Der wirklich wichtige Profi Neven Subotics richtiges Leben im falschen
24.12.2019, 08:59 Uhr
Neven Subotic kämpft mit Union Berlin um den Klassenerhalt, im wahren Leben geht es dem Fußballprofi um mehr.
(Foto: imago images/Bernd König)
Neven Subotic ist ein außergewöhnlicher Fußballprofi: Außergewöhnlich erfolgreich, außergewöhnlich reflektiert, außergewöhnlich engagiert. Der 31-Jährige macht keine Schlagzeilen, sondern stattdessen die Welt ein bisschen besser. Jeden Tag.
Es ist verrückt: Der zweifache deutsche Meister Neven Subotic, Fußball-Profi beim 1. FC Union Berlin, fährt mit der S-Bahn zur Arbeit und zurück, er gibt sein Geld nicht für Luxusartikel aus, ein Auto besitzt er nicht - vor allem aus praktischen Gründen - und beschäftigt sich lieber mit dem Lauf der Welt als allein mit dem Rollen des Balls. Er trägt kein einziges Tattoo spazieren. Neven Subotic tut normale Dinge, wie sie Millionen Menschen in Deutschland jeden Tag tun.
Das Verrückte: Der ehemalige Dortmunder gilt als "anders" und das erzählt viel und vor allem Trauriges über den Fußball-Betrieb. Als ein Fan den Verteidiger im August nach dem ersten Heimspiel der jungen Bundesligageschichte Union Berlins in der S3 fotografiert hatte und sein Bild via Instagram teilte, schien das Internet für Stunden stillzustehen. Ein S-Bahn-fahrender Bundesligaprofi, es war ein Aufreger. "Irgendwann werde ich auch noch dafür bewundert, dass ich selbst atme", schüttelt Subotic darüber den Kopf - und man liegt mit dem Eindruck sicher nicht falsch, dass ihm diese Art der Bewunderung völlig fremd ist. Wo andere die Nummer und Flugplan des Lieblingsfriseurs gespeichert haben, hat Subotic die App der Berliner Verkehrs-Gesellschaft auf seinem Handy mit zersplittertem Display.

Jürgen Klopp holte Neven Subotic in den Profifußball, später wurden beide gemeinsam zweimal deutscher Meister.
Es ist nur einfach zu normal geworden, dass hochbezahlte Facharbeiter wie Fußballprofis in einer eigenen Welt unterwegs sind. Eine Welt, in der das Normale utopisch ist. Das Obszöne, das Triviale, das Laute, die heiße Luft - all das gilt im großen Zirkus Fußball als wertvoll, als Teil der Folklore. Was zu sagen hat der, der die meisten Instagram-Follower hat. Aufmerksamkeit wird dem geschenkt, der mit der absurdesten Lambo-Lackierung vorfährt. Als "anders", als "Typ" gilt heute schon jemand, der sich möglichst medienwirksam daneben benimmt oder wenigstens außergewöhnliche Dinge sagt. Es ist schon egal, ob das dann schlau oder eher nicht ist. Früher musste man wie Allgöwer oder Lienen gegen Atomkraft und für Abrüstung argumentieren können, heute tanzt aus der Reihe, wer den Genuss von Goldsteaks zelebriert. Neven Subotic lebt das richtige Leben im falschen.
Ein Jahresgehalt für die Stiftung
Während der Fußball-WM in Russland musste den DFB-Stars im Quartier zeitweise das Wlan abgeschaltet werden, weil die Spieler teilweise bis tief in die Nacht zockten. Die beiden Offensivkräfte Marius Wolf und Marco Reus wurden in den vergangenen Jahren zu gewaltigen Strafen verdonnert: Wolf musste 200.000 Euro bezahlen, Nationalspieler Reus sogar 540.000 Euro - beide, weil sie ihre PS-starken Edelboliden wiederholt zu schnell oder gleich ganz ohne Fahrerlaubnis bewegt hatten. Die zuständige Richterin beschied Wolf, der heute bei Hertha BSC spielt, er brauche wohl künftig zusätzlich zu einem Chauffeur auch noch ein Kindermädchen. Beide Spieler standen in Diensten von Borussia Dortmund, was natürlich Zufall ist, aber zur Geschichte passt. Denn in seiner Zeit bei Borussia Dortmund entschließt sich Neven Subotic, sein Geld sinnvoller auszugeben als die meisten seiner Kollegen.
