine Dynamik, sein Ehrgeiz, seine ganzen Gesten, er hat die Mentalität des Ruhrgebietlers gehabt. Ich bin aber lange genug in dem Geschäft, dass ich weiß: Es wird immer wieder passieren. Jürgen Klopp geht, da bin ich sehr traurig drüber, und seine Entscheidung respektiere und akzeptiere ich. Aber Thomas Tuchel kommt, da freue ich mich sehr drüber.
Seit Klopps Rücktrittsankündigung hat der BVB zweimal souverän gewonnen. Kriegt die Mannschaft noch rechtzeitig die Kurve für die Europaliga-Qualifikation?
Norbert Dickel, 53 Jahre alt, arbeitet seit fast 30 Jahren für den Ballspielverein Borussia aus Dortmund. Bis 1990 trug er das schwarz-gelbe Trikot - und machte sich am 24. Juni 1989 bei den Fans unsterblich, als er beim 4:1 im Finale des DFB-Pokals gegen Werder Bremen zwei Tore schoss und so dem BVB den ersten Titel seit dem Gewinn des Europapokals 1966 bescherte. "Wir singen Norbert, Norbert, Norbert Dickel, jeder kennt ihm, den Held von Berlin!" Mittlerweile ist der ehemalige Angreifer Stadionsprecher in Dortmund, zudem kommentiert er die Spiele im vereinseigenen Internetradio.
Wir haben auch vorher gut gespielt. Wir haben es nur nicht immer so umgesetzt, wie es Jürgen Klopp wollte und deshalb verloren. Jetzt haben wir zweimal völlig verdient gewonnen. Das hat aber nichts mit der Rücktrittsankündigung zu tun, das ist Quatsch.
Nun steht das Pokal-Halbfinale in München an. Klopps BVB gegen den FC Bayern, das war in den vergangenen Jahren der deutsche Fußball-Klassiker. Was überwiegt vor der vorerst letzten Ausgabe: Vorfreude oder Wehmut?
Vorfreude! Wir haben doch gar nicht viel zu verlieren. Wir haben die Möglichkeit ins Pokalendspiel zu kommen und wissen, wie schön es ist, wenn Berlin schwarzgelb ist. Wir sind heiß.
Haben Sie dem FC Bayern schon zur 25. Meisterschaft gratuliert - zum Beispiel mit einem Blumengruß für Karl-Heinz Rummenigge?
Nein. Aber als anständiger Sportsmann gratuliere ich dem FC Bayern auf diesem Wege.
Von den jüngsten vier Pflichtspielen gegen den FC Bayern hat der BVB nur den Supercup gewonnen. Wie oft träumen Sie noch von der 64. Minute im letztjährigen Pokalfinale, diesem nicht gegebenen Tor von Mats Hummels?
Gar nicht. Aber es ist für mich immer noch völlig unverständlich, dass man so etwas nicht sieht. Es ist wie es ist, so werden wichtige Finalspiele manchmal entschieden, leider.
Laut Klopp fährt der BVB auf "Krawall gebürstet" nach München. Wie sehen Sie die Chancen?
Wir haben in den ganzen letzten Jahren gezeigt, egal wo wir in der Tabelle gestanden haben, dass wir gegen die Bayern gut aussehen können. Das wird unfassbar schwer, der FC Bayern hat eine überragende Mannschaft, vielleicht die stärkste der Welt. Aber wir haben auch eine gute Mannschaft und können das in diesem einen Spiel schaffen. Ich vertraue auf unser Trainergespann, dass sie genau die richtige Taktik wählen, damit wir die Bayern schlagen können. Wir machen uns nicht in die Hose.
Das klingt nicht, als hätte Sie das 6:1 des FC Bayern gegen den FC Porto sonderlich beeindruckt?
