
Willi Schulz sitzt im März 1967 an seinem Schreibtisch - an der Wand ein Wimpel mit dem Aufdruck World Cup.
"World-Cup-Willi" haben sie ihn bei der WM 1966 getauft. Willi Schulz ist ein Mann aus dem Leben. Seine Geschäftstüchtigkeit ist ebenso legendär wie sein Spiel auf dem Platz. Selbst Pelé fürchtete den "säbelbeinigen Schulz". Heute feiert der Wattenscheider seinen 85. Geburtstag im hohen Norden!
Knapp 45 Jahre nach dem Finale der WM 1966 im Londoner Wembley-Stadion, das Deutschland damals gegen England knapp verlor, wurde die Behauptung aufgestellt, dass drei DFB-Spieler nach dem Endspiel positiv auf Ephedrin getestet worden seien. Nationalspieler Willi Schulz reagierte gewohnt launig mit einem seiner typischen Sprüche auf die Meldung: "Als ich das gestern im Autoradio gehört habe, wäre ich vor Lachen fast gegen den Baum gefahren. Dass bei uns einer im Team Schnupfen hatte, das glaube ich auch nicht. Nur nach dem Endspiel waren wir etwas verschnupft, weil wir verloren hatten."
Unbestritten war das Erreichen des Finales damals im Sommer 1966 einer von Schulz' größten Erfolgen. Das lag auch daran, dass bei dieser Weltmeisterschaft in England sein Spitzname "World-Cup-Willi", nach dem gleichnamigen Maskottchen der WM, geboren wurde. In Deutschland entwickelte sich diese Bezeichnung zu einem echten Markenzeichen, das zu dem Original aus dem Ruhrgebiet bestens passte. Denn obwohl Willi Schulz die meiste Zeit seines Lebens mittlerweile im hohen Norden verbracht hat, kann er seine Herkunft - mitten aus dem Herzen des Reviers - nicht leugnen.
Willi lässt es früh schäumen
Es gibt da diesen schönen Filmausschnitt aus dem Jahr 1963. Willi Schulz, der kecke Junge aus Wattenscheid, steht in seiner Kneipe an der Hochstraße im heute eingemeindeten Bochumer Stadtteil hinterm Tresen und blickt in die Kamera. Er trägt ein weißes Hemd mit Krawatte und darüber einen Pullunder. Zwischen den locker im herrlichsten Ruhrpott-Slang vorgetragenen Sätzen versucht der 24-jährige Besitzer eines Bierlokals ein Pils zu zapfen. Es schäumt tüchtig.
In ein paar Wochen sollte damals die Fußball-Bundesliga starten. Ganz Deutschland schaute erwartungsvoll dieser großen Premiere am 24. August entgegen. Auch Willi Schulz war voller Zuversicht - aber gleichzeitig auch pragmatisch veranlagt. Seine Devise lautete: "Man muss ja erst abwarten, ob die Bundesliga anläuft und wie sie anläuft und ob man dadurch gesichert ist als Fußballer. Und dann gleichzeitig, wenn ich meinen Beruf dabei ausführe, werde ich zusehen, wenn meine Lizenzspielerzeit abgelaufen ist, so in circa zehn Jahren hoffe ich, wenn man nicht verletzt wird, dass ich dann gleichzeitig wieder meinen Beruf habe und dadurch dann weiterhin im Leben gesichert sein werde."
Schalke-Fans boykottieren die Kneipe …
Knapp ein Jahr später stand sein Verein, der FC Schalke 04, vor dem Essener Landgericht. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung und Betrug. Der Schalker Vorstand soll weniger Karten abgerechnet haben, als er tatsächlich verkaufte. Das mehr eingenommene Geld wanderte in eine "Schwarze Kasse", aus der Spielern Prämien und Handgeld gezahlt wurde. Einer der Profis, der ein paar Scheine extra bekam: Willi Schulz. Doch ein paar Scheine sind untertrieben. Knapp 25.000 DM waren es. Viel Geld in der damaligen Zeit. Aber Schulz war es den Schalkern wert. Denn bereits vor seinem Wechsel von Union Günnigfeld zu den Königsblauen im Jahr 1960 streifte er dreimal das Trikot der deutschen Nationalmannschaft über. Fast unglaublich, wenn man bedenkt, dass sein Verein damals in der drittklassigen westfälischen Staffel 2 spielte.
Die Schalker Fans liebten ihren Willi - und Schulz liebte das Ruhrgebiet und seinen Verein. Auch als die ersten gut dotierten Angebote reinflatterten, schwor der gebürtige Wattenscheider seinem Klub immer noch die ewige Treue. Kess behauptete er: "Ehe ich von Schalke weggehe, lasse ich mir beide Beine abhacken." Doch kurz nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, stand bereits sein Wechsel zum Hamburger SV fest. Seine königsblauen Anhänger nahmen ihrem Willi den Sprung in die Hansestadt und den gebrochenen Treueschwur sehr übel.