Als junger Profi war er, so beschreibt er es im Interview mit RTL/n-tv.de, erstmal "gefangen in der Bubble, in den Normen, wie man sich als Fußballprofi verhält. Das und das tust du, da und dahin gehst du in den Urlaub. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das voll das Schauspiel ist, voll die Rolle, die ich eingenommen habe, obwohl ich sie gar nicht einnehmen musste". Nach seinem Wechsel von Mainz 05, das der Innenverteidiger gemeinsam mit Jürgen Klopp gen BVB verlässt, hat er schnell ein großes Haus mit Garten, mehrere Autos, die klassischen Insignien des schnellen Aufstiegs und des schnellen Geldes. Alles Ballast, alles verkauft. Wichtiger seien, das habe er eben schon damals gemerkt, "ein reines Gewissen, Freunde um mich herum, auf die ich zählen kann" - und Menschen, mit denen man gemeinsam an einer menschenwürdigen Zukunft für alle arbeiten kann. 2012 gründet Neven Subotic die Neven Subotic Stiftung. Da ist er 23 Jahre alt, zweifacher deutscher Meister und Multimillionär.
Heute gibt der 20-malige serbische Nationalspieler immer noch mehr Geld in einem Jahr aus, als die meisten Fußballfans in zehn verdienen. Statt in Luxus fließt das Geld aber heute in Leben: Mit seiner Stiftung kümmert er sich um Wasser. Die Organisation baut mit lokalen Partnern in Äthiopien Brunnen. So ermöglichte die Initiative eines reflektierten jungen Sportlers schon 80.000 Menschen einfachen Zugang zu sauberem Trinkwasser, anstatt stundenlang für verunreinigtes Wasser laufen zu müssen.
Damit alle Spenden vor Ort ankommen, zahlt der Fußballprofi die Verwaltungskosten der Stiftung aus der eigenen Tasche. Was das konkret heißt? Im Rechenschaftsbericht der Stiftung stehen die harten Zahlen: 2016 waren es 231.853 Euro, 2017 437.617 Euro, 2018 395.794 Euro, inzwischen ist es so viel, dass dafür "schon in etwa mein Gehalt drauf geht", wie Subotic der "taz" verriet. "Ich erwähne das nur, um zu zeigen, dass es geht, ohne dass ich verhungere. Schließlich habe ich noch ein paar Ersparnisse aus meinen früheren Fußballerjahren. Außerdem brauche ich persönlich nicht so viel Geld, um glücklich zu sein." Andere leisten sich für das gleiche Geld halt ein paar Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung.
Natürlich gibt es "Kollegen, die das nicht verstehen, weil sie es selbst so nicht kennen. Wenn sie mir empfehlen, mal etwas anderes zu machen, kann ich ihnen sagen 'Hab ich leider alles schon gemacht - und ich will es halt nicht'", sagt der ehemalige Champions-League-Finalist und lacht. Einfach mal drei Wochen Urlaub auf Mykonos? "War ich tatsächlich schon. Es war okay. Ich war da mit meinem besten Freund. Das Coolste war, Zeit gemeinsam zu verbringen. Meine Urlaubszeit ist begrenzt, also nutze ich sie lieber für Sachen, die wichtig, man kann sagen: lebenswichtig sind."
844 Millionen Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser
Fragt man den Fußballer nach dem Zweck seiner Arbeit, kann er aus dem Stegreif bedrückende Zahlen und Fakten referieren: "Wir setzen uns dafür ein, dass das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser auch tatsächlich realisiert wird. Es ist klar, dass jeder Mensch auf der Welt Zugang zu sauberem Wasser braucht. Um zu überleben, um sich zu entfalten", sagt er. "Auch 2019 haben wir 844 Millionen Menschen auf der Welt, die keinen einfachen Zugang zu sauberem Wasser haben, das ist mehr als die gesamte Bevölkerung Europas."