Also ich habe das Spiel komplett gesehen. Porto hat gedacht, sie können sich in München ein bisschen hinten reinstellen. Aber wenn die zwei wichtigsten Außenverteidiger ausfallen, dann knallt es da unten. Du musst da hellwach sein. Die Bayern haben sich dann in einen Rausch gesteigert aufgrund der Inaktivität von Porto. Die haben ja gar nichts gemacht! Wir werden uns nicht hinten reinstellen.
Kurz vor dem Pokalduell hat Ex-Bayern-Aufsichtsratsmitglied Helmut Markwort öffentlich behauptet, Klopp wollte den BVB schon 2014 verlassen - und zum FC Bayern wechseln. Der habe ihm aber abgesagt. Inzwischen spricht Markwort von einem bedauerlichen Versprecher. Glauben Sie ihm?
Das sind die normalen und gewollten Störfeuer vor so einem Spiel. Es ärgert mich, dass ein Mann wie Helmut Markwort so etwas einfach raushaut. Da sollte man zwei Tage vor so einem Spiel einfach mal den Kopf einschalten.
Hinterlässt das in der Mannschaft irgendeinen Eindruck?
Das ist doch in den letzten Jahren immer so gewesen. Das ignorieren wir einfach.
Der FC Bayern sucht aktuell keinen Trainer, dafür aber zum Beispiel RB Leipzig. Bei welchem anderen Verein können Sie sich Klopp künftig vorstellen?
Nicht bei RB Leipzig. Aber ob er jetzt direkt wieder Trainer wird, ob er ein Jahr Auszeit nimmt - das wird alles bei Klopps hinter verschlossenen Türen besprochen. Und irgendwann werden wir es erfahren und die Entscheidung, die er trifft, ist richtig.
Kommt Klopp noch mal zum BVB zurück?
Ich würde es mir natürlich wünschen. Aber wir wissen doch alle, wie Fußball ist. Keiner kann das voraussagen.
Ab dem Sommer sitzt Thomas Tuchel auf der BVB-Bank. Sie sind sehr nah dran an den Dortmunder Fans. Wie wurde seine Verpflichtung dort aufgenommen?
Ich glaube, dass Thomas Tuchel von seiner ganzen Explosivität und Art zu Borussia Dortmund passt. Und das werden sich auch Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc gesagt haben.
Klopp gilt als Menschenfänger, Tuchel eher nicht.
Egal, wer für Jürgen Klopp kommt, es wäre für jeden erstmal schwer. Sagen Sie mir einen anderen Trainer, der so ist wie Klopp? Den gibt es nicht auf der Welt, er steht für sich alleine. Man sollte Thomas Tuchel einfach die Möglichkeit geben, genauso emotional und leidenschaftlich zu Werke zu gehen, wie wir ihn bisher gekannt haben.
Schafft der BVB mit Tuchel wieder den Anschluss nach ganz oben?
Das wird sich zeigen. Wir haben ja gesehen, wie schwer eine Saison ist. Tuchel ist ein gewiefter Taktiker. Er weiß, was zu tun ist. Dann müssen wir mal schauen. Es wird sicherlich ein ganz spannendes Jahr.
Wird es in Dortmund neben dem Umbruch auf der Trainerbank auch einen im Spielerkader geben?
Wenn Du auf Platz 18 bist, hast Du eine Menge Baustellen. Jetzt läuft es in der Rückrunde, dann hast Du weniger Baustellen. Aber da, wo Du Schwächen siehst, musst Du aktiv werden. Das ist aber nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen: wer bleibt, wer geht, wer kommt.
Eine Saisonprognose können Sie aber durchaus abgeben: Wann und wie wird die letzte BVB-Spielzeit unter Jürgen Klopp enden?
Ich habe den Wunsch, mit Jürgen Klopp als Pokalsieger nochmal um den Borsigplatz zu fahren. Und ich glaube, dass wir das auch schaffen können.
Mit Norbert Dickel sprach Christoph Wolf.
Quelle: ntv.de