… und Schulz amüsiert sich königlich
Deshalb entschlossen sie sich, es ihrem alten Idol gehörig heimzuzahlen. Und so machten sich die Anhänger zu Dutzenden auf den Weg nach Wattenscheid zur Kneipe ihres rechten Außenläufers. Dort angekommen, setzen sie sich demonstrativ mit der aufgeschlagenen Zeitungsmeldung über den Transfer zum HSV auf die Stühle in und vor der Gaststätte. Doch anstatt ihr Bier an Ort und Stelle zu ordern, gingen die Fans immer wieder geschlossen hinüber auf die andere Straßenseite zu einer Trinkhalle und versorgten sich dort in rauen Mengen mit den benötigten Getränken. Mit der flüssigen Nahrung in der Hand machten sie es sich nun, wie gewohnt, in den Räumlichkeiten ihres Idols breit und freuten sich diebisch über ihre gelungene Aktion.
Man jubelte, tanzte und sang einen Schalker Evergreen nach dem nächsten. Von überall her strömten die Leute herbei, erwarben ihre Getränke in der gegenüberliegenden Trinkhalle und feierten ein riesiges Fest. Es dauerte nicht lange, und die alarmierte Presse rannte sensationslüstern zu Willi Schulz, um ihm die dramatische und finanziell sicherlich nicht unerhebliche Situation in allen Einzelheiten unter die Nase zu reiben. Doch der Schalker Außenläufer und ausgebuffte Geschäftsmann reagierte überraschend gelassen. Willi Schulz zählte nämlich gerade fröhlich pfeifend die üppigen Tageseinnahmen. Denn über den Kneipenboykott der Schalker Fans konnte er nur müde lächeln: "Dat war mich egal. Die Trinkhalle gehörte doch auch mir."
Vom Pott auf die Reeperbahn
Und dann begann für Schulz 1965 ein neues Leben. Ein Leben, das ihm ganz offensichtlich sehr gefiel, wie er einem Reporter erzählte: "Weisse, im Pott gehse inne ordinäre Kneipe. Anne Theke stehnse sich die Füße platt und saufen Pils und Korn. Hier abba sitzte schön auffe Wildledersofa und trinks Tschinn und Tonnick."
Das war wohl auch der Grund, warum sich Schulz in Hamburg sogleich in ein bekanntes und geschätztes Etablissement auf der Reeperbahn einkaufte. Der Werbespruch des "Hotel Lausen" lautete damals: "Die internationale Damenwelt erwartet Sie!" Dorthin lud der HSV-Mannschaftskapitän gerne ein. Unten gab es in angenehmem Ambiente Tanz und Torten und oben die offerierte internationale Damenwelt. Anfangs verstanden einige Teamkameraden die Einladungen von Schulz noch falsch - sie ließen es sich auch oben auf Kosten ihres Kapitäns gutgehen. Doch diesen Zahn zog ihnen der Junge aus dem Ruhrgebiet schnell. Er selbst beehrte seine Lokalität allerdings nur selten: "Ich betrete sie nur zum Abkassieren."
Das lukrative Abschiedsspiel
Geschäftstüchtig ist Schulz schon sein Leben lang gewesen. Legendär ist auch die Geschichte von seinem Abschiedsspiel. Damals erlöste der Vizeweltmeister 130.000 DM. Doch das Geld nahm Schulz nicht mit nach Hause. Er beließ es beim HSV. Das sorgte für einige Schlagzeilen. Der Verein habe Willi Schulz "angepumpt", hieß es. Doch die Aufregung war völlig umsonst. Schulz strich 10 Prozent Zinsen ein und der HSV sparte sich den Weg zur Bank - und zu wesentlich teureren Darlehen.
Beim HSV nannten ihn die Kollegen "Chefreinhauer", nicht nur weil Schulz in seiner Zeitungs-Kolumne kein Blatt vor den Mund nahm. Er selbst sagte einmal über sich: "Ich bin kein Typ für Blumen." Das bekam auch die große Legende Pelé zu spüren. Voller Ehrfurcht meinte er: "Das Leben könnte so schön sein, wenn es den säbelbeinigen Schulz nicht gäbe."
Auch nach seiner Laufbahn verschrieb sich Schulz der körperlichen Ertüchtigung, nahm kein Gramm zu und ist natürlich noch immer nicht auf den Mund gefallen: "Das macht die viele Arbeit und die gute Pflege von der Ingrid." Und natürlich die vielen Stunden mit seiner Enkelin Victoria, die ganz offensichtlich das Talent ihres Großvaters vererbt bekommen hat. Hamburgs "Fußballerin des Jahres 2019" hat einmal erzählt: "Sobald ich laufen konnte, habe ich gegen den Ball getreten. Sobald Opa da war, wurde Fußball gespielt." Heute feiert einer der geschäftigsten Originale des deutschen Fußballs seinen 85. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber Willi Schulz!
Quelle: ntv.de