Wirtschaft

Neue deutsche Energiepolitik "Kernkraft ist ein Sehnsuchts-Thema für einen Teil meiner Partei"

"Die meisten Menschen haben eher keine emotionale Bindung zu ihrer Heizung", sagt CDU-Mann Thomas Heilmann im "Klima-Labor" von ntv.

"Die meisten Menschen haben eher keine emotionale Bindung zu ihrer Heizung", sagt CDU-Mann Thomas Heilmann im "Klima-Labor" von ntv.

(Foto: Marc Beckmann)

Die Ampel ist weg, sehr wahrscheinlich übernimmt die Union in wenigen Wochen oder Monaten das deutsche Regierungsruder. Dann müssen CDU/CSU Probleme wie hohe Stromkosten lösen. Erste Vorschläge finden sich in einem neuen Energiepapier der Unions-Fraktion im Bundestag: Die Kernenergie wird darin noch nicht aufgegeben, das Heizungsgesetz schon. Aber mit welchem Koalitionspartner? Im exklusiven Interview mit dem "Klima-Labor" von ntv ordnen Thomas Heilmann (CDU), Vorsitzender der KlimaUnion, und Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die Vorschläge ein.

ntv.de: War 2024 ein gutes oder ein schlechtes Jahr für den Klimaschutz?

Thomas Heilmann: In den meisten Dimensionen sind wir nicht weitergekommen. Insbesondere bei der öffentlichen Akzeptanz, dass Klimaschutz notwendig ist. Das ist nicht nur ein deutsches Problem, sondern eigentlich fast in allen westlichen Ländern dasselbe.

Dabei zeigen weltweite Studien, dass das Thema überall relevant ist. Egal, wo man fragt, in keinem Land liegt die Akzeptanz für Klimaschutz unter 70 Prozent. Das bildet sich bei den Wahlen aber nicht ab. Woran liegt das?

Thomas Heilmann: Das sind Sonntagsfragen. Alle sind für Nächstenliebe. Es sind auch alle für das Einhalten der Verkehrsregeln, aber trotzdem verstößt jeder dagegen. Die kritische Frage ist: Bin ich bereit, für die Bekämpfung des Klimawandels ein Stück von meinem Wohlstand zu opfern? Wenn Sie etwas opfern, bin ich dafür. Wenn ich selbst was bezahlen muss, finde ich das ungerecht. Das ist das wesentliche Problem. Dabei sind von allen Seiten Fehler gemacht worden. Aber wir müssen mit dem Faktum kämpfen, dass Politiker wie Donald Trump, die den Klimawandel leugnen, mehr Macht bekommen und die Akzeptanz für starke Veränderungen abnimmt.

Wird zu wenig darüber gesprochen, was es kostet, wenn wir Klimaschutz nicht machen?

Marcel Fratzscher: Das ist der zentrale Punkt. Das Narrativ ist, dass Klimaschutz Wohlstand kostet. Wahr ist das Gegenteil: Klimaschutz schützt Wohlstand und verhindert noch größeren Schaden. Wir sehen zunehmende Naturkatastrophen in Deutschland, in Europa, weltweit.

Und trotzdem gewinnt Donald Trump in den USA Wahlen mit der Botschaft: Drill, Baby, Drill. Mit Öl und Gas wird es wieder billiger.

Marcel Fratzscher: Wenn man sich das Wahlergebnis anschaut, waren die zwei großen Themen die Wirtschaft und Migration und bei der Wirtschaft die hohe Inflation.

Mit Drill, Baby, Drill werden die Preise aber wieder sinken. Das verspricht Trump.

Marcel Fratzscher: Drill, Baby, Drill ist der Grund, wieso die Preise beim russischen Angriff auf die Ukraine gestiegen sind. Hätten wir damals schon 100 Prozent Erneuerbare gehabt, wären wir unabhängig gewesen und hätten nicht diese hohe Inflation gehabt. Erneuerbare Energien sind die günstigste Energieform. Die kosten die Hälfte von fossilen Energieträgern oder von Atomkraft. Wenn wir günstigere Energiekosten und eine Deindustrialisierung verhindern wollen, müssen wir viel schneller werden im Ausbau erneuerbarer Energien und der damit verbundenen Infrastruktur.

