Redelings Nachspielzeit

"Tor des Jahrhunderts"-Schütze Als "Lau-Malocher" Fischer die Bayern fast im Alleingang abschoss

imago863008.jpg

Klaus Fischer ist einer der größten Stürmer in der Geschichte des deutschen Fußballs. Lange Zeit hielten ihn jedoch verschiedene Irrungen und Wirrungen und die starke Konkurrenz von einer Karriere im Nationaltrikot ab. Doch dann kam ein Spiel gegen die Bayern und änderte alles. Heute feiert Klaus Fischer seinen 75. Geburtstag.

Es war die Zeit der großen Torjäger im deutschen Fußball. Bundestrainer Helmut Schön hatte über viele Jahre lang die Qual der Wahl - und das war auch das Dilemma für einen der talentiertesten Stürmer, die die Bundesliga je gesehen hat. Und so musste Klaus Fischer bis zu seinem 27. Lebensjahr warten, bis er erstmals im Trikot der DFB-Elf auflaufen durfte. Denn erst der 09. Oktober 1976 sollte der Karriere des Mannes aus Zwiesel im bayrischen Wald noch einmal einen Wendepunkt bescheren. Es war der Tag des bis heute unerreichten 0:7 des FC Bayern München im heimischen Olympiastadion gegen den FC Schalke 04. Eine in dieser Form völlig unerwartete Niederlage für die Mannschaft, die erst wenige Monate zuvor zum dritten Mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte.

Der Schalker Mittelstürmer Klaus Fischer schoss in dieser legendären Partie damals das erste und das letzte Tor und steuerte dazwischen auch noch zwei weitere Treffer zum Debakel der Bayern bei. Ein Triumph für die Königsblauen und ein rabenschwarzer Tag für die Münchener. Und ein Tag, der schon komisch begonnen hatte, als Schiedsrichter Linn anpfiff, obwohl nur zehn Bayern-Spieler auf dem Platz standen. Denn Uli Hoeneß wechselte draußen gerade noch seine Schuhe. Und noch etwas trug dazu bei, dass dieses Spiel so einmalig kurios wurde.

Schwere Demütigung

ANZEIGE
Das neue Buch der Fußballsprüche
71
22,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Denn der große Gewinner des Tages war neben den Königsblauen ein Fernsehteam des ZDF. Just bei dieser Partie drehte es eine Reportage über Sepp Maier und hatte dafür extra eine zweite Kamera auf den Bayern-Keeper gerichtet. Und es wird noch lustiger. Denn vorher hatte man tatsächlich verabredet gehabt, falls es zu langweilig würde und die Übermacht von Maiers Mannschaft zu groß wäre, sollte der Sepp doch einfach ein paar Späße machen. Doch dazu kam es dann bekanntlich nicht: Der Weltmeister im Tor der Bayern hatte dazu weder die Zeit noch die Lust - zu oft fischte er die Kugel hinter sich aus dem Netz.

Der 09. Oktober 1976 wurde so also zum entscheidenden Wendepunkt zum Guten in der Karriere des Klaus Fischer. Denn erst einmal hatte es damals auf Schalke für den gerade einmal 20 Jahre jungen Mann aus Zwiesel überhaupt nicht gut angefangen. S04-Trainer Rudi Gutendorf kannte nach einem 3:3 in Braunschweig zum Start der Saison 1970/71 kein Erbarmen mit Fischer. Vor versammelter Presse stellte er den Torjäger nach seinem ersten Bundesligaspiel für die Königsblauen bloß: "Wir wissen alle, was der Fischer gekostet hat. Gemessen an dem, was er bringt, ist er ein absoluter Fehleinkauf." Eine heftige und deftige Klatsche, die der spätere Schütze zum "Tor des Jahrhunderts" nie vergaß.

"Wenn du da hochgehst ..."

Schließlich war er in diesen Tagen zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt viele Kilometer von der Heimat und seinem Elternhaus entfernt: "Über Schalke wusste ich damals noch nicht viel. Ich kannte den legendären Stan Libuda und wusste, dass Klaus Fichtel in der Nationalmannschaft spielte, aber über das Ruhrgebiet an sich habe ich mir keine allzu großen Gedanken gemacht, obwohl meine Mutter mir gesagt hatte: ›Wenn du da hochgehst, kannst du kein weißes Hemd mehr anziehen.‹" Doch das Tragen von weißen Hemden war in diesen schwierigen ersten Tagen auf Schalke Fischers kleinste Sorge.

Der Tadel von Gutendorf tat ihm auch deshalb so weh, weil Fischer zuerst gar nicht nach Gelsenkirchen wollte. Doch das Werben des S04 blieb über Wochen so hartnäckig, dass er schließlich - auch weil sein Vater ihn immer wieder ausdauernd ermunterte, diesen Schritt zu gehen - nachgab. Zuvor hatte er zwei Spielzeiten beim TSV 1860 München, der ihn bei seinen Ausflügen in die nähere Umgebung beim SC Zwiesel entdeckt hatte, absolviert und erstaunliche 28 Bundesliga-Tore geschossen. Der 1860-Trainer und ehemalige Klassestürmer Bimbo Binder hatte Fischer dabei das nötige Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, ihn stets ermuntert und ihm eine große Zukunft prophezeit: "Du musst dir nur einen besser kontrollierten Schuss antrainieren, dann bist du nicht aufzuhalten."

