Fußball

Berlin umschifft die Gefahren Weltstar Isco entlarvt, wie egal ihm Union war

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Isco nach dem Gewinn der Champions League 2022 mit Real Madrid.

(Foto: IMAGO/ANP)

Er kommt doch nicht. Königstransfer Isco sollte den Bundesligazweiten Union Berlin in ungeahnte Sphären schießen. Doch der Wechsel zerbricht ähnlich wie die Karriere des Spaniers. Womöglich ein positives Ergebnis für die Eisernen - denn der Poker barg Gefahren.

"Er bedeutet eine große Verstärkung für uns", jubelt der Trainer. "Positive Nachrichten für Union vor dem […] Heimspiel gegen Wolfsburg", vermeldet die "BZ". Die Eisernen tätigen einen Königstransfer und können es kaum fassen. Schließlich zieht es einen echten Star nach Berlin-Köpenick. Ein wenig alternd vielleicht, doch mit großen Fußballer-Lorbeeren. Es ist das Jahr 2005 und der Ex-Europameister Jörg Heinrich wechselt zum damaligen Absteiger in die Oberliga Nordost (Staffel Nord).

Knapp 18 Jahre später dreht ganz Köpenick wieder am Rad. Diesmal ist der Mega-Transfer - ohne despektierlich sein zu wollen - ungleich größer als ein 35-jähriger Heinrich. Der fünfmalige Champions-League-Sieger Isco steht vor den Toren der Alten Försterei, absolviert bei Union Berlin den Medizincheck. Doch dann kommt alles anders. Freud verwandelt sich in Leid, der Isco-Deal platzt in letzter Sekunde. Und für den FCU ist das möglicherweise eine sehr gute Nachricht.

Der 30-jährige offensive Mittelfeldspieler aus Spanien ist bekannt für tödliche Pässe, einen gefährlichen rechten Fuß, atemberaubende Dribblings, elitäre Ballkontrolle und den nötigen Scharfsinn und Weitblick, um eine Partie zu dominieren. Für Vorlagen und Tore. Kurzum: Auf dem Fußballplatz ist Isco stets gefährlich für jeden Gegner. So will es zumindest die Erinnerung vieler Fußballfans und mancher Experten. Denn was der Offensivkünstler heute überhaupt noch drauf hat, ist unklar, und ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt eine Karriere, die mehr und mehr einknickte.

Für Union Berlin selbst, nicht für die Gegner, wäre Isco gleich auf mehrere Arten gefährlich geworden. Das zeigt schon der Rummel um den geplatzten Deal. Denn allein der Name wirkt irgendwie schon zu groß, zu überladen, zu prunkvoll für den Klub: Francisco Román Alarcón Suárez. Isco kennt aus seinem vergangenen Fußballer-Jahrzehnt nur Elite und Prestige. Ist da auch Selbstüberschätzung dabei? Unklar, aber möglich. Dass Isco auch Drama bedeutet, sieht man an den Verhandlungen. Sein Team soll auf nicht abgesprochene Forderungen bestanden haben. In Madrid legte er sich einst mit Trainer Santiago Solari an, Sevilla verließ er auch wegen Streitereien mit Sportdirektor Monchi. Ein Weltstar, wenngleich ein ehemaliger, kommt nie ohne seine Paketchen an. Die Eisernen sind dem riskantesten Transfer der Vereinsgeschichte gerade noch entkommen.

Aufstieg und Abstieg Iscos

Ein Blick ins Jahr 2012. Isco sorgt beim FC Málaga für so viel Furore, dass er erst die Auszeichnung des Golden Boy als bester Nachwuchsspieler Europas erhält. Anschließend die spanische U21-Nationalelf mit Thiago und Álvaro Morata zum EM-Titel schießt. Dann seinen Klub erstmals in die Champions League führt (gar direkt bis ins Viertelfinale). Und 2013 schließlich beim vielleicht prestigeträchtigsten Verein der Welt, Real Madrid, unterschreibt (und Manchester City einen Korb gibt). So ziemlich jedem Fußballkenner auf der Welt ist zu diesem Zeitpunkt klar: Dieser 176 Zentimeter große, wendige und treffsichere 21-Jährige wird der neue Megastar bei den Königlichen und in der spanischen Nationalmannschaft.

30 Millionen Euro kostet Isco damals, eine Summe, die für viele wie ein Schnäppchen wirkt. In seinen ersten sechs Spielen im berühmten weißen Trikot erzielt der Spielmacher fünf Tore, liefert zwei Vorlagen und kontrolliert das Mittelfeld mit einer fabelhaften Kombination aus unermüdlicher Energie, wendigen Dribblings und präzisen Pässen. Klubs aus ganz Europa schielen neidisch nach Madrid. "Isco ist der natürliche Erbe des Welt- und Europameisters [Andres Iniesta; d. Red.], sowohl in der Nationalelf als auch als führender Spielmacher in La Liga", schreibt damals der "Bleacher Report". Bei Real ruft der Cheftrainer, ein gewisser Carlo Ancelotti, gar den eigentlich auf Ewigkeiten verbotenen Vergleich mit seinem damaligen Assistenten aus. Einem gewissen Zinédine Zidane.

Der französische Weltmeister lockt Isco damals mit einem Telefonanruf in die spanische Hauptstadt. Doch Isco wird anders als Zidane nach seinem furiosen Start niemals Mittelfeldchef bei den Königlichen. Schon im ersten Jahr verliert der Spielmacher seinen Stammplatz, weil Ancelotti 100-Millionen-Euro-Mann Gareth Bale in das Team einfügen will und auf 4-3-3 umstellt. Auch Defensivschwächen, fehlendes Tempo und Ballverliebtheit werden dem Jungstar angekreidet. Anschließend stopfen die Galaktischen ihren Mittelfeld-Kader gar noch mit Kroos und James Rodríguez voll und weder unter Rafael Benítez noch unter Zidane gelingt Isco eine wirkliche Entfaltung.