Thomas Heilmann: Aber kurzfristig ist es natürlich andersherum. Wenn Sie in Pennsylvania weitere Ölquellen erschließen, erzielen Sie erst mal einen Profit. Diesen möchte man mitnehmen. Ich unterstütze das nicht, aber diese Dinge sind komplex. Und es ist kompliziert, der gesamten Bevölkerung eine Investitionsrechnung auf individueller Ebene beizubringen. Bei Heizungen ist es dasselbe: Kurzfristig ist der Austausch teuer.

Marcel Fratzscher: Es ist teuer, Übertragungsnetze und Leitungsnetze zu bauen. Aber die Zukunft sind erneuerbare Energien. Die Goldenen 2010er sind vorbei. Wir können nicht zurück, auch wenn Populisten die Menschen manipulieren und Ängste schüren wollen.

Als die Ampel vor drei Jahren angetreten ist, waren die Menschen offen für diese Argumente. Seitdem ist "Klimaschutz" eine Art Kampfbegriff geworden. Für einen erfolgreichen Wahlkampf wäre es wahrscheinlich das Beste, wenn man das Wort aus dem Programm verbannt.

Thomas Heilmann: Ich kann Sie beruhigen, das werden wir als Union nicht tun und die anderen Parteien auch nicht. Aber ja, etwas hat sich geändert. Die öffentliche Meinung hat sich gedreht. Dafür ist die Politik mitverantwortlich. Dafür ist die Ampel verantwortlich. Auch wir haben unseren Anteil daran, das will ich überhaupt nicht verhehlen. Leider spielt auch die AfD mit ihren bequemen Lösungen eine große Rolle. Die Menschen in Leuna verstehen bis heute nicht, warum sie kein russisches Öl mehr nutzen sollen. Dazu kommt, dass kein Teil der Wirtschaftspolitik so kompliziert ist wie die Energiepolitik. Wir haben über die Jahrzehnte ein maximal komplexes System aufgebaut. Ich habe Jahre gebraucht, um einen Überblick zu bekommen.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Sind sinkende Strom- und Energiekosten der Schlüssel zu Akzeptanz von Klimaschutz?

Thomas Heilmann: Klimawandel ist viel mehr als das Energiesystem, eine komplette Transformation unserer Lebenswelt. Wenn man Energie hört, denkt man an den Stromsektor, aber das betrifft auch das Auto und die Heizung. Ich finde die Wärmewende richtig, aber das Heizungsgesetz hat erhebliche Mängel. Die Große Koalition hatte ein funktionierendes Förderprogramm aufgesetzt. Das hat die Ampel ausgesetzt und Monate gebraucht, bis es ein neues gab. Plötzlich waren auch wieder Ölheizungen erlaubt, die schon verboten waren. Völliger Irrsinn. Jetzt haben wir mehr Öl- und Gasheizungen als vorher und dafür weniger Wärmepumpen.

War das Gesetz wirklich so schlecht oder ist es absichtlich zerredet worden, Herr Fratzscher?

Marcel Fratzscher: Sowohl als auch. Das Gesetz war handwerklich schlecht und wurde katastrophal kommuniziert. Die Menschen hatten Angst. Dazu kamen populistische Werbespots der Gegner mit Robert Habeck, in denen er an der Tür klingelt und die Heizung aus dem Keller reißt. Aus ökonomischer Sicht sind Wärmepumpen langfristig für die allermeisten Haushalte die deutlich effizientere und günstigere Option. In den nordischen Ländern haben wir einen Wärmepumpen-Anteil von 70 bis 80 Prozent in privaten Haushalten. Wir stehen bei 5 bis 10 Prozent.

Sollten wir das Heizungsgesetz abschaffen? So lautet die Forderung im Energiepapier von Unionsfraktionsvize Jens Spahn.

Thomas Heilmann: Wenn Sie die Details lesen, merken Sie, dass der Diskurs von Jens Spahn mit der Partei bereits zu einer gewissen Veränderung geführt hat. Inzwischen sagt er nämlich: Wir wollen in weiten Teilen zurück zum alten Heizungsgesetz. Damit wären dann übrigens auch wieder Ölheizungen verboten. Das Allerwichtigste aber ist auch für die Wirtschaft, dass wir bei den Fördersätzen bleiben. Anders als beim Auto haben die meisten Menschen eher keine emotionale Bindung zu ihrer Heizung im Keller. Das ist eine rein ökonomische Frage: Was kostet mich eine Wärmepumpe im Vergleich zu einer Gasheizung? Wann rechnet die sich? Diese Fragen müssen Sie verlässlich gut beantworten können.

