Fußball

Königsklasse steht vor Köpenick Surreales Union wächst zu erschreckender Größe

Sheraldo Becker lässt Union Berlin von der Champions League träumen - auch wenn das niemand aussprechen möchte.

Sheraldo Becker lässt Union Berlin von der Champions League träumen - auch wenn das niemand aussprechen möchte.

(Foto: IMAGO/Matthias Koch)

Der Aufstieg von Union Berlin ist unaufhaltsam. Vom Aufsteiger über den "kleinen" Europapokal direkt in die Champions League? Dieses Szenario wirkt wahrscheinlicher denn je. Gegen Borussia Mönchengladbach liefern die "Eisernen" ein typisches Spiel ab.

Die Worte "Champions" und "League" in einem Atemzug meiden sie bei Union Berlin (noch) wie der Teufel das Weihwasser. Als wäre es etwas Schlimmes oder gar Verbotenes, über den reizvollsten Wettbewerb im europäischen Vereinsfußball zu sprechen. Doch in Berlin-Köpenick steckt etwas anderes hinter der schüchternen Verweigerung. Sie können es einfach nicht fassen, was da in der Fußball-Bundesliga immer konkretere Formen annimmt. Fünf Spieltage vor Ende der Saison steht die Mannschaft auf Rang drei, hat sich ein kleines Polster von vier Zählern auf RB Leipzig erarbeitet, das an diesem Wochenende aus den Champions-League-Rängen geflogen ist. Bedeutet also: Gewinnt Union vier von den fünf noch ausstehenden Spielen, ist die Königsklasse sicher!

Es wäre die nächste unwirkliche Landmarke einer unwirklichen Reise der "Eisernen", die erst seit vier Jahren in der Bundesliga spielen. Champions League in der "Alten Försterei", wie das klingt! Und wer könnte da nicht alles vorstellig werden. Womöglich Real Madrid, womöglich der FC Barcelona, womöglich Manchester City. Namen, die für sie in Köpenick immer noch klingen wie aus einer anderen Welt. Union wäre der Sonderling im Konzert der Großen und Glitzernden. Mit ihrer manuellen Ergebnistafel, mit ihrem Fußball, der vor harter Arbeit strotzt, vor Leidenschaft und nicht vor Tiki-Taka und sonstigen Kunstformen des Spiels. Aber hey, Obacht, noch ist nichts eingetütet. Und deswegen lieber Weihwasser als wilde Fantasien.

"Wir wollen so erfolgreich wie möglich sein"

Was da in dem Berliner Randbezirk Köpenick passiert, das ist ein Märchen. Im Ergebnis, nicht in der Erzählung. Die Geschichte der "Eisernen" in den vergangenen vier Jahren, seit dem Aufstieg, ist eine ohne Grausamkeiten. Wenn man mal außen vor lässt, dass auch die Berliner den Gesetzen des Sports unterliegen und im Erfolg ihre besten Spieler ziehen lassen müssen. Aber mit einer bemerkenswerten Transferpolitik werden die Lücken nicht nur geschlossen, sondern die Qualität des Kollektivs immer mehr erhöht. So kamen etwa in der Winterpause Aïssa Laïdouni und der kroatische WM-Teilnehmer Josip Juranović, die beide bereits einen großen Einfluss auf das Spiel ihrer Mannschaft nehmen. Union ist eben auch die Geschichte einer Transformation im Eiltempo.

Nur für die Berliner selbst geht das alles ein wenig zu schnell. Manchmal wirkt es, als wären sie selbst ein wenig erschrocken, wie schnell sie zu einem Riesen in der Bundesliga wachsen. Und so hält sich die komplette Crew aus Köpenick vor den Kameras und Mikrofonen brav zurück. "Wir haben immer gesagt, dass wir international spielen wollen. Aber die Champions League ist aktuell kein Thema. Wir wollen so erfolgreich wie möglich sein", erklärte Rani Khedira nach dem 1:0 (0:0)-Erfolg bei Borussia Mönchengladbach am Sonntagabend, einem typischen Spiel der Berliner. Eine kompakte Defensive und ein pfeilschneller Stürmer genügten, um die drei wichtigen Punkte für das internationale Geschäft einzufahren. Eine präzise Flanke von Jerome Roussillon nutzte Sheraldo Becker mit einer Direktabnahme nach einer Stunde zum Tor des Tages. Auch Trainer Urs Fischer war von der Aktion begeistert. "Das war eine tolle Bewegung, wie er im Rücken dem Gegner wegläuft", sagte Unions Chefcoach.

