Was können wir uns noch leisten? Rentnerin (56): Käse, Wurst und Joghurt kann ich mir nicht leisten
01.07.2023, 15:12 Uhr Artikel anhören
"Gesunde Ernährung ist kaum noch möglich", rechnet die erwerbsunfähige Altenpflegerin vor.
(Foto: picture alliance / dpa Themendienst)
Vor allem Energie und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Die Inflation lag im vergangenen Jahr im Schnitt bei 6,9 Prozent. Bei ntv.de verraten regelmäßig Menschen aus allen Einkommensgruppen, was das für ihren Alltag bedeutet - wie hoch ihr Einkommen ist, wofür sie wie viel Geld ausgeben und was am Monatsende übrig bleibt. Heute:
Eine ehemalige Altenpflegerin, die erwerbsunfähig ist
Name: Ich möchte anonym bleiben*
Alter: 56 Jahre
Wohnort: Lüneburg
Ausbildung: Altenpflegerin
Aktuelle Tätigkeit: Seit 15 Jahren Rentnerin, da ich infolge einer Lungenembolie erwerbsunfähig bin. Später ist dann noch eine Operation schiefgegangen, dabei wurde mein Darm schwer verletzt. Mehrere Operationen folgten, bis heute beeinträchtigen mich die gesundheitlichen Folgen. Außerdem leide ich dadurch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Monatliches Bruttoeinkommen: 1183 Euro - 813 Euro Rente plus 370 Euro Grundsicherung (wird abhängig von Einkommen und Miete berechnet)
Haushalts-Nettoeinkommen pro Monat: 1094 Euro. Steuern muss ich nicht bezahlen, aber Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Ich lebe allein.
Jahressonderzahlungen: kein Extrageld
Familienstand: geschieden
Miete pro Monat für eine Zweizimmerwohnung mit 45 Quadratmetern im Betreuten Wohnen: 580 Euro warm, davon sind 80 Euro Betreuungspauschale. Ich versorge mich selbst, nutze aber zum Beispiel den Notrufknopf. Eine günstigere Wohnung ist nicht zu finden, ich habe neun Monate lang nach meiner jetzigen Wohnung gesucht.
Monatliche Kosten fürs Heizen: 50 Euro
Wie stark diese in der Energiekrise gestiegen sind: Es gab seit meinem Einzug noch keine Nebenkostenabrechnung.
Monatliche Stromkosten: 70 Euro
Wie sich diese in der Energiekrise verändert haben: Durch die Trennung von meinem Partner von 110 auf 70 Euro gesunken, aber nun fehlt ein Einkommen.
Weitere Fixkosten pro Monat:
- Internet inklusive Festnetz 44 Euro. Darauf möchte ich nicht verzichten, das Internet ist mein Fenster zur Welt. Ab August wird der Tarif nochmal um 5 Euro teurer, aber ich bin vertraglich zwei Jahre lang gebunden.
- Handy 13 Euro
- Magenta TV 26 Euro
- Sport 15 Euro: Im Betreuten Wohnen wird Stuhlgymnastik angeboten. Ab September kommt noch Rehasport in Form von Hockergymnastik dazu, das übernimmt hoffentlich die Krankenkasse.
- Hausrat- und Haftpflichtversicherung 17 Euro
- Medikamente, die nicht verschreibungspflichtig sind: 30 Euro
Unterm Strich frei verfügbares Haushaltseinkommen für Lebensmittel, Hygiene, Freizeit, Kleidung et cetera: 299 Euro
Wie viel ich für Lebensmittel ausgebe: 200 bis 250 Euro. Ich kann mir weder Wurst noch Käse oder Joghurt leisten, frisches Obst und Gemüse nur ganz selten. Gesunde Ernährung ist kaum noch möglich. Dabei müsste ich mich wegen meiner Diabetes-Erkrankung dringend gesund ernähren und abnehmen.
Wie viel mehr ich für Lebensmittel ausgeben muss als vor einem Jahr: Die Kosten haben sich gefühlt verdoppelt. Früher blieb genug Geld übrig, um mir meine Medikamente ohne Probleme zu kaufen, jetzt nicht mehr. Diabetes-Teststreifen und Medikamente gegen die Folgebeschwerden meiner missglückten Operation sowie Nebenwirkungen meiner Diabetes-Behandlung muss ich selbst bezahlen. Mein Arzt hat mir außerdem eine Magenverkleinerung empfohlen, einen Teil der Kosten - fürs Gutachten, die Hälfte der Ernährungsberatung und Vitamine im Anschluss - muss ich selbst bezahlen. Ich weiß noch gar nicht, wie ich das stemmen soll.
An welchen Stellen ich aufgrund der hohen Inflation spare: Ich kaufe nur noch das Nötigste an Medikamenten, die ich selbst bezahlen muss. Halsschmerztabletten zum Beispiel kann ich mir nicht leisten. Bei Lebensmitteln achte ich extrem auf die Preise und fahre die vier Supermärkte im Umkreis mit dem Fahrrad ab, um die günstigsten Angebote zu finden. Der weiteste ist fünf Kilometer entfernt.
Wie viel ich für Urlaub ausgeben kann: Nix. Zum letzten Mal im Urlaub war ich vor acht Jahren, aber den hat meine Mutter bezahlt.
Wie viel Geld am Monatsende übrig bleibt: Nix. Früher war schon ein bisschen was übrig, ich konnte mir mal Kleidung kaufen, vor eineinhalb Jahren sogar noch ein E-Bike, das wäre jetzt nicht mehr machbar. Mit einem normalen Rad ohne Motor könnte ich aus gesundheitlichen Gründen nicht fahren. Mit dem Bus zu fahren wäre Luxus, eine einfache Fahrt kostet 2,50 Euro. Finanziell richtig eng wurde es vor eineinhalb Jahren, nicht nur wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten, sondern auch wegen der Trennung von meinem Partner. Da kam alles auf einmal und ich musste umziehen, ich habe neun Monate nach einer bezahlbaren Wohnung gesucht.
Die Angaben dieser wichtigsten Einnahmen und Ausgaben beruhen auf Selbstauskünften, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
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Wünsche an die Politik: Dass endlich auch mal an die unteren Einkommen gedacht wird, an die Personen, die alleine leben und das alles kaum noch stemmen können. Und an die Personen, die aus gesundheitlichen Gründen wirklich nicht mehr arbeiten können und trotzdem mit dem Satz vom Bürgergeld auskommen müssen. Meiner Meinung nach sollten Menschen, die nicht mehr arbeiten können, mehr Geld bekommen als solche, die noch in der Lage dazu sind, denn Letztere können ihr Bürgergeld aufstocken. Mich ärgert auch, dass zum Beispiel der Kanzler und die Bundesminister 3000 Euro Inflationsausgleich einsacken, während der kleine Mann nichts kriegt.
*Der Name ist der Redaktion bekannt
Quelle: ntv.de, Christina Lohner