
Jamal Musiala gegen eine Wand aus Leverkusener Spielern.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Zum ersten Mal seit beinahe zwölf Jahren muss der FC Bayern einen amtierenden deutschen Meister in der Allianz Arena empfangen. Geschichte wiederholt sich. Doch werden sie den Angriff der Leverkusener zurückschlagen können? Die verschanzen sich in München. Vielleicht wollen sie gar nicht angreifen?
Vielleicht hilft es, sich die Bundesliga als graue Maus vorzustellen. Eine, die so gerne in allen Farben schillern würde und die doch nie so leuchten wird wie die englische Milliardenliga oder wohl auch die spanische LaLiga mit den Giganten Real Madrid und FC Barcelona. Die Bundesliga, das ist der Superklub FC Bayern München, das ist die Gelbe Wand in Dortmund und das sind viele Zulieferervereine. Die meisten von ihnen hinterlassen keine Spuren.
Auf den Kopf gestellt hat diese Ordnung in der letzten Saison Bayer Leverkusen, die nicht nur Deutscher Meister geworden waren, sondern mit ihrem Sensationstrainer Xabi Alonso auch noch ungeschlagen durch die Saison spaziert waren. Wobei "spaziert" vielleicht nicht das richtige Wort für diese Last-Minute-Helden vom Bayer-Kreuz war. Jetzt also am fünften Spieltag der Spielzeit 2024/2025 konnte der FC Bayern die Normalität der Bundesliga wieder herstellen.
Der seit dem 2:3 gegen RB Leipzig Ende August nicht mehr unschlagbare Meister war während des Oktoberfests angereist und so begab es sich, dass die Bayern tatsächlich der allgemeinen Vorstellung der Bundesliga entsprachen und sich in einem mausgrauen Sondertrikot auf den amtierenden Meister stürzten. Der hing schon früh in den Seilen und hielt doch durch. Leverkusen brachte ein 1:1 über die Zeit.
Leverkusen spielt ab Minute eins auf Zeit
Gerade einmal neun Minuten waren an diesem Abend in der Münchener Allianz Arena gespielt, da eilte Schiedsrichter Felix Zwayer mit großen Schritten zu Lukas Hradecky. Der Finne im Tor des deutschen Meisters hatte sich den Ball vor einem Abstoß mal wieder zu genau angeschaut, und seiner Mannschaft so eine Pause vom Dauerdruck des FC Bayern München beschert. Zwayer war nicht so amüsiert. Er beließ es bei einer Ermahnung.
Der so dominante Meister der Vorsaison wurde von den Gastgebern tief in die eigene Hälfte gedrückt. Sie bekamen kaum Luft. Sie verschanzten sich im Strafraum, während der FC Bayern im Mittelfeld mit Joshua Kimmich die Bälle eroberte, sie butterweich, aber mit zu wenig Präzision von Michael Olise in den Strafraum segeln ließ. Harry Kane fand er nicht. Der Engländer fand nicht statt. Er blieb erstmals seit seinem Wechsel in die Bundesliga gänzlich ohne Abschluss.
Olise zeigte hingegen wieder einmal, warum er bislang zu den Spielern der Saison gehört. Alles schien zu laufen, wie es in einem Spitzenspiel in der Allianz Arena bis zur Saison 2023/2024 immer gelaufen war. Der Herausforderer kommt, staunt und kassiert am Ende eine herbe Klatsche. In mehr als 200 Ländern schüttelten sie den Kopf.
Diesmal auch? Die ganze Welt wollte es wissen. Bayer Leverkusen auch in den nächsten Jahren ein ernstzunehmendes Bundesliga-Spitzenteam? Oder doch wieder die gemütliche Langeweile in Deutschland? Das letzte Jahr war aufregend genug. Die Allianz Arena in München hätte mehrfach ausverkauft werden können und auch sonst waren alle heiß. Endlich ein neuer Herausforderer, nachdem der BVB in den weltweit als "German Clascio" vermarkteten Spielen selten mehr als eine Lachnummer gewesen war.
