Sparen mit dynamischen Tarifen "Für Strom zahlt man in den richtigen Momenten fast nichts"
10.09.2024, 00:00 Uhr
Der altbekannte Stromzähler muss ausgetauscht werden, um dynamische Tarife nutzen zu können.
(Foto: picture alliance / Shotshop)
Ab 2025 müssen alle Stromversorger dynamische Tarife anbieten, heißt: Wer die Wäsche wäscht, wenn die Sonne knallt - oder das E-Auto auflädt, wenn starker Wind weht, zahlt künftig besonders wenig für den Strom. "Ein Kunde hat uns erzählt, dass er im Jahr etwa 1400 Euro spart", sagt Ulrich Meyer im "Klima-Labor" von ntv. Der Gründer von Enytime Green hilft Stadtwerken beim Aufbau des neuen Systems, denn um die dynamischen Tarife nutzen zu können, muss der Haushalt mit einem Smartmeter ausgestattet sein, also einem intelligenten Stromzähler. Vorerst bekommen den eher Eigenheimbesitzer mit großem Verbrauch. Meyer ist aber zuversichtlich, dass zeitnah alle Menschen profitieren können: "Es ist im Interesse der Versorger, dieses System möglichst schnell aufzubauen. Denn: Spare ich meinen Kunden Geld, werden die nie wieder den Anbieter wechseln."
ntv.de: Was sind dynamische Stromtarife, eine Art "Strombörse für zu Hause"?
Ulrich Meyer: Nein, der Strompreis wird nur in der Höhe berechnet, wie er zur Verbrauchszeit ist. Um 6 Uhr kostet er was anderes als um die Mittagszeit und auch abends. Der Hintergrund ist einfach: In Kohlekraftwerken ist es egal, wann ich die Kohle verbrenne. Der Preis ist immer derselbe. Daraus entsteht für Kunden ein Tarifsystem, in dem auch der Preis immer gleich ist. Das ändert sich jetzt, weil wir ein zu 100 Prozent regeneratives Stromsystem aus Sonne und Wind aufbauen.

Ulrich Meyer arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Energiewirtschaft. 2023 hat er Enytime Green gegründet.
(Foto: Enytime Green)
Das ist die Idealvorstellung.
Das wird passieren und ergibt volkswirtschaftlich auch sehr viel Sinn, weil ich nicht mehr jedes Jahr für rund 130 Milliarden Euro Kohle und Strom importieren muss. Auf lange Sicht werden wir viel Geld sparen. Das ist eine intelligente Investition in die Zukunft. Das bedeutet für Verbraucher allerdings, dass man den Strom am besten dann verbraucht, wenn er erzeugt wird. Nur richten sich Sonne und Wind nicht nach unseren Bedürfnissen. Die Sonne scheint tagsüber, der Wind weht, wann er weht. Die Angebotsmengen für Strom sind plötzlich sehr unterschiedlich.
Gerade erleben wir sehr sonnige Tage.
Ja, tagsüber wurde sehr viel Solarstrom eingespeist und bei einer Solaranlage ist es so: Sobald Sonne rauffällt, kommt Strom raus. Bei Windkraftanlagen ist es an windigen Tagen genauso. Verbrauche ich den Strom als Kunde in diesen Momenten, muss ich fast nichts zahlen. Gleichzeitig gibt es Tage, an denen der Strom relativ teuer ist, weil wenig erzeugt wird.
Können Sie eine Preisspanne zwischen den günstigsten und den höchsten Preisen angeben?
An den Börsen tendieren die Strompreise tatsächlich gen null und sind auch mal negativ, weil noch Kohlekraftwerke laufen, die man nicht flexibel abschalten kann. Die schmeißen in solchen Momenten mehr Strom auf den Markt als nötig. Dann kriegt man Geld dafür, dass man Strom verbraucht, aber im Normalfall ist null die Untergrenze. Die sehen wir relativ häufig um die Mittagszeit. Abends lag der Preis bei 0,23 Euro pro Kilowattstunde. Es kommen noch Netzentgelte, die Stromsteuer und die Mehrwertsteuer drauf. Dann liegt der Endpreis bei ungefähr 0,50 Euro.
Die Netzentgelte werden aber auch fällig, wenn der Börsenpreis bei null Euro liegt, oder?
Genau, Endkunden zahlen in besten Zeiten etwa 0,15 und in teuren etwa 0,45 Euro. Das ist die Spanne. Lade ich mein E-Auto also tagsüber, wenn die Sonne scheint oder nachts, wenn der Wind weht und es sonst kaum Nachfrage gibt, spare ich viel Geld. Ein Kunde hat uns erzählt, dass er im Jahr etwa 1400 Euro weniger bezahlt, weil er seinen Verbrauch angepasst hat.
Aber dafür benötigt man einen Smartmeter, also einen intelligenten Stromzähler?
Ja, weil gemessen werden muss, wann man eigentlich wie viel Strom verbraucht. Das kann der normale Haushaltszähler nicht. Es gibt drei Zählertypen: Den Ferraris-Zähler kennt jeder von früher, das ist dieser schwarze Klotz zu Hause, bei dem sich ein Rad dreht. Der funktioniert mechanisch. Damit kann man nichts machen außer ablesen, wie viele Kilowattstunden verbraucht wurden. Dann gibt es die digitale "Moderne Messeinrichtung". Koppelt man die mit einem intelligenten "Gateway", wird der Zählerstand auf einer sicheren Leitung an den Netzbetreiber übermittelt und man redet von einem "Smartmeter". Nahezu alle anderen europäischen Länder haben den quasi komplett ausgerollt. Bei uns liegt die Quote zwischen 3 und 4 Prozent.
