Was können wir uns noch leisten? Assistentin (43): Für Freizeit gebe ich nur noch halb so viel aus
23.07.2023, 08:43 Uhr Artikel anhören
Ausgehen ist ein teures Vergnügen. "Ich spare in meinem sozialen Leben, gehe weniger aus, treffe weniger Freunde", sagt die alleinstehende 43-Jährige.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Vor allem Energie und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Die Inflation lag im vergangenen Jahr im Schnitt bei 6,9 Prozent. Bei ntv.de verraten regelmäßig Menschen aus allen Einkommensgruppen, was das für ihren Alltag bedeutet - was sie verdienen, wofür sie wie viel Geld ausgeben und was am Monatsende übrig bleibt. Heute:
Eine Assistentin einer Presseabteilung
Name: Ich möchte anonym bleiben*
Alter: 43
Wohnort: Berlin-Mitte
Ausbildung: Industriekauffrau, Abendstudium Volkswirtschaft
Aktuelle Tätigkeit: Assistenz Presseabteilung
Arbeitszeit pro Woche: 39 Stunden
Monatliches Bruttogehalt: 3817 Euro
Urlaubs- und Weihnachtsgeld: insgesamt 4896 Euro brutto Urlaubsgeld und 13. Gehalt
Familienstand: ledig
Haushalts-Nettoeinkommen pro Monat: 2585 Euro
Monatliche Miete für eine 2-Zimmer-Wohnung mit 59 Quadratmetern: 747,57 Euro warm (582,03 Euro Miete; 125,48 Euro Betriebskosten; 40,06 Euro Heizung und Warmwasser)
Monatliche Kosten fürs Heizen: 40,06 Euro als Nebenkostenvorauszahlung für Fernwärme (Kraft-Wärme-Kopplung)
Wie stark diese im Lauf der Energiekrise gestiegen sind: Um fast 8 Prozent gesunken, ich habe bewusst weniger geheizt und Wasser gespart.
Monatliche Stromkosten: 54,96 Euro
Wie stark diese im Lauf der Energiekrise gestiegen sind: um fast 4 Prozent
Weitere Fixkosten pro Monat:
- Private Rentenvorsorge 85 Euro
- Versicherungen: 117 Euro für Haftpflicht-, Unfall-, Rechtsschutz und private Zahnzusatzversicherung
- Handy 9,50 Euro
- Internet 28 Euro
- Musik- und TV-Streaming 20,50 Euro
- Rundfunkgebühr 18,36 Euro
- Sportclub 66 Euro - das wäre der größte Kostenfaktor, den ich vermeiden könnte, er dient aber eben auch meinem mentalen Ausgleich und meiner Gesundheit. Ich bin keine Outdoor- oder Online-Sportlerin.
- Auto - das habe ich noch, solange es noch durch den TÜV kommt: 55 Euro für Sprit, Steuer, KFZ-Versicherung, ADAC. Werkstatt und TÜV kommen on top. Ich benötige es für Fahrten ins Umland, also Ausflüge oder Familienbesuche. Das ist aber immer noch günstiger als Carsharing.
- Spenden: 6 Euro für Tierschutz
- (Die 49 Euro fürs Deutschlandticket übernimmt mein Arbeitgeber)
Unterm Strich frei verfügbares Haushaltseinkommen für Lebensmittel, Hygiene, Freizeit, Kleidung, Urlaub etc.: rund 1380 Euro
Wie viel davon ich zurücklege: Zu meinen Fixkosten zähle ich auch 200 Euro, die auf ein Sparkonto gehen, für Urlaub, Autoreparaturen, Haushaltsgroßanschaffungen wie eine Waschmaschine etc.
Wie viel mehr ich heute für Lebensmittel ausgebe als vor einem Jahr: Kann ich nicht einschätzen, ich gebe etwa 285 Euro im Monat aus. Ich koche mit Hellofresh, das kostet mich etwa 46 Euro pro Woche. Ich habe das Gefühl, dass ich da weniger Geld ausgebe, kein Essen verschwende und abwechslungsreicher esse, als wenn ich planen und im Supermarkt teilweise nur große Packungen einkaufen müsste. Dazu kommen etwa 100 Euro im Supermarkt für Brot, Obst, Milchprodukte, Getränke.
Wofür ich am meisten Geld ausgebe: Für Freizeitaktivitäten und Restaurants. Haben wir im Freundeskreis aber alle sehr reduziert. Der Eintritt für Clubs liegt zwischen 20 und 35 Euro. Ein Cocktail kostet im Schnitt 10 bis 12 Euro, Bier 5 Euro. Kino kostet 14 Euro, im Restaurant ist man jetzt eher bei 40 Euro für einen Abend mit Essen und Trinken. Konzertkarten im Vorverkauf kosten mindestens 80 Euro, mein Maximum liegt bei 120 Euro. Insgesamt habe ich in den ersten Monaten dieses Jahres noch gut 380 Euro für Freizeitaktivitäten ausgegeben, inzwischen habe ich auf etwa 150 Euro pro Monat reduziert. Viel gebe ich auch für Alleinreisende-Urlaube aus, weil Einzelzimmer im Vergleich zur Belegung zu zweit im Doppelzimmer pro Person teurer sind.
