Was können wir uns noch leisten? Rentner (57): Lebensmittel-Prospekte sind jetzt Pflichtlektüre
16.07.2023, 11:37 Uhr Artikel anhören
"Vor drei Jahren habe ich Lebensmittel-Prospekte noch am Briefkasten gleich in die Tonne geworfen", erzählt der frühere Außendienstler. Heute kauft die Familie fast nur Angebote.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vor allem Energie und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Die Inflation lag im vergangenen Jahr im Schnitt bei 6,9 Prozent. Bei ntv.de verraten regelmäßig Menschen aus allen Einkommensgruppen, was das für ihren Alltag bedeutet - wie hoch ihr Einkommen ist, wofür sie wie viel Geld ausgeben und was am Monatsende übrig bleibt. Heute:
Ein Erwerbsunfähigkeitsrentner mit Minijob
Name: Ich möchte anonym bleiben*
Alter: 57
Wohnort: Hohberg im Schwarzwald
Ausbildung: Elektronikfacharbeiter, später Studium Elektrotechnik/Elektronik
Aktuelle Tätigkeit: Erwerbsunfähigkeitsrentner wegen einer Tumorerkrankung seit 2021, deshalb Minijobber als Fahrer bei einem Autohaus. Ich stelle zum Beispiel Autos zu oder hole sie ab. Bis zu meiner Erkrankung war ich im Außendienst tätig, 20 Jahre lang bei einem Medienunternehmen und zuletzt bei einem IT-Systemhaus.
Arbeitszeit pro Woche: Leider nur zehn, elf Stunden pro Woche zum Mindestlohn. Mehr als den Minijob schaffe ich gesundheitlich nicht mehr.
Monatliches Bruttoeinkommen: 2000 Euro Rente brutto, darauf muss ich noch gut 80 Euro Steuern zahlen. In meinem Minijob verdiene ich 516 Euro dazu.
Urlaubs- und/oder Weihnachtsgeld: Meine Frau erhält etwa 800 Euro netto. Sie arbeitet halbtags beim Landratsamt in der Verwaltung.
Familienstand: Verheiratet, ein 24-jähriger Sohn, der studiert und noch bei uns wohnt.
Haushalts-Nettoeinkommen pro Monat: 3800 Euro aus meiner Rente, meinem Minijob, dem Gehalt meiner Frau sowie aktuell noch Kindergeld. Meine Frau hat eine 70-prozentige Schwerbehinderung und kann deshalb nur halbtags arbeiten.
Monatliche Ratenzahlung für unser Einfamilienhaus, das wir 2004 gebaut haben: Etwa 1200 Euro plus umgerechnet etwa 100 Euro Steuern und Gebühren für Müll, Wasser, Kaminfeger. 2028 werden wir es voraussichtlich abbezahlt haben.
Monatliche Kosten fürs Heizen: Umgerechnet rund 200 Euro für unsere Gasheizung plus 25 Euro für Holz für unseren Holzofen, den wir in Übergangszeiten nutzen.
Wie stark diese im Lauf der Energiekrise gestiegen sind: etwa verdoppelt
Monatliche Stromkosten: rund 150 Euro, Nachzahlung noch offen
Wie stark diese im Lauf der Energiekrise gestiegen sind: um 50 Prozent, Vertragswechsel folgt
Weitere Fixkosten pro Monat:
- Insgesamt etwa 30 Euro für unsere drei Handyverträge für meine Frau, meinen Sohn und mich
- DSL/Telefonie 39,99 Euro, derzeit durch Wechsel noch in der Promophase für 14,99 Euro
- Rundfunkbeitrag 18,36 Euro
- 10 Euro Kontoführungsgebühren für unsere beiden Girokonten, ein Wechsel der Bank wäre wegen unseres Hauskredits kompliziert
- Versicherungen: knapp 390 Euro für Lebens-, Rechtsschutz-, Haftpflicht- und Gebäudeversicherung
- Umgerechnet etwa 68 Euro für unseren drei Jahre alten Kleinwagen: Versicherung, Steuer und TÜV
- Tanken rund 150 Euro. Auf dem Land sind wir auf ein Auto angewiesen, meine Frau bräuchte z. B. mit dem öffentlichen Nahverkehr über eine Stunde zur Arbeit, mit dem Auto schafft sie es in 15 bis 20 Minuten
- Für das Behindertenticket für den ÖPNV gebe ich umgerechnet etwa 4 Euro im Monat aus, wenn ich in der kalten Jahreszeit oder bei schlechtem Wetter nicht mit dem E-Bike zu meinem Job komme
- Rund 200 Euro im Monat für die Eigenbeteiligung an Medikamenten und Hilfsmitteln, inzwischen v.a. für meine Frau. In den Jahren 2020/2021, dem Zeitraum meiner Tumorerkrankung mit Chemotherapie und Operation, kam fast derselbe Betrag nochmal für mich dazu, für die Eigenbeteiligung an Medikamenten, Krankenhauskosten und Taxifahrten zur Klinik.
