WM-Countdown (25) Russland - Eishockey- oder Fußballland?
20.05.2018, 17:11 Uhr
Schampanskoje!
(Foto: imago/ITAR-TASS)
Hilft ja nichts, irgendwann müssen wir ran an die großen Fragen. Darum versuchen wir heute mal zu klären, ob der Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft denn auch eine Fußballnation ist. Es gibt zumindest einige Indizien.
Sonntag, Zeit für die ganz grundsätzlichen Fragen. Also soll es heute darum gehen, was denn nun der wichtigste Sport ist in Russland - Fußball oder Eishockey. Ja, okay, das haben schon ganz andere versucht, endgültig zu klären. Aber ein paar Indizien kann man ja mal sammeln. Hier sind sechs Stück.
1. Internationale Erfolge: Schon zu Sowjetzeiten war - von gelegentlichen Rückschlägen abgesehen - die Eishockeynationalmannschaft etwas, worauf die Russen stolz sein konnten. Seit 1920 gibt es Eishockey-Weltmeisterschaften, in dieser Zeit hat die Sowjetunion 22 Mal und Russland weitere fünf Mal den Titel geholt, das ist die Führung im ewigen Medaillenspiegel. Russische Spieler wie Alexander Owetschkin sind im Ausland aktiv und prägen auch die NHL. Beim Fußball sieht das ganz anders aus: Kein Weltmeistertitel, weder für die Sowjetunion noch für die heutige russische Mannschaft, das bisher beste Resultat war ein vierter Platz bei der WM 1966 in England. Wenn russische Profifußballer ins Ausland gehen, dann oft in andere postsowjetische Länder, deren Ligen international nicht zu den besten gehören. Andrei Arschawin, der den Durchbruch schaffte und mehrere Jahre bei Arsenal spielte, ist eher eine Ausnahme als die Regel. Deutlicher Punkt fürs Eishockey.
2. Sprache: Auch hier liegt Eishockey deutlich vorne, da reichen schon zwei Beispiele: 1964 wurden in der Sowjetunion zwei Turniere für Kinderreams eingeführt. Der Wettbewerb für den Fußballnachwuchs hieß "Lederner Ball", der für den Eishockeywettkampf dagegen "Goldener Puck" - hier Realismus, da Glanz und Gloria. Auch heute genügt ein Blick darauf, wo die Spiele ausgetragen werden: Fußball banal im Stadion, das ist auf Russisch wie auf Deutsch so. Eishockey spielt man hier im "Eispalast". Auch hier steht Fußball für Pragmatismus, Eishockey für Prestige.
Katrin Scheib ist Journalistin, Schalke-Fan und kommt aus dem Rheinland. Als die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien Fußball-Weltmeister wurde, war sie gerade nach Moskau gezogen. Seitdem bloggt sie unter kscheib.de über ihren Alltag und informiert mit ihrem "Russball"-Newsletter jede Woche über den Fußball und die WM-Vorbereitungen in Russland. Und nun schreibt sie für n-tv.de den Countdown, bis das Turnier am 14. Juni beginnt.
3. Gehälter: Einmal im Jahr macht sich die Website Sports.ru die Mühe und rechnet durch, welche Fußballer und Eishockeyspieler in Russland am besten verdienen. Dabei wird sowohl das Gehalt berücksichtigt als auch eine eventuelle einmalige Zahlung bei Vertragsabschluss. Unlängst wurden die aktuellen Zahlen veröffentlicht, und siehe da: Leandro Paredes von Zenit St. Petersburg führt mit fünf Millionen Euro die Liste der Fußball-Spitzenverdiener an, beim Eishockey kommt Spitzenreiter Ilja Kowaltschuk von SKA nur auf 4,4 Millionen. Das ist kein Ausreißer: Nimmt man den Schnitt der zehn bestbezahlten Fußballer in Russland, sind das 3,8 Millionen, bei den Eishockeyspielern nur 2,9 Millionen. Punkt für den russischen Fußball also - er ist, für die Besten der Besten, lukrativer.
4. Präsidiale Unterstützung: Nein, konkrete Vereine unterstützt Wladimir Putin weder im Eishockey noch im Fußball, da ist er ganz staatstragend und drückt nur den Nationalteams die Daumen. Trotzdem siegt auch in dieser Rubrik der Eis- vor dem Rasensport, da reicht ein kurzer Blick darauf, welche Sportarten Russlands Präsident selber treibt: Judo, klar, das ist bekannt, außerdem erwähnt die offizielle Kreml-Seite Skifahren und eben Eishockey als Putins Hobbies. Zu letzterem gibt es sogar eine echte Heldengeschichte: Bis Februar 2011 habe Putin nicht mal Schlittschuhlaufen können, doch dann habe er - oft um Mitternacht, nach seinem Arbeitstag - Privatunterricht genommen. Heute gehört es zur normalen Öffentlichkeitsarbeit des Kreml, dass ab und zu Fotos veröffentlicht werden von Putin beim Eishockeyspielen, in Moskau oder in Sotschi. Fußball spielen sieht man den Präsidenten dagegen kaum - es sei denn, man zählt ein wenig Kurzpassspiel im Präsidentenzimmer mit Gianni Infantino.
5. Einschaltquoten: Ein Journalist von Championat.ru hat sich mal die Mühe gemacht, zu vergleichen, welche Sportart mehr Zuschauer an den Fernsehbildschirm lockt. (Das mit dem Fernseher ist hier durchaus wörtlich gemeint, mobile Nutzung oder ein Livestream auf dem Computer sind nicht mit eingerechnet.) Dazu hat er Spiele zwischen Spitzenclubs der jeweiligen obersten Ligen analysiert, und siehe da: Sowohl Einschaltquote als auch Marktanteil lagen bei den Fußballspielen zuletzt deutlich höher als beim Eishockey, genau genommen zwischen drei- und viermal höher. Der Fernseh-Punkt geht also klar an den Fußball.
6. Alkohol: Zum Schluss noch ein Wort zum Bier. Wer in Russland zu einem Fußballspiel der Premjer-Liga geht, der kann im Stadion keine alkoholischen Getränke kaufen - die WM ist eine große Ausnahme, weil die FIFA und mächtige Sponsoren sich durchsetzen konnten. Bei Eishockeyspielen hingegen wird, jedenfalls in einigen Städten, durchaus Bier ausgeschenkt - das freut die Fans. Warum es diesen Unterschied gibt, hat neulich die russische Website Sports.ru zu klären versucht - das Ergebnis hat viel damit zu tun, wie man bestimmte Begriffe im Gesetzestext ausdeutet. Oder, einfacher gesagt: Die Regeln für den Alkoholausschank sind bei Fußball und Eishockey dieselben, sie werden nur unterschiedlich ausgelegt, und irgendwie kommen manche Eishockeyclubs damit durch. Definitiv ein Pluspunkt fürs Eishockey.
Fazit: In vier Kategorien liegt das Eishockey vorne, in zweien der Fußball - Stand heute, wohlgemerkt. Denn so eine Weltmeisterschaft im eigenen Land bewegt bekanntlich so einiges. Wer weiß, vielleicht beflügelt der Heimvorteil die russische Nationalmannschaft zu ungeahnten Heldentaten, Putin lässt sich künftig regelmäßig öffentlichkeitswirksam auf dem Bolzplatz fotografieren und bei allen Ligaspielen gibt es künftig Bier, ach was: Schampanskoje!
Quelle: ntv.de