Weitere Ausgaben:
- Haushaltskram: etwa 60 Euro für Pflanzen, Deko, Textilien, Einrichtung etc.
- Drogerie 50 Euro
- Kontaktlinsen 50 Euro
- Kleidung: 150 Euro in den ersten Monaten 2023, inzwischen reduziert auf 80 Euro
- Geschenke: etwa 50 Euro für Freunde und Familie zu Geburtstagen etc.
Wie viel ich für Urlaub ausgebe: Für eine sechstägige Pauschalreise im Mai nach Spanien habe ich etwa 800 Euro ausgegeben plus etwa 200 Euro vor Ort für Essen und Trinken etc. Früher hätte dieselbe Pauschalreise weniger als 600 Euro gekostet. Ich verreise drei bis vier Mal pro Jahr für ein Wochenende oder eine Woche, vor Corona und den weiteren Krisen für jeweils etwa 600 bis 700 Euro.
An welchen Stellen ich aufgrund der hohen Inflation spare:
- TV-Streaming-Abos habe ich reduziert auf aktuell 13 Euro.
- Ich spare in meinem sozialen Leben, gehe weniger aus, treffe weniger Freunde. Die Zeit verbringe ich stattdessen mit Sport oder zu Hause.
- Weiteres Sparpotenzial hätte ich natürlich bei Kleidung, Neuanschaffungen für die Wohnung und an dritter Stelle bei meiner Sportclub-Mitgliedschaft. Ich bin aber nicht der Typ für ein billiges Fitnessstudio, Outdoor- oder Online-Sport - ich gehe gerne in Kurse.
Wie viel am Monatsende übrig bleibt: Die ersten Monate im Jahr 2023 nichts, weil ich zu viel für meine Freizeitaktivitäten ausgegeben habe. Ich hoffe, dass jetzt so 100 bis 200 Euro im Monat übrig bleiben.
Wünsche an die Politik: Ich gehöre zur Mittelschicht, aber wenn ich schon anfangen muss, bei meinen Ausgaben zu rechnen, fürchte ich, dass, wenn es sich weiter so entwickelt, die Mittelschicht zur neuen sozial schwachen Schicht zählen wird. Und so irgendwann auf einer ähnlichen Stufe wie die sozial Schwachen stehen, nur mit dem Unterschied, dass die Mittelschicht keine Unterstützung bekommt, weil die sozial Schwächeren noch schlechter gestellt sind und auf Unterstützung angewiesen sind, was wiederum von den Steuerzahlern finanziert wird. Wo soll das enden? Es schadet der Wirtschaft. Wenn die Mittelschicht nicht mehr konsumiert, werden Produktionen runtergefahren, Produkte vom Markt genommen, Firmen geschlossen, Arbeitsplätze gehen verloren - was zu noch mehr sozial Schwächeren führt.
Die Angaben dieser wichtigsten Einnahmen und Ausgaben beruhen auf Selbstauskünften, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
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Ich wünsche mir von der Politik, dass sie, so wie es eigentlich gedacht ist, im Sinne und zum Besten ihres Volkes handelt und sich als dessen Vertreter sieht, mit den Bürgern in Dialog geht, sich mal die Realität ansieht, anstatt von ihrem hohen Ross sitzend nur Verbote und Strafen aufzuerlegen, Angst statt Hoffnung zu verbreiten und ihre Ideologien durchzudrücken. So empfinde ich die Kommunikation seit der Corona-Pandemie. Medien tragen ihren Teil dazu bei. Die Politiker haben einfach jeden Bezug zur Realität, zum Volk verloren. Bürgersprechstunden wie die des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Kai Wegner, machen Hoffnung.
Und ich wäre dafür, dass Politiker nur Positionen besetzen, für die sie auch tatsächlich inhaltliche Erfahrungen haben. Bestes Beispiel: Ein Mann, der Philosophie, Philologie und Germanistik studiert hat, ist unser Wirtschaftsminister? Er hat keine Ahnung davon. Das ist genauso, als wenn ich mit meinem VWL-Studium als Ärztin tätig werden würde. Im realen Berufsleben muss man Erfahrung in dem Bereich haben, in dem man arbeiten möchte. Warum gilt das nicht für die Politik? Es gibt einfach so unfassbar viele Beispiele, wo man sich an den Kopf fasst und nur noch fassungslos ist mit Sorge, wo es hinführen soll, und keine Ahnung hat, wie sich das entwickelt. Ich fühle mich nicht geführt, nicht gestützt, nicht beachtet, nicht geschätzt von unserer Politik.
*Der Name ist der Redaktion bekannt
Quelle: ntv.de, Christina Lohner