Zusätzliche Ausgaben für unser Kind:
- Essen, Trinken und Wohnen, mein Sohn studiert und wohnt noch bei uns
- Umgerechnet 22,30 Euro Semestergebühren
- Umgerechnet etwa 80 Euro für Sonderausgaben wie letztes Jahr ein neues Notebook oder vor zwei Jahren einen kleinen, gebrauchten Motorroller. Kleidung kauft er selbst, er bekommt auch mal Geld von seinen Großeltern oder bei Praktika.
Unterm Strich frei verfügbares Haushaltseinkommen für Lebensmittel, Hygiene, Freizeit, Kleidung, Urlaub etc.: etwa 1113 Euro
Die Angaben dieser wichtigsten Einnahmen und Ausgaben beruhen auf Selbstauskünften, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
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Wie viel mehr wir heute für Lebensmittel ausgeben als vor einem Jahr: Gefühlt das Doppelte, mit etwa 600 Euro für Lebensmittel und Drogerie real etwa das 1,4-Fache. Wir kaufen bei Lebensmitteln fast nur Angebote, die Lebensmittel-Prospekte am Wochenende sind zur Pflichtlektüre geworden - vor drei Jahren habe ich die noch am Briefkasten gleich in die Tonne geworfen. Wir gehen auch seltener ins Restaurant als früher, aber immer noch etwa zweimal pro Monat.
Besondere Ausgaben: Friseur für mich 30 Euro monatlich, meine Frau 150 Euro
Wie viel wir für Urlaub ausgeben: Urlaub? Seit 2019 nicht mehr. Ich war im letzten Jahr mit meiner Schwester mal ein paar Tage bei meinem 82-jährigen Vater und am Grab meiner Mutter, meine Frau vier Tage mit unserem Sohn in Italien und mit einer Freundin bei einer Ex-Kollegin im Fränkischen, das war's. Wenn wir das Haus abbezahlt haben, wollen wir gern wieder mehr reisen, früher sind wir viel gereist.
An welchen Stellen wir sparen: Wir haben schon vor meiner Erkrankung und danach nochmal, als der Ukraine-Krieg begann, alles auf den Prüfstand gestellt und Anbieter von Strom, Gas, DSL und Mobilfunk gewechselt, wo es ging. Einige Steuern, Gebühren und Beiträge finde ich überhöht, die kann ich allerdings nicht senken, wie die Grundsteuer, GEZ, Wasser- und Müllgebühren oder Versicherungsbeiträge.
Wie viel am Monatsende übrig bleibt: Wenn nichts Besonderes anliegt, 200 bis 400 Euro, die wir für Notfälle wie kaputte Elektrogeräte nicht anfassen. Von 2017 bis 2022 ist jedes Jahr ein Küchen-Großgerät, wie Backofen, Geschirrspüler, Kühlschrank oder Kaffeeautomat, kaputtgegangen.
Wie viel davon wir zurücklegen: Wir haben beide noch eine Kapitallebensversicherung aus den 90ern, da sparen wir noch was an. Falls sich herausstellt, dass eine Fotovoltaikanlage doch wirtschaftlich für uns wäre, würden wir die Versicherung eventuell auflösen, weil sie sich immer weniger lohnt.
Wünsche an die Politik:
Wir kommen zurecht. Vor allem, wenn 2028 das Haus abbezahlt ist, ist es ok. Aber ich sehe mit einigen Bedenken auf unsere politischen Entscheidungsträger. Die Vorgaben werden immer strenger, während die real verfügbaren Einkommen sinken. Natürlich gibt es die Energiewende nicht zum Nulltarif, aber sie wird mit der Brechstange durchgesetzt, zum Beispiel mit dem Heizungsgesetz. Unsere Heizung wird nächstes Jahr 20 Jahre alt, sie wird also nur noch einige Jahre funktionieren, wir sind durch unsere Schwerbehinderungen aber nur bedingt kreditwürdig.
Außerdem finde ich die Steuern zu hoch und ungerecht. Und die Politik tut meiner Meinung nach zu wenig gegen Mitnahmeeffekte bei der Inflation, zum Beispiel seitens Energieanbietern oder bei Lebensmitteln. Daher kommt die Unzufriedenheit vieler Bürger, die zum Beispiel aus Protest einen AfD-Landrat wählen. Es trifft schon die Mittelschicht wie mich - was ist denn mit Menschen mit niedrigen Einkommen?
*Der Name ist der Redaktion bekannt.
Quelle: ntv.de, Christina Lohner