Und was machen wir mit der Kernkraft? Auch die findet man im Energiepapier wieder.

Thomas Heilmann: Die Kernkraft ist ein Sehnsuchts-Thema für einen Teil meiner Partei. Jetzt haben wir uns auf einen Prüfauftrag verständigt. Ich kann Ihnen schon sagen, was herauskommt: Niemand wird das finanzieren können. Wird es trotzdem Atomenergie in Deutschland geben? Ja. Wir werden weiter französischen Atomstrom importieren, und zwar eine ganze Weile. Die atomfreie Stromzone in Deutschland gibt es heute nicht und die werden wir auch nicht versprechen. Aber das ist ein anderes Thema.

Wichtiger ist: Ich halte es für irrsinnig, dass wir drei verschiedene Absicherungssysteme planen, deren Interaktion wir nicht genau verstehen und die im Zweifel wahnsinnig teuer sind. Da bin ich anderer Meinung als wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft. Ich glaube nicht, dass wir einen staatlich geförderten Gaskraftwerkspark haben sollten, der später für wahnsinnig viel Geld auf Wasserstoff umgebaut wird. Das ist irre, aber noch kein Konsens. Deswegen finden Sie auch nur vage Formulierungen in dem Entwurf.

Das Energiepapier verspricht auch eine Kostenwende. Können Sie die in den Plänen der Union erkennen, Herr Fratzscher?

Marcel Fratzscher: Im Großen und Ganzen nicht. Man muss sich ehrlich machen, gerade der Ausbau der Infrastruktur wird in den kommenden 10 bis 20 Jahren sehr teuer sein. Und ich bin bei Thomas Heilmann: So viele Reserven zu haben, ist verdammt teuer. Mein Gefühl ist, dass das Bundeswirtschaftsministerium als Reaktion auf die Energiekrise extrem risikoavers vorgeht. Dass wir 2022 nicht genug Gas hatten, ist für viele ein Trauma gewesen. Jetzt werden wahnsinnig viele LNG-Terminals gebaut und viele Kapazitäten vorgehalten. Das sind Übertreibungen, das kann man günstiger machen.

Mit welchem Koalitionspartner wäre das am ehesten möglich, Herr Heilmann?

Thomas Heilmann: Ich habe sowohl Verhandlungserfahrung mit den Grünen als auch mit den Sozialdemokraten. Beide waren immer schwierig, auch in den Regierungen Merkel, weil die Positionen von Union und SPD damals weit auseinanderlagen. Aber wir hatten ein sehr viel besseres Management im Kanzleramt: Was ins Kabinett kommt, kommt geeint. Wir haben allein im Klimabereich derzeit acht Gesetzesvorhaben von der Ampel, die in erster Lesung an den Bundestag übermittelt wurden. Es gab eine hektische Anhörung und seitdem liegen die Pläne rum. Warum? Weil die Ampel-Parteien sich nicht einig waren. So geht das nicht.

Sie überlegen anscheinend noch, wer Ihnen als Koalitionspartner lieber wäre.

Thomas Heilmann: Ich kenne die Vor- und die Nachteile, keine Partei ist nachteilsfrei. Auch die Union nicht. Dass wir mit CDU und CSU zwei Schwesterparteien sind, ist sicher für andere Parteien auch anstrengend. Das wird nicht einfach und wenn es in den nächsten Monaten schlecht läuft, gibt es Stillstand. Durch die Wahl in Amerika gibt es aber auch einen Impuls, der Europa dazu zwingt, zusammenzustehen.

Letzter Versuch, grün oder rot?

Thomas Heilmann: Meine Partei hat sich, wie Sie überall lesen können, mehrheitlich für die Sozialdemokraten entschieden. Ich bin nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung ist, aber ich bin natürlich loyal.

Mit Marcel Fratzscher und Thomas Heilmann sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde am 7. November live im Hauptstadtstudio von RTL/ntv aufgezeichnet und zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das vollständige Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören und auf Youtube anschauen.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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Quelle: ntv.de

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