Redelings Nachspielzeit

Gartenparty bei Beckenbauer Als die unvergesslichen Helden der WM 1974 Geschichte schrieben

Großer Jubel nach dem WM-Sieg 1974.

Großer Jubel nach dem WM-Sieg 1974.

(Foto: imago images/Pressefoto Baumann)

Vor fünfzig Jahren fand das WM-Finale der deutschen Nationalmannschaft gegen die Niederlande statt. Kaum ein Spiel hat so viele faszinierende wie kuriose Geschichten geschrieben wie dieses. Drei der Helden dieses Finals starben in diesem Jahr: Franz Beckenbauer, Bernd Hölzenbein und Johan Neeskens.

"Vielleicht heirate ich als Weltmeister", hatte der Star der niederländischen Nationalmannschaft, Johan Neeskens, damals im Hotel Krautkrämer in Münster freudestrahlend zu den Journalisten gesagt, als er gemeinsam mit seiner Frau das Aufgebot für die Hochzeit Mitte Juli 1974 in Amsterdam bestellt hatte. Nur wenige Tage nach dem WM-Finale in München heiratete der im Oktober dieses Jahres plötzlich und unerwartet verstorbene ehemalige Spieler der Elftal seine Marianne. Nur Weltmeister war er zu diesem Zeitpunkt nicht. Im unvergessenen Endspiel im Olympiastadion brachten die Niederländer die deutsche Mannschaft zwar in Verlegenheit und an den Rand einer Niederlage - aber am Ende gewannen schließlich doch die Männer um ihren Kapitän Franz Beckenbauer.

"Cruyff, Neeskens, Rep, Rensenbrink waren die Besten der Welt, und leider wussten sie es", schrieb "Der Spiegel" einmal lange nach dem Finale von München - und fasste so mit diesem einen Satz die sportliche Ebene dieses legendären Spiels zwischen zwei großen Mannschaften auf den Punkt genau zusammen. Doch dieses Ereignis entfaltete eine ganz besondere Faszination weit über das Sportliche hinaus. Selten wurden rund um ein WM-Finale so viele Geschichten geschrieben, wie an diesem 7. Juli 1974. Auch heute noch, fünfzig lange Jahre später, erzählen sich die Fußballfans aus aller Welt begeistert und teils auch ein wenig wehmütig die Storys über die Helden von München.

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Einer, der auf alle Ewigkeit hinaus mit diesem Spiel verwachsen sein wird, ist der Frankfurter Flügelspieler Bernd Hölzenbein, der ebenfalls wie Neeskens in diesem Jahr verstorben ist. Hölzenbein hatte an diesem Tag seinem Coach Helmut Schön im Bus zum Spiel genau zugehört. "Jungs, wenn ihr ihnen gegenübersteht, dann schaut euren Gegenspielern in die Augen, ganz tief! Demonstriert Selbstvertrauen und Stärke", hatte der Bundestrainer zu seinen Spielern gesagt - doch hinterher meinte der Eintracht-Profi: "Wir nahmen uns vor, ihnen in die Augen zu schauen und so zu zeigen, dass wir genauso groß waren wie sie. Sie hatten das Gefühl, unschlagbar zu sein - man konnte es ihren Blicken entnehmen. Ihre Haltung uns gegenüber war: 'Mit wie vielen Toren Unterschied wollt ihr heute verlieren, Jungs' ..."

Cruyff und nackte Mädchen

Und tatsächlich wissen die Fußballfans heute: Genau mit dieser Einstellung kamen die Niederländer auf den Platz. Es dauerte nur Sekunden, da hatten die Männer in ihren orangenen Jerseys bereits einen Elfmeter zugesprochen bekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte nicht ein einziger deutscher Spieler den Ball auch nur berührt. Und Johan Neeskens, der Mann, der als Weltmeister nach der WM heiraten wollte, war es, der die Kugel ins Netz von DFB-Torhüter Sepp Maier hämmerte.

Ausgerechnet Neeskens, der in den Tagen vor dem Finale kaum geschlafen hatte, weil sein Zimmergenossen Johan Cruyff nicht nur Kette rauchte, sondern auch mit seiner Frau zu Hause unangenehme Dauer-Telefonate führen musste. Eine deutsche Boulevardzeitung hatte von einem nächtlichen Damenbesuch im Hotel der niederländischen Nationalmannschaft berichtet ("Cruyff, Sekt, nackte Mädchen und ein kühles Bad!") - und verständlicherweise war Cruyffs Gattin im fernen Amsterdam darüber nicht begeistert. Neeskens ließ sich von diesen nächtlichen Störungen aber nichts anmerken.