Und so kam es schließlich auch auf Schalke. Klaus Fischer wurde zum Leistungsträger einer spannenden, talentierten und hoch ambitionierten königsblauen Mannschaft, die 1972 mit dem DFB-Pokalsieg noch lange nicht am Ende ihrer Leistungsstärke angekommen war. Doch der "größte Fehler" seines Lebens warf nicht nur Klaus Fischer aus der Bahn. Weil er und seine Teamkollegen für 2300 Mark pro Mann Ende der Spielzeit 1970/71 eine Partie gegen Arminia Bielefeld absichtlich verloren hatten, musste der aufstrebende Torjäger anschließend mit einer einjährigen Sperre leben.

"Ihr könnt uns nicht verarschen"

Es war eine schlimme Zeit außerhalb des Rampenlichts für den jungen Spieler. Fischer und die anderen gesperrten Kollegen trainierten im Schatten der Öffentlichkeit für den Tag, an dem sie wieder vor Zuschauern auftreten durften. Und genau deshalb entwickelte die Presse eine wilde Story. Angeblich sollten Klaus Fischer und sein Mannschaftskamerad Jürgen Sobieray während ihrer Sperre von einem Bauunternehmer beschäftigt worden sein. Eine irre Geschichte, die sich die Zeitung mit den vier Buchstaben da ausgedacht hatte. Doch Fischer und Sobieray machten mit.

Und sogleich wurde ein Fotograf losgeschickt, der auf die Schnelle großformatige Bilder von den beiden Schalkern auf dem Bau schoss. Wunderschöne Fotos waren das, mit zwei glücklich lächelnden Fußballprofis in blauen Arbeiteroveralls, mit Schutzhelmen auf dem Kopf, einer Schaufel in der Hand und der obligatorischen Schubkarre vor den Füßen. Richtig knallhart zupackende Bauarbeiter standen da vor der Linse des Fotografen. Alles schien perfekt - bis auf die in der Sonne glänzenden Lackschuhe von Sobieray. Die Reaktionen am nächsten Tag waren heftig. Ein Leser der Zeitung beschwerte sich frei heraus: "Ihr könnt uns nicht verarschen. Das sind doch nur Lau-Malocher!" Wo er Recht hatte, hatte er Recht.

Und obwohl Klaus Fischer nach seiner Sperre Treffer um Treffer erzielte und die Spielzeit 1975/76 als Bundesliga-Torschützenkönig beendete, hatte er bei Bundestrainer Helmut Schön wegen seines früheren Vergehens keine Chance auf eine Nominierung in die Nationalmannschaft. Auch das enthusiastische Lob einer anderen großen Fußball-Legende half da dem Mann, den sie auf Schalke in "Walter" - nach dem damals berühmten Ski-Langläufer Walter Demel, der wie Fischer aus dem bayerischen Zwiesel stammte - umgetauft hatten, weil sich auf dem Platz der Königsblauen bereits zu viele Akteure mit dem offensichtlich sehr beliebten Vornamen "Klaus" tummelten, nicht weiter. Alfredo di Stefano war jedenfalls hin und weg vom Schalker Torjäger: "Ich habe ja auch viele, viele Tore in meiner Laufbahn geschossen, aber dieser Fischer ist ein Mittelstürmer von besonderer Güte, ein Mittelstürmer der Extraklasse!"

Bayern-Stars machten Druck

Doch dann kam der besagte 09. Oktober 1976 und änderte alles. Noch direkt nach dem Spiel hatten sich bereits auf dem Platz Franz Beckenbauer und Gerd Müller für eine baldige Nominierung des Schalker Torjägers in die Nationalmannschaft eingesetzt. Zwar dauerte es noch einmal einige Monate, bis Klaus Fischer endlich sein erstes Länderspiel bestreiten durfte, doch ab da führte an ihm kein Weg mehr vorbei. Der Rest ist Geschichte.

Im Trikot der DFB-Elf erzielte Klaus Fischer am 16. November 1977 - nur sieben Monate nach seinem Debüt in der Nationalelf - im Länderspiel gegen die Schweiz das "Tor des Jahres", das später auch das "Tor des Jahrzehnts" und "Tor des Jahrhunderts" wurde. Ein Fallrückzieher der besonderen Art, bei dem einfach alles passte - und der mittlerweile mit einer speziellen Vorrichtung sogar im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund verewigt ist. Dort ist der Mann aus Zwiesel, der immer noch im Ruhrgebiet wohnt, mittlerweile auch in die Hall of Fame des deutschen Fußballs aufgenommen. Völlig zurecht. Heute feiert Klaus Fischer seinen 75. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber "Mr. Fallrückzieher"!

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen