Fußball

Geld schlägt Fußballkultur Wenn die Atmosphäre im Rund verfliegt

Wahnsinns-Atmosphäre an der White Hart Lane.

Wahnsinns-Atmosphäre an der White Hart Lane.

(Foto: imago/Colorsport)

Wirtschaftlich mag es für die Klubs der Premier League geboten sein, ihre typisch britischen Stadien gegen moderne Arenen zu tauschen. Doch wie bei West Ham und Tottenham zu sehen ist, geben sie damit ihren Heimvorteil auf, beklagt unser Autor.

Der 10. Mai 2016 war ein trauriger Tag in der Geschichte von West Ham United, aber auch ein Tag, der Aufbruch und einen neuen Anfang symbolisieren sollte. Der Klub bestritt sein letztes Spiel im Upton Park, dem 112 Jahre alten Stadion, in dem die Zuschauer dicht am Spielfeld saßen und die Ränge steil waren. Im Anschluss an den 3:2-Erfolg gegen Manchester United gab es ein Feuerwerk, ehemalige Spieler wurden mit den typischen Londoner Taxen auf den Rasen gebracht, und dann war es das für das Stadion. Es wurde abgerissen, der Klub zog in eine moderne, größere Spielstätte.

Mach es gut, Stadion.

Mach es gut, Stadion.

(Foto: imago/Colorsport)

Der 14. Mai 2017 war ein trauriger Tag in der Geschichte von Tottenham Hotspur, aber auch ein Tag, der – genau! – Aufbruch und einen neuen Anfang symbolisieren sollte. Der Klub bestritt sein letztes Spiel an der White Hart Lane, dem 118 Jahre alten Stadion, in dem die Zuschauer nah am Spielfeld saßen und die Ränge steil waren. Im Anschluss an den 2:1-Erfolg gegen – tatsächlich! – Manchester United liefen ehemalige Spieler ein, der Tenor Wynne Evans sang ein Vereinslied, und dann war es das für das Stadion. Es wurde abgerissen, der Klub zog in eine moderne, größere Spielstätte.

Sportlich schadet der Umzug

Natürlich gibt es gute Gründe dafür, dass Profivereine irgendwann aus ihrem alten, zu eng gewordenen, oft morschen Heim ausziehen und sich neu einrichten. Meistens haben diese Gründe mit Geld zu tun. Damit, dass sich in einem größeren Stadion mehr Eintrittskarten verkaufen und mehr Vip-Logen vermieten lassen. Aufgegeben werden dafür Tradition, ein warmes Gefühl der Vertrautheit – und im Fall von West Ham und Tottenham der Heimvorteil. Sportlich haben sich die Klubs mit ihrem Umzug geschadet.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.

(Foto: Verena Knemeyer)

West Ham spielt seit der vergangenen Saison in dem Stadion, das für die Olympischen Spiele 2012 errichte t wurde. Ein beeindruckender Bau mit Platz für 57.000 Zuschauer bei Ligaspielen, aber eben: kein Fußballstadion. Wegen der runden Form ist die Entfernung der Fans zum Spielfeld groß, die Ränge sind flach und weitläufig, ein nicht genannter Profi sprach im "Guardian" sogar davon, dass es sich "furchtbar" anfühle, in dem Stadion aufzulaufen, und die Gegner freuen sich über Spiele bei West Ham. "Das Platz und das Stadion haben uns geholfen. Alles wirkt größer", sagte Manchester Citys Trainer Josep Guardiola, nachdem seine Mannschaft die Sportstätte Anfang des Jahres mit einem 5:0-Sieg verlassen hatte.

West Ham ist schlechter geworden seit dem Umzug. In der letzten Saison im Upton Park schaffte es die Mannschaft in den Europapokal, verlor vor eigenem Publikum nur drei Mal. In der vergangenen Spielzeit, der ersten im neuen Haus, spielte sie gegen den Abstieg. In der aktuellen Saison sind die "Hammers" das zweitschwächste Heimteam der Liga. Der Niedergang liegt natürlich nicht nur am neuen Stadion. Aber ein paar Punkte kostet es schon, wenn einen das Publikum nicht mehr nach vorne schreit, sondern sich die Atmosphäre verliert.

Heimvorteil ist verflogen

Bei Tottenham ist das gleiche Phänomen zu beobachten. "Du bist ganz nah an den Spielern, der Krach kommt fast von allen Seiten", sagte Dave Bricknell der BBC über die White Hart Lane. Er ist seit Jahrzehnten Fan und war Jugendtrainer des aktuellen Topstürmers Harry Kane. Das Wembley-Stadion, das die Mannschaft in dieser Saison übergangsweise bezogen hat, bis die neue Spielstätte fertig ist, bietet das genaue Gegenteil. Die Zuschauer sitzen weiter weg vom Spielfeld, die Stimmung verflüchtigt sich. Wer einen Platz im Oberrang hat, spürt keine Verbindung mehr zum Geschehen auf dem Rasen. Anders als an der alten Spielstätte, wo der Gegner nicht nur gegen elf Spieler antrat, sondern auch gegen die rund 36.000 Zuschauer.

In großen Spielen glänzt Tottenham auch im großen Stadion, in der Champions League gegen Dortmund und Real Madrid oder in der Liga gegen Liverpool. Aber gegen kleinere Teams fehlen die Prozente, die an der White Hart Lane noch von den Rängen gekommen wäre. Dass die Mannschaft gegen Burnley, Swansea und West Bromwich nur unentschieden spielte, hat auch mit der komplizierten Eingewöhnung im neuen Heim zu tun.

Aus wirtschaftlichen Erwägungen mag es für Klubs wie West Ham oder Tottenham geboten sein, das alte Stadion zu verlassen und in eine moderne, größere Spielstätte zu ziehen. Doch sie geben damit eine Komponente auf, die mit Geld nicht zu bezahlen ist – den Heimvorteil.

Quelle: ntv.de

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