Während über diesen ersten Elfmeter im Endspiel seit fünfzig Jahren nur noch wenig gesprochen wird, erhitzen sich über den zweiten die Gemüter bis heute. Damals kam Bernd Hölzenbein im Strafraum der Niederlande zu Fall und noch immer wird - natürlich vor allem in den Niederlanden - darüber diskutiert, ob der Kontakt mit Willem Jansen tatsächlich so stark war, wie es das Abheben von Hölzenbein im Anschluss andeutete. Das Problem war: Zwei Monate vor der WM war Hölzenbein schon einmal in einem wichtigen Spiel - beim DFB-Pokal-Halbfinale zwischen Eintracht Frankfurt und Bayern München - im Strafraum diskussionswürdig gefallen. Damals tobten die Bayern-Stars um Hoeneß, Breitner und Beckenbauer. Das hatten selbstverständlich auch die niederländischen Journalisten und Spieler mitbekommen.

Der Müll von Beckenbauer

Und obwohl Jansen den Frankfurter Hölzenbein ohne Frage traf, entwickelte sich über die Jahre die Legende von der "Schwalbe" des deutschen Nationalspielers. Und tatsächlich haben die Niederländer irgendwann wegen dieses Spiels sogar das Wort "Schwalbe" als deutsches Fremdwort in ihre Sprache aufgenommen. Den Ruf wurde Hölzenbein anschließend zeitlebens nicht mehr los, denn auch in der Bundesliga pfiffen die Schiedsrichter, wie Wolf-Dieter Ahlenfelder, anschließend in strittigen Situationen nur noch selten für ihn: "Der Bernd hob sagenhaft gut ab! Als er wieder einmal wie eine TUI durch den Elferraum segelte, bin ich zu ihm hin: Nee, Bernd, da passiert überhaupt nichts. Die müssten dir schon das Bein abtreten, dann könnte es sein, dass ich mal auf den Punkt gehe!"

Einen Tag vor dem Finale gegen die Niederlande hatte der Kapitän der deutschen Elf, Franz Beckenbauer, damals die Mannschaft zu einer kleinen Gartenparty bei sich zu Hause in München eingeladen. Man gönnte sich Kaffee und Kuchen und versuchte die Gedanken an den nächsten Tag noch so gut wie möglich zu verdrängen. Anschließend zog die fröhliche Runde gemeinsam weiter in die Sportschule Grünwald, wo Bundestrainer Helmut Schön ganz offiziell jedem Spieler am Abend ein Glas Bier gestattete.

Zum Autor

Apropos Beckenbauer: Wie Christoph Bausenwein in seinem äußerst lesenswerten Buch "Kaiserjahre" über den Ehrenspielverführer der Nationalmannschaft schreibt, spielte das Haus des "Kaisers" kurz nach der WM noch einmal eine ganz besondere Rolle: "Da stahl der Aktionskünstler HA Schult den Müll des Kaisers und stellte ihn im Münchner Lenbachhaus aus. Während der Franz schulterzuckend kommentierte, dass er nichts von Kunst verstehe, bezweifelte seine Gattin Brigitte die Herkunft des ausgestellten Materials. Es befand sich darunter auch eine Käseverpackung der Marke Rambol, und die käme bei den Beckenbauers nicht auf den Tisch. 'Der Müll bekam plötzlich ein soziales Gefälle', erinnerte sich der Künstler, da Brigitte mutmaßte, es handle sich wohl um den Müll des Hausmeisters. 'Als ich den Müll dann für 20.000 Euro verkaufen konnte', so Schult weiter, 'meldete sich Beckenbauers Manager und wollte vom Erlös die Hälfte. Da habe ich ihm gesagt, dass der Franz den Müll doch weggeworfen habe.'" Was für eine Geschichte!

Vogts und die Stewardess

Nach dem Finale heiratete Johan Neeskens in Amsterdam schließlich seine Frau Marianne - und zog danach direkt weiter nach Barcelona, wo er gemeinsam mit seinem Zimmergenossen der WM, Johan Cruyff, beim FC Barcelona 1978 den spanischen Pokal holte. Die Hochzeit fand allerdings, anders als von Neeskens erhofft, nicht als Weltmeister statt. Da hatte sein deutscher Kontrahent Berti Vogts etwas mehr Glück.

Denn der "Terrier", der im Endspiel Cruyff zur Weißglut brachte ("Er dreht Cruyff das Wasser ab und alle Tulpen neigten die Köpfe", so "Tuttosport" über den Zweikampf der beiden), traf während der Weltmeisterschaft seine spätere Ehefrau Monika, wie er einmal erzählte: "Nach dem Spiel Deutschland gegen Polen bei der WM 1974 saßen wir am Flughafen. Ich war unansprechbar, hatte Schmerzen in der Leiste. Da kam eine nette blonde Stewardess: 'Herr Vogts, essen Sie doch eine Kleinigkeit.' Ich antwortete recht grob: 'Ich möchte meine Ruhe haben.' Und - aß dennoch ein wenig. Wir tauschten die Telefonnummern aus. Ein paar Wochen später trafen wir uns. Es war ein vernünftiges Treffen." Alles Weitere ist Geschichte - genau wie die vielen anderen Storys dieser unvergesslichen Helden der WM 1974.

Quelle: ntv.de

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