Meister von Defensivschwäche traumatisiert
Die Zuschauer an den Empfangsgeräten kamen früh auf ihre Kosten. Die in München anfangs eher nicht. Die Führung des Meisters durch Robert Andrich (30.) hatte sich in dieser von den Bayern so dominant geführten Partie nicht angedeutet. Bayerns Mittelfeldspieler Aleksandar Pavlovic patzte in der 30. Minute einen Ball zu einer unnötigen Ecke. Dann lag er plötzlich im Tor. Andrichs trockener Schuss vom Strafraum auf Vorarbeit von Granit Xhaka landete im linken Eck. Manuel Neuer war nicht glücklich. "Du kannst nicht alles verteidigen", sagte er nach dem Spiel und wollte den Treffer auch nicht Pavlovic anlasten. "Ein ganz normaler Fehler. Er ist nicht verantwortlich für das Gegentor."
Alonso hatte nach dem wilden 4:3 gegen den VfL Wolfsburg gleich fünfmal gewechselt und so auch den Torschützen gebracht. Die Defensive, im letzten Jahr noch das Prunkstück, machte ihm Sorgen. Schon neun Gegentore hatten die Leverkusener vor dem Spiel kassiert. Der Meister als Schießbude? Die Tore gegen Wolfsburg hatten Leverkusen fast traumatisiert. "Wir wollten heute kompakt stehen", sagte Xhaka nach dem Spiel. Der Schweizer hatte nach dem Sieg in der letzten Woche gewütet und sich eine defensivere Ausrichtung gewünscht. Deswegen Andrich. "Gegen Bayern brauchst du jemanden, der das Wort kämpfen kennt", sagte Xhaka.
Dass die Abschlüsse Andrichs auch immer wieder für Gefahr sorgen, war für Leverkusen eine willkommene Zugabe. Andrich kommentierte das Tor sachlich. "Xhaka legt ihn nicht perfekt rüber. Ich treffe ihn perfekt", sagte er. Allein: Die einmalige Perfektion war zu wenig. Denn hinten offenbarte er eine ungewohnte Schwäche. Auch, wenn er davon nichts wissen wollte.
Gnabry trifft das Aluminium
Pavlovic, der erneut den Vorzug vor 50-Mio.-Euro-Mann Joao Palinha erhalten hatte, scherte sich nämlich wenig um seinen Patzer vor dem 0:1. Er antwortete mit einem Traumtor (39.). Der Nationalspieler nahm den Ball 25 Meter vor dem Tor mit der Brust an und schloss mit perfekter Haltung ab. Hradecky kam noch an den Ball, aber der schlug trotz allem oben rechts ein. Und wer kam zu spät, um einen Block zu stellen? Ausgerechnet Andrich! "Ich kann ihn auch nicht wegköpfen, wenn ich richtig stehe", sagte er.
Die Bayern waren jetzt in der Spur. Sie hatten so viel mehr Ballbesitz, dass Leverkusen so wenig Ballbesitz hatte, wie noch nie unter Alonso. Sie hatten aber auch unfassbares Pech, als Serge Gnabry in der 48. Minute nach herrlicher Vorlage von Harry Kane den Ball von links zielend erst am langen Pfosten und Sekunden später an der Latte platzierte. Hradecky staunte am Boden liegend. Das hatte er so noch nicht gesehen.
Das Team von Trainer Vincent Kompany, der sich innerhalb weniger Wochen von einer 1h-Lösung zu einem erstaunlichen Charakterkopf entwickelt hat, war auch danach weiter dominant. Sie gierten nach dem erlösenden Treffer. Aber Leverkusen blieb wach. "Wir haben nur was zugelassen, wenn wir geschlafen haben", sagte Andrich.
Ist Wirtz der neue Götze?
Letztmals am 1. Dezember 2012 hatte der FC Bayern einen amtierenden deutschen Meister in der Allianz Arena empfangen. Das 1:1 gegen Borussia Dortmund nach Treffern von Toni Kroos und Mario Götze war dabei nur der Vorläufer für das, was sich am Ende der Spielzeit 2012/2013 erst auf dem Transfermarkt und dann in Wembley abspielen sollte.
