Milliardenhilfen für die Ukraine Ein Plan, der Deutschland nichts kostet


Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass der ukrainische Wiederaufbau mindestens 470 Milliarden US-Dollar kosten wird.
(Foto: picture alliance/dpa/Ukrinform)
Die Ukraine braucht nichts dringender als Munition - und Geld, um ihren kriegsgeplagten Staatshaushalt zu stabilisieren. Ein britischer Politologe schlägt vor, russisches Vermögen in ukrainische Kriegsanleihen zu investieren. Ganz legal. Deutsche Bedenken wischt er weg.
Fehlende Munition ist derzeit das mit Abstand größte Problem der Ukraine. Dicht gefolgt von frischem Geld. Denn egal, wie viele Soldaten in den kommenden Monaten oder Jahren für den Kampf gegen Russland mobilisiert werden: Ihr Sold muss gezahlt werden, ebenso das Gerät, mit dem sie kämpfen. Doch mit jeder Soldatin und jedem Soldaten, die kämpfen, sich verletzen oder sogar sterben, fallen Steuerzahler weg und damit wichtige Einnahmen. Die braucht die ukrainische Regierung aber, um den Wiederaufbau des Landes, die Waffenproduktion sowie Renten, Lehrer oder Kitas zu finanzieren.
Es ist eine Zwickmühle, aus der es nur einen Ausweg gibt: Die Ukraine ist weiterhin dringend auf militärische, aber auch finanzielle Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Doch europäische Munitionsversprechen scheitern bisher oft an der eigenen Unfähigkeit. Putin-Anhänger wie Ex-Präsident Donald Trump oder der ungarische Premierminister Viktor Orban geben sich alle Mühe, große Hilfspakete von EU und USA zu blockieren.
Wie man amerikanischen und europäischen Politikern Sympathien für einen Kriegstreiber austreiben kann, weiß Maximilian Hess nicht. Wie man den ukrainischen Staatshaushalt stabilisieren kann, schon: Der britische Politologe vom Foreign Policy Research Institute (FPRI) schlägt eine neuartige ukrainische Kriegsanleihe vor, in die das Vermögen der russischen Zentralbank gepumpt wird, das nach Kriegsbeginn von der EU und den G7-Staaten eingefroren wurde. Allein in Europa geht es um 150 Milliarden Euro.
"Die Anleihe soll an die Schäden geknüpft werden, die Russland in der Ukraine verursacht", sagt Hess im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Wenn Russland der Ukraine keinen Schaden mehr zufügt, muss das Geld zurückgezahlt werden. Beschädigt Russland die ukrainische Infrastruktur und Wirtschaft weiterhin, werden diese 150 Milliarden Euro einbehalten."
Keine Einnahmen, viele Schulden
Im Kern funktioniert eine Kriegsanleihe wie jede andere Staatsanleihe auch. Größter Unterschied: Sie ist explizit dazu gedacht, Kriege zu finanzieren, ohne die Steuern erhöhen zu müssen. Die eigene Bevölkerung, aber auch befreundete Staaten können die Anleihen kaufen, um dem Herausgeber - in diesem Fall der Ukraine - Geld zu leihen. Die Ukraine müsste die Zahlungen später begleichen, nimmt über die Anleihe also Schulden auf.
Das allerdings hat die Ukraine bereits im ersten Kriegsjahr getan. Ihre Möglichkeiten, sich selbst zu finanzieren, sind erschöpft. Zum Jahreswechsel beliefen sich die Staatsschulden auf umgerechnet 145 Milliarden Dollar, erkennbare Einnahmen sind nicht in Sicht. Und der Streit um die Hilfspakete lässt befürchten, dass Europa und die USA mit ihren Hilfen ebenfalls an ihre Grenzen stoßen - nicht finanziell, sondern bei dem Versuch, der eigenen Bevölkerung die Unterstützung zu vermitteln, ohne abgewählt zu werden.
"Kein schlechtes Ergebnis"
Deswegen empfiehlt Hess, erstens, der Ukraine alle Schulden zu erlassen, damit sie nicht von Rück- und Zinszahlungen erdrückt wird. Zweitens sollen die neuen Kriegsanleihen eigentlich Katastrophenanleihen sein. Diese sind seit einiger Zeit speziell aus Erdbebengebieten bekannt. Gemeinden, aber auch Unternehmen wie Eisenbahnlinien geben sie heraus, um sich vor möglichen Schäden durch Naturkatastrophen abzusichern.