"Die Tabelle lügt nicht"

Die Begeisterung der Berliner, sie findet noch im kleinen statt. In diesen wunderbaren Momenten, die so Großes möglich werden lassen. Die aber bei Union immer noch bestaunt werden, als wären sie Erscheinungen aus einer anderen Welt. Doch die Köpenicker stehen längst an der Schwelle zu dieser Welt. Allein, dass sie Europa als Ziel formulieren, ist ein mächtiges Indiz dafür. "Wir wollen versuchen, uns zum dritten Mal im vierten Bundesligajahr für das internationale Geschäft zu qualifizieren", sagte Fischer. Das Wort Champions League benutzte er nicht. Sein Gladbacher Kollege Daniel Farke wurde da schon deutlicher. Union sei zu 100 Prozent ein Kandidat für die Königsklasse. Die Zahlen geben Farke recht. 16 Saisonsiege sind schon jetzt eingestellter Bundesliga-Rekord für Union. Sieben Siege und 23 Punkte auf fremdem Platz bedeuten sogar einen Vereinsrekord. "Wenn du nach 29 Spieltagen in so einer Position bist, hast du alle Chancen. Ich traue ihnen das auf jeden Fall zu", so Farke.

Und Khedira lässt sich immerhin zu der für Berliner Verhältnisse kühnen Ansage verleiten, das Erarbeitete in den kommenden Wochen verteidigen zu wollen: "Wenn du Dritter bist, willst auch am Ende Dritter sein." Aber diese Aussage bleibt nicht ganz ohne Einschränkung stehen: "Diese Liga ist zu stark, du kannst nicht fünf Tage vor Ende ein Fazit ziehen oder träumen." Union eben, eine Berliner Demuts-Mauer. Auch im Spielbericht auf der Union-Homepage wurde das ganz große Ziel am Montag mit keiner Silbe erwähnt. Aber halt: Wer auf den englischen Text zur Begegnung klickte, fand dort tatsächlich den "dream of Champions League qualification" erwähnt, huch.

Bessermacher-Geist an der Wuhle

Mehr zum Thema

Khedira, das ist auch so eine unfassbare Geschichte. In seiner zweiten Saison ist er von einem Mitläufer in der Bundesliga (RB Leipzig und FC Augsburg) zu einem Mann geworden, der im Dunstkreis der Nationalmannschaft schwebt, der sich aus dem Schatten seines Weltmeister-Bruders Sami erhoben hat. Der Schlüsselspieler wie Robert Andrich oder Grischa Prömel vergessen lassen hat. Wie der 29-Jährige haben zahlreiche Spieler von diesem Bessermacher-Geist an der Wuhle profitiert. Hier, wo ein "Dit sind wa" entsteht, während im Süden des Landes, beim klappernden Riesen FC Bayern, das legendäre "Mia san Mia" in der Isar zu versinken droht. Ein Christopher Trimmel etwa, ein Frederik Rönnöw, ein Janik Haberer oder eben auch ein Sheraldo Becker stehen für diese unbegreifliche Kraft des Klubs.

Und die würde sich finanziell potenzieren, sollte es mit der Champ ..., Pardon, mit dem Verteidigen von Platz drei (oder auch Platz vier) klappen. Es gäbe "viel mehr Spieler, über die man sich unterhalten müsste und ins Portfolio kämen, die momentan gar nicht auf der Agenda stehen", sagte Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Profifußball, der "Berliner Morgenpost" noch vor dem Sieg bei der Borussia. Es wäre "ein nächster surrealer Schritt nach dem, was man schon in den vergangenen Jahren als surreal bezeichnet hat". Und nur mal so: Union hat lediglich fünf Punkte Rückstand auf Platz eins. Um den streiten sich der BVB (aktueller Amtsinhaber) sowieso der FC Bayern - und lassen dabei in regelmäßiger Dummdödeligkeit Punkte liegen. Aber wie gesagt: nur mal so.

Quelle: ntv.de, mit dpa/sid

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen