
Für einen ganzen langen Vormittag deutete sich 2009 ein gigantisches Kahn-Beben a.n.
(Foto: imago/Eibner)
Vor 15 Jahren gab es ein groteskes Treffen zwischen dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Schalke 04, Clemens Tönnies, und Oliver Kahn im beschaulichen Rheda-Wiedenbrück. Der S04 war auf der Suche nach einem neuen Manager - doch was sich dann in Ostwestfalen-Lippe abspielte, war fast schon comedyreif!
"Ich führe keine Gespräche über die schöne Gegend um Gelsenkirchen." Für einen ganzen langen Vormittag stand am 19. März 2009 die Welt in der kleinen Gemeinde Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen-Lippe still. Der große Torwart-Titan Oliver Kahn, der nur wenige Monate zuvor im Sommer 2008 seine erfolgsverwöhnte Karriere beendet hatte, hatte sich mit dem ortsansässigen Fleischbaron und damaligen Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies zu Vertragsgesprächen im "Königs Hotel am Schlosspark" getroffen. "Ein Geheimtreffen - vor 1.000 Kameras", wie Kahn Wochen später süffisant anmerkte.
Die ostwestfälische Bevölkerung verbuchte diesen Tag jedoch durchaus positiv als zweites Highlight des Jahres, emotional direkt angesiedelt nach dem traditionellen Schützenfest des Rheda e.V. von 1833. Gebannt verfolgte man an diesem Vormittag den Ausgang der Gespräche und hoffte inständig auf einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zwischen Kahn und Tönnies "Da drücken wir mal die Daumen, dass es etwas wird für Olli mit dem Manager-Posten und dass er öfter nach Rheda kommt. Ein wenig Glamour tut der Provinz recht gut", meinte einer der Kiebitze in der ersten Reihe, hinter der eiligst improvisierten Absperrung der Polizei, und schaute schnell wieder hoch zum Eingang des Hotels, um ja nichts zu verpassen.
Müller stellt sich hinter Rutten
Oliver Kahn war ins beschauliche Rheda-Wiedenbrück gekommen, weil es dem FC Schalke 04 in diesen Tagen des Frühjahrs 2009 mal wieder alles andere als gut ging. Die Mannschaft dümpelte abgeschlagen im Mittelfeld der Liga herum und Trainer Fred Rutten stand kurz vor seiner Entlassung. Die hatte Clemens Tönnies in einem internen Gespräch nach dem Pokalaus des Klubs beim FSV Mainz 05 eigentlich von Andreas Müller erwartet, doch der Schalker Manager hatte dem Aufsichtsrat energisch widersprochen. "Zwischen Trainer und Manager passt kein Blatt Papier", hatte Müller gemeint. Eine Aussage, die Tönnies so sehr geärgert hatte, berichteten anschließend die Medien, dass ihm am Ende keine andere Wahl blieb, als Müller, der eigentlich noch einen Vertrag bis 2011 hatte, vor die Tür zu setzen. Das sollte Rutten später auch nicht mehr retten ("Gehen Sie nach Holland zurück. Sie sind nur Kreisklasse", Trainingsplatz-Kiebitz) - verschaffte dem Coach aber kurzfristig noch etwas Luft.
Doch nun musste angesichts der sportlich schwierigen Lage schnellstmöglich ein neuer Manager her - und der sollte, wenn es nach Clemens Tönnies ging ("Oliver Kahn ist ein guter Typ, eine Kapazität. Wir haben über die Zukunft gesprochen und sind ein Konzept durchgegangen. Da sind wir völlig d'accord"), Oliver Kahn heißen. Doch das nationale Medienspektakel des 19. März 2009 veränderte die Ausgangssituation des FC Schalke 04 dramatisch. Geradezu grotesk und in jedem Fall ein Event von höchstem Unterhaltungswert war das, was sich da im und vor dem Hotel in Rheda-Wiedenbrück abspielte. Der Redaktion eines großen Boulevardblatts und ihrem Internet-Ticker ist es zu verdanken, dass kein Schritt der Protagonisten an diesem Tage unentdeckt blieb. Hier einige Ausschnitte aus einem, man kann es nicht anders sagen, irren Live-Protokoll, das Geschichte schrieb.