Der Reiz dieser Anleihen besteht darin, dass sie den Käufern besonders hohe Zinsen bieten. Sie sind aber auch sehr riskant: Tritt die definierte Katastrophe ein, ist das Geld weg, um etwaige Schäden bezahlen zu können. So wäre es auch im Fall der Ukraine: Als Katastrophe hat Hess weitere russische Angriffe definiert. Möchte Russland sein Geld zurückbekommen, müsste es den Beschuss der Ukraine einstellen. Die Chance dafür schätzt der Risikoanalyst auf null ein. "Sollte es doch so sein, wäre das aber auch kein schlechtes Ergebnis."
260 Milliarden eingefroren
Der Haken ist selbstredend, dass die russische Zentralbank nie zustimmen wird, die Anleihen mit ihrem Vermögen kaufen zu dürfen. Vor dem Krieg hatte sie für schlechte Zeiten insgesamt 260 Milliarden Euro in den Finanzmärkten der G7-Staaten geparkt. Das meiste davon - die erwähnten 150 Milliarden Euro - liegen in einer Bank namens Euroclear in Brüssel und somit in der EU.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Alle Folgen von "Wieder was gelernt" finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Nach dem Angriff auf die Ukraine wurde das Vermögen eingefroren. Seitdem liegt es dort und häuft Gewinne und Zinsen an. Diese sollen erstmals ebenfalls als Finanzhilfe an die Ukraine ausgezahlt werden. Unklar ist jedoch, ob es legal wäre, das Vermögen selbst an die Ukraine zu überweisen. Darüber streiten Regierungen, Juristen, Ökonomen und andere seit Kriegsbeginn.
"Deutsche Bedenken nicht ernst nehmen"
US-Präsident Joe Biden, Estland, Litauen und andere gehören zu der Gruppe, die das Vermögen vollständig beschlagnahmen und aushändigen wollen. Vor allem wegen Donald Trump. Sie fürchten, der Putin-Freund könnte im November tatsächlich erneut zum US-Präsidenten gewählt werden und anschließend wie angedroht alle US-Hilfen einkassieren. Die Gruppe würde deshalb lieber heute als morgen Nägel mit Köpfen machen und die Ukraine auf Jahre hinaus finanziell absichern.
Maximilian Hess würde die Beschlagnahmung unterstützen. Allerdings haben speziell Deutschland, Frankreich und die Europäische Zentralbank Bedenken. Sie fürchten oder behaupten zumindest, dass der Status von Europa als vertrauenswürdiger Finanzmarktplatz leiden könnte, wenn die EU Geld von Land A ohne Rechtsanspruch an Land B aushändigt. Denn dieser Anspruch auf Entschädigung oder Reparationen liegt bei der Ukraine.
Der Trick besteht also darin, den ukrainischen Anspruch auf Reparationen an die EU und die G7-Staaten zu übertragen, die das Geld anschließend beschlagnahmen und der Ukraine geben. Dafür haben Juristen inzwischen ebenfalls eine komplexe Lösung aus dem Bereich "Financial Engineering" vorgestellt. Aber auch die Katastrophenanleihen wären ein legales Instrument, sagt Hess in "Wieder was gelernt". Denn juristisch gesehen, erlösche der russische Anspruch auf das Vermögen nur, wenn Russland weiter angreift. Hess betont: "Die Bedenken, die vor allem Deutschland anmeldet, dürfen nicht ernst genommen werden."
"Politisches Risiko absichern"
Doch auch diese Lösung müsste mit der Bundesregierung und der EU abgestimmt werden. "Sie müssten mit der Ukraine und den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, um diese Art von Maßnahmen zu genehmigen und die Struktur aufzubauen", sagt Hess. "Aber auf diese Weise könnte man sicherstellen, dass die Ukraine einen regelmäßigen Geldfluss erhält, die ukrainische Finanzierung aufrechterhalten und sich gegen politische Risiken im Westen absichern."
Sinnvoll wäre es, denn der Internationale Währungsfonds schätzt, dass der ukrainische Wiederaufbau mindestens 470 Milliarden US-Dollar kosten wird. Den Schaden hat Russland verursacht. Das Land wird sich aber nie freiwillig an den Kosten beteiligen. Die EU hält den Schlüssel in der Hand, Russland dennoch zur Verantwortung zu ziehen.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
Quelle: ntv.de