Durch die Hilfe der Stiftung werden Brunnen gebaut, es geht aber auch um den richtigen Umgang mit Hygiene und Sanitation. Es geht um Gesundheit, Bildung, Zukunft, aber auch darum zu sensibilisieren, "aktuelle Probleme im Kontext der Zeit zu verstehen", wie Subotic sagt. Es erwachse eine Verantwortung daraus, dass der afrikanische Kontinent Hunderte Jahre ausgebeutet wurde, während Europa im selben Zeitraum reicher und reicher geworden sei. Große Worte, erschreckende Zahlen. Subotic referiert sie, leidenschaftlich aber ohne Betroffenheit. Er kümmert sich lieber und ist jederzeit in der Lage, in die Tiefe zu gehen, komplexe geopolitische Zusammenhänge zu erklären und auf Nachfragen zu antworten.
Geld und Zeit investiert er in teure Fortbildungen zu Logistikfragen und Datenanalyse. Hartes Brot. Sein Leben findet abseits des Platzes nicht im Autohaus und vor der Playstation statt, sondern im Büro. Vor dem Training, nach dem Training. Begeistert von so viel Engagement fernab des Fußballs sind nicht alle, es gibt auch Kritik. Aber die eigene Karriere - mit zwei deutschen Meisterschaften, einem Pokalsieg, 218 Bundesligaspielen für Borussia Dortmund und den 1. FC Köln und 20 Länderspiele für Serbien - ist der Beweis, dass ein Leben neben dem Fußball dem Fußball-Dasein nicht schadet. Es wäre ja auch absurd, schließlich steht der Profifußball in Deutschland nicht unter dem Verdacht, für die am besten bezahlten Angestellten im Ligaalltag eine tagesfüllende Aufgabe zu sein.
Ob ihn das sorglose, wenig nachhaltige Leben mancher nicht verrückt mache? Der Verteidiger lächelt und versichert, dass er keine Energie übrig habe, sich darüber Gedanken zu machen. Es würde nur wertvolle Zeit rauben für Dinge, die er beeinflussen könne. Was er über viele Kollegen denkt, sagte er jüngst in der "Welt am Sonntag": "Ich wünsche mir in Bezug auf die Branche eine ernsthafte, ehrliche Auseinandersetzung der Profis mit ihrer Rolle und ihrem Leben. Wir stehen im öffentlichen Leben, viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene schauen zu uns auf und schauen, was wir tun, und wie wir leben. Diese Vorbildfunktion sollten wir für den gesellschaftlichen Benefit nutzen", wünscht er sich von den kickenden Ich-AGs. "Was ich aber nicht mag, sind Heuchler. Wenn einer nur sagt, dass Klimaschutz wichtig ist, und es bei der Aussage lässt, sich dann aber in seinen Ferrari setzt, passt das nicht gut zusammen."
Ein Fan unter Profis
Neven Subotic wurde am 10. Dezember 1988 in Banja Luka, ehemals Jugoslawien, heute Bosnien und Herzegowina, geboren. 1990 flüchteten seine Eltern mit Neven und seiner Schwester wegen des Jugoslawienkrieges nach Deutschland. Zunächst fand die Familie im Schwarzwald eine Heimat, als die Abschiebung drohte, zogen die Subotics weiter in die USA. 2006 kehrte Subotic nach Deutschland zurück und unterschrieb nach einem mehrwöchigen Probetraining einen Profivertrag beim damaligen Zweitligisten Mainz 05. 2008 zog er gemeinsam mit Jürgen Klopp weiter zu Borussia Dortmund, wo er - unterbrochen von einer Leihe zum 1. FC Köln - bis 2018 spielte. Danach stand der 20-fache serbische und frühere US-Nachwuchs-Nationalspieler beim französischen Traditionsverein AS St. Etienne unter Vertrag. Seit dieser Saison spielt Subotic für Union Berlin.