Erste Steaks um 12:47 Uhr
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"8.34 Uhr: Kahn kommt aus dem Hotelzimmer, betritt den Frühstücksraum. Kurz vor 10 Uhr: Tönnies fährt über die Hoppenstraße an den Hintereingang an das Hotel heran. Unbemerkt von den meisten Journalisten - die warten am Vordereingang. 11.56 Uhr: Die Tür des Verhandlungsraumes geht auf, Clemens Tönnies verlässt den Raum, legt eine Toilettenpause ein. 12.02 Uhr: Zum ersten Mal an diesem Tag kommt die Sonne über Rheda-Wiedenbrück raus. Ein gutes Omen für Schalke? Lacht sie schon für Oliver Kahn? 12.17 Uhr: Eine Kellnerin betritt den Verhandlungsraum mit frischem Kaffee. Gut möglich, dass es Kahns erster Kaffee ist - beim Frühstück war die Kaffeemaschine kaputt!
12.18 Uhr: Die Tür des Verhandlungsraumes geht erneut auf. Dieses Mal kommt Oliver Kahn aus dem Raum, legt ebenfalls eine Pinkelpause ein. Der Torwart-Titan ist nach anderthalb Minuten wieder oben - schneller als Tönnies. 12.21 Uhr: Immer mehr Schaulustige versammeln sich vor dem Hotel. Es scheint, es sei ganz Rheda-Wiedenbrück auf den Beinen! 12.45 Uhr: Tönnies scherzt auf dem Weg zur Toilette mit einem Journalisten: "Und, alles gut gelaufen?" 12.47 Uhr: Was gibt's zu essen? Tönnies: "Tönnies-Fleisch - wie immer!" Kahn & Co. essen Steaks. Na dann: Guten Appetit! 13.12 Uhr: Da muss der Hunger aber groß gewesen sein! Die Kellner räumen bereits wieder ab, alle Teller sind blitzblank geputzt! Das gibt morgen gutes Wetter!"
"Schalke ist eben ein geiler Klub"
Hinterher verkündete ein prächtig aufgelegter Clemens Tönnies: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Oliver Kahn neuer Manager bei Schalke wird, ist sehr hoch." Schränkte aber sofort ein: "Es gibt noch andere Kandidaten." Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Königsblauen war klar, dass die Nachfolge von Andreas Müller exzellent besetzt werden würde, denn, so Tönnies, mit einem breiten Grinsen im Gesicht: "Schalke ist eben ein geiler Klub. Da wollen viele hin!" Den Spruch konterten im nächsten Spiel Fans des FC Bayern München gekonnt, als sie im Stadion ein Banner aufhängten, auf dem stand: "Tönnies, Du Träumer. Olli ist viel zu geil für ChaoS04!" Doch auch die Schalker selbst hielten mehrheitlich nichts von den Plänen ihres Aufsichtsrates. Thorsten aus GE schrieb in einem Zeitungsforum: "Du meine Güte! Herr Tönnies, S04 braucht dringend einen erfahrenen Manager, der Erfolge vorzuweisen hat. Nichts gegen Olli Kahn, aber da sieht man, wie viel Ahnung der Vorstand vom Profifußball hat."
Am Ende verkündete der FC Schalke 04 nicht einmal zwei Monate nach den Kahn-Gesprächen den Wechsel von Felix Magath nach Gelsenkirchen. Der Meistertrainer aus Wolfsburg erhielt einen Vertrag als Trainer und Manager in Personalunion bis zum 30. Juni 2013. Inwieweit die irren Vorkommnisse von Rheda-Wiedenbrück ("Es kam zu Jagdszenen, bei denen einige Kameraleute und Fotografen im Gedränge zu Boden gedrückt wurden", Die Welt) den Job von Oliver Kahn auf Schalke verhindert haben, ist nie ganz geklärt worden. Doch das wilde "Geheimtreffen - vor 1.000 Kameras" ist so oder so in die Geschichte der Fußball-Bundesliga eingegangen.
Quelle: ntv.de