Erst verdrehte der Rekordmeister dem späteren WM-Helden Götze den Kopf und lockte ihn von seinem Ziehvater Jürgen Klopp weg, wie der heutige Frankfurter erst in dieser Woche in bemerkenswerter Offenheit gestanden hatte, dann schlugen die Bayern im deutschen Finale in London zurück. So richtig erholt hat sich Borussia Dortmund davon nie wieder. Zwar gehören sie weiterhin zur nationalen und manchmal internationalen Spitze, doch seither eilen sie von Umbruch zu Umbruch.
Ist das auch Leverkusens Schicksal? Etablieren sie sich in vorderster Front oder brechen sie ganz weg? Die Zukunft ist noch weit offen. Und natürlich will der im Vorjahr gedemütigte FC Bayern diese auch manipulieren.
Im Sommer hatte der FC Bayern deswegen schon einmal bei Jonathan Tah vorgefühlt. So richtig interessant war es dann doch nicht. Aber die Unruhe war nach Leverkusen getragen. Sie war derart, dass irgendwann auch Bayer-Boss Fernando Carro seinen Anstand verlor und Bayerns neuen mächtigen Mann, Max Eberl, attackierte. Das eigentliche Ziel des Rekordmeisters aber lautet Florian Wirtz, der neue Götze, wenn man so will.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Schere ist auch international immer weiter aufgegangen. Es gibt Real Madrid und es gibt die Giganten der englischen Premier League. Danach kommt lange nichts. Das sind die Klubs, die Weltfußballer machen. In der Bundesliga passiert so etwas nicht. Die Bundesliga ist grau. Das jedoch muss das Ziel von Wirtz und auch Bayerns "Jahrhundertspieler" Jamal Musiala sein. So sehr sich der FC Bayern ein Wusiala-Mittelfeld wünschen würde, so unwahrscheinlich erscheint dies in diesem Herbst 2024. "Das sind zwei großartige Spieler", kommentierte Eberl nach dem Spiel. Mehr wollte er dazu nicht sagen.
Eberl zufrieden mit dem Fußball der Bayern
Dabei lässt sich das Verlangen des FC Bayern sehr gut nachvollziehen. Der kürzlich von Didi Hamann für seine Dribblings kritisierte Musiala machte das, was ihn so einzigartig macht und dribbelte auch an diesem Samstag an seinen Gegner vorbei. Er trickste sich an den Leverkusener vorbei, drehte sich und war in der ersten Halbzeit häufig nur durch Fouls zu stoppen. In der zweiten Halbzeit tauchte er mit dem Rest des Spiels ab.
Wirtz hingegen konnte bei den so defensiv ausgerichteten Leverkusener nicht auszeichnen. Der FC Bayern presste, bevor der Nationalspieler überhaupt an den Ball kommen konnte. Auffällig wurde er nur durch eine Gelbe Karte (57.) für ein sehr hohes Bein. Danach passierte wenig. Bayern kontrollierte das Spiel, Leverkusen hing in den Seilen, stürzte aber nicht. Auch als der für den angeschlagenen Harry Kane eingewechselte Thomas Müller Sekunden nach seiner Einwechslung im Strafraum der Leverkusener stürzte (87.).
Das 1:1 in der Allianz Arena war weit entfernt von einem Spiel der internationalen Spitzenklasse. Es war kein Spiel, an das man sich in den nächsten Jahren erinnern wird. Genau das aber sollte Bayer Leverkusen Sorgen machen. Denn so hatte das mit Borussia Dortmund damals am 1. Dezember 2012 auch angefangen. Meister wurden sie nie wieder. Anders als Leverkusen waren sie damals jedoch schon abgeschlagen. Die Bayern aber reklamierten den Sieg für sich. "Wir haben ein Ausrufezeichen gesetzt. In der Art, wie wir Fußball gespielt haben", sagte Eberl. Das größte Ausrufezeichen wollen sie ohnehin erst ganz am Ende der Saison "in der Crunch Time" setzen. Dann wird das Finale der Champions League in der Allianz Arena ausgetragen. Vielleicht ja gegen Bayer Leverkusen. Dann würde die Bundesliga keine graue Maus mehr sein.
Quelle: ntv.de