Die Neven Subotic Stiftung sorgt seit 2012 dafür, dass immer mehr Menschen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen erhalten. Der Fußballprofi bezahlt die Verwaltungskosten seiner Stiftung aus der eigenen Tasche und kümmert sich aktiv um den Fortschritt der Projekte der Stiftung, die durch Mitarbeiter und Partner der Stiftung gemeinsam mit den Einheimischen umgesetzt werden.
Neven Subotic sieht manche Facette des Spektakels kritisch, das ihn so reich gemacht hat, dass er mit seiner Zeit und seinem Geld viel Sinnvolles tun kann. Es ist ihm suspekt, dass der Zirkus einen so gewaltigen gesellschaftlichen Stellenwert genießt. Ein Fan des Spiels, des Fußballs an sich ist der Bessermacher aber. Vielleicht einer der größten unter den kickenden Protagonisten des Betriebs. Ligafolklore ist die Erinnerung an den oberkörperfreien Jungprofi, der nach der ersten seiner Dortmunder Meisterschaften inmitten der entfesselten BVB-Fans auf einem Autodach stehend seine eigene Meisterfeier veranstaltete. "So eine Feier muss inklusiv sein, nicht exklusiv", erzählte er dem Magazin "11 Freunde". "Wenn nur die Spieler fein zusammensitzen, dann ist das nicht das, wofür der BVB steht. Ich stürzte mich vor dem Essen mit meinen Freunden mitten ins Getümmel der Stadt. Egal wann und wo, ich vertraue den Fans." Frisch ist die Erinnerung, dass er als einer der wenigen Profis den 15-minütigen Stimmungsboykott der Union-Fans im ersten Heimspiel gegen RB Leipzig uneingeschränkt unterstützte.
"Für mich ist schon wichtig zu schauen, wohin die Entwicklung des Fußballs geht. Ist er nur eine Investitionsanlage für Unternehmer oder dürfen wir Fans - ich bin ja ebenfalls Sportfan - mitentscheiden? Wenn die Fans gar keine Rolle mehr spielen, haben wir ein Problem", erklärte Subotic der "taz". Und weiter: "Und das Vereinsleben ist für viele Fans ein wichtiger Teil ihrer Identität. Wenn das verloren geht, sind wir in der Entertainmentindustrie und nur noch Clowns."
Der Fußball-Millionär kann über Fanthemen wie die entfesselte Kommerzialisierung des Sports genauso fundiert und leidenschaftlich referieren, wie über das Menschenrecht auf Wasser. Anders als Teilen der sich so oft um sich selbst drehenden Branche vermittelt Subotic aber eben nicht, dass Fußball die wichtigste, bedeutsamste Sache der Welt ist. Es geht eben nicht um Würde oder Überleben. Subotic wird bei Spielen gegen seine handverlesenen Ex-Klubs von Fans beider Lager gefeiert. Die Gründe sind offensichtlich, er ist einer von ihnen.
Fußball ist nicht alles
Das traditionelle Weihnachtssingen in der Alten Försterei musste der kickende Fan aber ausfallen lassen: Als sich die Union-Familie am Tag vor Weihnachten zum besinnlichen Jahres-Kehraus traf, war Neven Subotic schon auf dem Weg nach Äthiopien. "Am Ende ist das beste Kommunikationsmedium eben doch, voreinander zu stehen und gemeinsam die Sachen anzugehen."
Ob das der beste Plan ist, den man für Weihnachten haben kann? "Für mich ja", sagt er heiter, "ich muss dazu sagen: Ich feiere kein Weihnachten, für mich ist das einfach Urlaub. Ich bin vor Ort mit Kolleginnen und Kollegen, wir haben alle das gleiche Ziel: Wir wollen die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort gemeinsam verbessern. Das ist ja der Geist von Weihnachten: Mit Gleichgesinnten Zeit verbringen. Rückblickend ist das für mich immer der schönste Teil des Jahres." Neven Subotic tut eben doch vor allem Dinge, die nicht normal sind. Sondern eher wichtig. Lebenswichtig. Er ist nicht anders, er ist außergewöhnlich. Nicht nur in Fußballer-Maßstäben.
Quelle: ntv.de