
Detlef Pirsig (r.) war der "Kuchenkasper",
(Foto: imago images/Horstmüller)
Saison 1969/70: In Duisburg gibt es in dieser Saison einen Spieler, den sie "Kuchenkasper" nennen - und der stets einen sonderbaren Trick seines Ex-Trainers Lorant anwendet. In Dortmund ereignet sich eine der legendärsten und schmerzhaftesten Geschichten der Liga. Und in Gladbach veräppeln sie ihren Meistertrainer Weisweiler!
"Kuchenkasper" nannten die Duisburger in der Spielzeit 1969/70 ihren Kapitän Detlef Pirsig, der sich vor jedem Spiel drei Stück Torte vom MSV-Masseur Gerd Kuipers ans Bett bringen ließ - mit einem Kännchen Kaffee selbstredend, damit "es besser rutscht". Den Trick hatte ihm sein alter Trainer Gyula Lorant verraten, der seinen Mannschaften stets eintrichterte: "Jungs, wenn ihr vor dem Spiel noch ein Stück Kuchen esst, habt ihr auch noch Kraft für die letzten zwanzig Minuten. Dann sind die anderen kaputt, und ihr könnt immer noch laufen."
Pirsigs Frau Brigitte durfte so jeden dritten Tag einen frischen Kuchen in den Ofen schieben. Gezählt hat der MSV-Profi die Stücke nie, die er in seiner Karriere verputzt hat, aber "es werden bestimmt schon einige Tausend gewesen sein", vermutete er einmal lächelnd. Die süße Speise verlieh dem Duisburger übrigens solch imponierende Kräfte, dass er beim Gegner sehr gefürchtet war, wie sich der BVB-Profi Werner "Acker" Weist einst erinnerte: "Beim Detlef Pirsig musstest du die Schienbeinschoner auch hinten tragen, so ging der auf die Socken. Er selbst spielte aber mit herunterhängenden Strümpfen und hat nie einen mitgekriegt!"
Die Mutter aller Derby-Anekdoten
Die Geschichte der Saison und eine der bekanntesten Anekdoten in 59 Jahren Fußball-Bundesliga spielte sich im Herbst 1969 ab. Der zweifache Biss eines Schäferhundes in den Allerwertesten des Schalkers Friedel Rausch ist legendär. Und so sind die qualvollen Minuten des 6. September 1969, als im Stadion Rote Erde beim Revierderby Borussia Dortmund gegen den FC Schalke 04 Hunderte von Zuschauern den Platz stürmten und von maulkorbbefreiten Hunden zurückgedrängt werden sollten, in das kollektive Gedächtnis der Bundesliga eingegangen. Auch die herrlich-spektakuläre Idee des Schalker Präsidenten Oskar Siebert, beim Rückspiel vier echte Raubkatzen aus dem Löwenpark Westerholt zu holen und diese auf Höhe der Mittellinie an der Leine von vier Ordnern patrouillieren zu lassen, ist legendär und weithin bekannt.
Doch dass Friedel Rausch noch Wochen nach dem Abklingen der Wundschmerzen weitaus größere Probleme mit sich herumtrug, behielt er lange Zeit lieber für sich. Denn die Neckereien der Gegenspieler nervten ihn in den folgenden Monaten nicht nur, nein, sie waren dem eitlen Sonnyboy auch ein wenig peinlich. Der smarte Friedel Rausch war auf dem Fußballplatz urplötzlich zum Gespött der Leute geworden: "Es war die Hölle. Fast in jedem Spiel kam mein Gegenspieler an und machte ›wuff-wuff‹. Ich war fortan die Lachnummer der Liga."
Auch seine Schalker Mannschaftskollegen trieben mit Rausch ihren Schabernack. So fragten sie in den Tagen nach dem Vorfall den armen Kumpel scheinheilig: "Friedel, überleg doch mal, der Hund hätte dich vorne rum gebissen …?" Ganz der alte Macho, antwortete Rausch, geistig bereits wieder voll auf der Höhe, cool und gelassen: "Dann hätte der Köter seine Zähne verloren …"
Sein BVB-Gegenspieler Siggi Held wies viele Jahre später auf einen lange Zeit eher vernachlässigten Aspekt dieses denkwürdigen Tages hin: "Es kommt in der Geschichte ja immer viel zu kurz, was für kluge Hunde es damals in Dortmund gab." Hunde, die genau wussten, wen sie zu beißen hatten und wen nicht. Friedel Rausch bekam übrigens ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Mark zugesprochen - und kostenlos dazu erhielt er das lebenslange Glück, Held einer der meisterzählten Bundesligageschichten überhaupt sein zu dürfen.
Was mit Weisweiler in der Meisternacht geschah
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Deutscher Meister wurde übrigens in dieser Saison nicht der FC Bayern München, sondern Borussia Mönchengladbach. Endlich hatte der Fohlen-Trainer Hennes Weisweiler es geschafft, die größte Schwäche seines Teams in den Griff zu kriegen. Die Abwehr kassierte die wenigsten Tore der Liga. Nur ganze 29-mal trafen die Gegner in den Kasten der Gladbacher. Das lag vor allem an den Neuzugängen Luggi Müller aus Nürnberg und Klaus-Dieter Sieloff aus Stuttgart. Die beiden beinharten Recken gaben der Abwehr die lange vermisste Stabilität. Weisweiler war zufrieden mit seiner Taktik: "Nur mit Florett geht's nicht. Man braucht auch schwere Säbel."
Und auch sonst überließ Gladbachs Trainer nichts dem Zufall. Er wusste, manchmal kommt es eben auch auf Kleinigkeiten an. Bevor für die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach ein Hotel gebucht wurde, ließ sich Weisweiler genau über das Käseangebot vor Ort informieren. Zudem musste immer eine Flasche Fernet Branca im Haus sein. Weisweiler streng: "Diese Dinge prüfen wir ganz genau!"
Ein großes Plus der Gladbacher war auch die Harmonie im Kader, die aus der klaren Hierarchie resultierte. Berti Vogts: "Günter Netzer war der alleinige Chef, nicht nur auf dem Spielfeld. Wir zehn anderen haben uns ihm völlig untergeordnet. Wir wussten ja, was er für unser Spiel bedeutet." Auch bei den Feierlichkeiten hielt sich der "Chef" Netzer weitgehend aus dem Treiben der anderen raus. Einige Spieler schraubten im Glücksrausch des Meisterschaftstriumphs im Hotel zusammen mit ihrem Manager Grashoff am Bett von Hennes Weisweiler herum.
Der Plan: Das Bett sollte zusammenbrechen, sobald der Trainer sich hineinlegen würde. Und es gelang. Als Weisweiler in sein kuscheliges Schlafgemach stieg, krachte es lautstark ineinander. Grashoff und die Spieler standen vor dem Zimmer, hielten sich lachend die Bäuche und warteten auf den Trainer - doch der kam nicht aus seinem Ruheraum heraus. Erst als Weisweiler am nächsten Morgen auf dem Boden liegend erwachte, bemerkte er, was mit ihm in der Nacht geschehen war. Noch im Fallen muss der Meistertrainer süß und fest entschlummert sein.
Quelle: ntv.de