In der Saison 2016/17 zeigt Isco dafür noch mal, was er draufhat, besonders in Kombination mit Cristiano Ronaldo. Zidane stellt auf 4-3-1-2 um und Isco darf Real auf seiner Lieblingsposition, der 10, zum Ligatitel und Triumph in der Königsklasse führen. Doch das ist lange her, diesen Isco hätte Union vielleicht nie zu Gesicht bekommen. Nach dem nächsten Erfolg in der Champions League ein Jahr später geht es wieder abwärts für den Spanier, der teilweise sogar von den eigenen Fans ausgebuht wird. 2018/19 absolviert er noch 27 Ligaspiele (nur drei Tore und eine Vorlage), 2019/20 sind es 23 (ein Treffer, zwei Assists) und in den kommenden beiden Saisons gelingt ihm als Einwechselspieler nur ein einziges weiteres Tor. Isco wechselt vor einem halben Jahr zum FC Sevilla, ein wenig erfolgreiches Engagement, das im Winter auf Platz 18 im gegenseitigen Einvernehmen beendet wird.

Gefahr durch Drama und fehlende Defensivsucht

Seitdem ist der ehemalige Weltstar vereinslos. Es ist fraglich, ob er die Unioner hätte auf Dauer begeistern können. Bei ihnen, die meist in einem 3-5-2 System spielen, hätte Isco vor allem die Qualifikation für die Champions League möglich machen sollen. Und die Konkurrenzfähigkeit im nächsten Jahr in der Königsklasse. Doch die jüngsten Auftritte des Spaniers sprechen nicht für einen wirklichen Qualitätssprung. Ein wenig mehr Unberechenbarkeit und Genialität, etwa um auch die ganz Großen im Fußball ärgern zu können, würde Union zwar guttun, aber der Klub überzeugt in diesem Jahr jedoch vor allem mit kompromisslosen Zweikämpfen, mit einer ihm ganz eigenen Defensivsucht. Grätsche, Bodycheck, Ackern. Das geht auch ohne Superstar, sogar in Europa. Ob Isco seine Gegenspieler so aggressiv, intensiv und nervtötend bearbeitet, wie Trainer Urs Fischer es von seinem Team fordert? Wie die drei Mittelfeld-Beißer die zwar weniger klangvolle Namen wie Christopher Trimmel, Rani Khedira oder Niko Gießelmann tragen, es von ihm abverlangt hätten?

Vielmehr entkommt Union nun den Gefahren, die solch ein Königstransfer birgt. Gut möglich, dass Isco mit ähnlichen Allüren aufgespielt hätte, die sein Team nun in den Verhandlungen an den Tag legte. Dass er Köpenick nur als Zwischenstation auf dem Weg zu einem Topklub betrachtete. Als Mittel zum Zweck. Damit hätte er das kompakte Mannschaftsgefüge, eine von Unions großen Stärken, zum Bröckeln gebrachte. Hätte er Auswärtsfahrten im grauen Februar und März nach Wolfsburg und Leipzig nicht genauso goutiert wie nach Turin oder London, wäre es um die Ruhe im beschaulichen Köpenick geschehen.

Fischer hat zwar bewiesen, dass er mit Freigeistern gut umgehen kann (siehe Max Kruse), doch dieser Transfer hätte womöglich die für den derzeitigen Erfolg so wichtige Konstanz und Geradlinigkeit im Verein ins Wanken gebracht. Vielleicht sogar die so erfolgreiche aktuelle Saison. Der Pluspunkt der Köpenicker seit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga 2009 war in Gefahr: Mit Isco hätten sie nicht mehr im Verborgenen kontinuierlich und ohne großen Erwartungsdruck wachsen und immer wieder aufs Neue überraschen können. Isco hätte eine riesige, ungesunde mediale Aufmerksamkeit mit sich gebracht, das zeigt der Trubel der vergangenen Tage. Manch einer witzelte ja bereits, die Eisernen machten nun auf Big City Club, nachdem die Hertha aus dem Westen, zu der nicht mal mehr der kleine Bruder Iscos wechseln wollen würde, mit diesem Konzept so grandios gescheitert ist.

Dem Albtraum entkommen

Vor acht Monaten reckt Isco noch seinen fünften Henkelpott in den Abendhimmel von Paris. Klar ist: Vor dem Abstieg seiner Karriere wäre das Ziel Union Berlin für den Spanier, der trotz seines enormen Talents nur 38 Länderspiele absolvierte und an einem großen Turnier, der WM 2018 teilnahm, niemals infrage gekommen. Er sieht sich wahrscheinlich noch immer bei einem der ganz großen Teams in Europa. Die Köpenicker waren nur eine Notlösung für ihn. Hundertprozentige Identifikation mit dem Klub, so wie es Verein und Fans voraussetzen? Wohl eher nicht.

Und so wird Francisco Román Alarcón Suárez auch bei Union Berlin kein Zidane mehr werden. Jörg Heinrich hat es 2005 immerhin ein halbes Jahr in Köpenick ausgehalten, bevor er seine aktive Laufbahn aufgab und Sportdirektor wurde. Isco beendet 18 Jahre später den nächsten Köpenicker Traum schon vorzeitig - und vielleicht bevor er zu Unions gefährlichstem Albtraum werden konnte. Der Angriff auf den FC Bayern, das zeigen die vergangenen Wochen, er kann auch so gelingen.

Quelle: ntv.de

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