Es reicht nicht, die Waschmaschine einzuschalten, wenn die Sonne scheint?
Die Sonne scheint aber nicht jeden Tag um 12 Uhr und es weht auch nicht jede Nacht der Wind. Das schwankt erheblich. Ohne Gateway müsste ich also jeden Tag in die Strombörse gucken, um meinen Verbrauch zu optimieren. Das macht keiner. Es steht auch niemand nachts um 3 Uhr auf, um sein E-Auto aufzuladen. Das übernimmt ein Energiemanagementsystem. Dort füge ich mein Auto hinzu, gebe an, wann ich morgens losfahren muss und ein Algorithmus guckt, wie viel Strom das Auto braucht, wann die Strompreise niedrig sind und lädt es auf.
Ich muss nichts weiter tun?
Das macht die Maschine. Diese Software ist unser Produkt bei Enytime Green: eine App, in der mir jeden Tag angezeigt wird, wann das Auto geladen wird. Das funktioniert auch mit Wärmepumpen, Stromspeichern und bald Kühlschränken. Die müssen nicht alle zehn Minuten etwa kühlen, wie es momentan passiert. Die können auch mal eine Stunde durchkühlen und dann zwei Stunden lang nicht. Damit lässt sich ebenfalls sparen.
Das funktioniert aber nur im Eigenheim, oder? Ich kann in einem Mehrfamilienhaus nicht zum Stromversorger und Vermieter gehen und sagen: Ich möchte in meiner Wohnung bitte einen intelligenten Stromzähler haben.
Jein. Es hängt davon ab, wie viel Strom Sie verbrauchen. Bei Kunden mit einem Verbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden im Jahr bekommt man den Zähler automatisch. Ist der Verbrauch geringer und man bucht ab 2025 trotzdem einen dynamischen Tarif, kann man ein Smartmeter bestellen. Man zahlt 30 Euro hinzu, der Einbau muss innerhalb von vier Monaten erfolgen. Bei höheren Verbräuchen kann die Zuzahlung höher ausfallen.
6000 Kilowattstunden schaffen vermutlich nur Eigenheimbesitzer.
Der Markt beginnt mit den großen Verbrauchern, das sind logischerweise E-Autos, Wärmepumpen und stationäre Speicher. Die werden eher in einem Einfamilienhaus oder in Reihenhäusern verbaut, weil es dort einen Zugang zu PV und zur eigenen Wärmeversorgung gibt. Das sind 18 der rund 40 Millionen Haushalte in Deutschland. Für Stromversorger wäre es nicht sinnvoll, auf diese Kunden zu verzichten. Der Rest kommt schrittweise dazu. Das wird eine Weile dauern, aber wie erwähnt: Ich kann jeden smarten Kühlschrank optimieren. Das spart je nach Größe 30 bis 50 Euro im Jahr. Eines Tages wird es auch selbstverständlich sein, dass man sich zum Balkonkraftwerk einen kleinen Speicher in die Wohnung stellt. Es ist aber auch im Interesse der Versorger, dieses System möglichst schnell aufzubauen, denn bisher fehlt ihnen Kundenbindung. Die Menschen gehen auf Verivox oder Check24 und wählen den günstigsten Anbieter aus. Habe ich eine App und optimiere damit Auto, Wärmepumpe, Speicher und Kühlschrank und spare meinen Kunden Geld, werden die nicht wechseln.
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Im Juli gab es eine Panne an der Strombörse in Leipzig. Dort hat eine Kilowattstunde Strom plötzlich 2,30 Euro gekostet. Wie groß ist die Gefahr, dass sich solche Fehler wiederholen?
Dieser Softwarefehler hat einige Stunden angedauert. Am Ende war die Rechnung für die Kunden im Juli etwa 5 Euro höher. Das ist nicht tragisch, aber ärgerlich. Auch, weil die Rechnungen in dem Fall komischerweise nicht korrigiert wurden, obwohl man weiß, wer den Fehler gemacht hat. Umso wichtiger sind eigene Stromspeicher, die bei hohen Preisen einspringen. Damit wäre der Fehler spurlos an mir vorbeigegangen.
Die deutschen Stromversorger müssen dynamische Tarife ab 2025 anbieten. Ist der Umstieg schon geschafft?
Wir arbeiten mit Stadtwerken zusammen. Die beliefern 70 bis 80 Prozent der Menschen und betreiben dasselbe Geschäftsmodell wie vor 100 Jahren. Jetzt wird es plötzlich verändert: Für die genaue Messung müssen die IT-Systeme ertüchtigt und Gateways bereitgestellt werden. Die Stadtwerke müssen auch ein Energiemanagementsystem aufbauen und ihre Kundenkommunikation neu aufstellen. Muss man alles machen, landet man im mittleren fünfstelligen Bereich, größere Stadtwerke vielleicht im oberen. Das sind keine Summen, bei denen man sagt: Oh Gott, das geht nicht.
Das werden alle Stadtwerke schaffen?
Genau kann man bisher nur sagen: Die Veränderung ist in den Köpfen angekommen. Vor einem Jahr mussten wir noch erklären, was ein dynamischer Tarif ist; heute erklären wir, wie man den umsetzt. Erste Stadtwerke wie die Stadtwerke Münster gehen voran. Auf deren Website ist der dynamische Tarif bereits buchbar, damit wird aber noch keine Werbung gemacht. Man testet erst mal mit 20 oder 30 Stromzählern und guckt, welche Kinderkrankheiten es gibt. Danach fängt man an, zu skalieren.
Wie lange wird das dauern?
Der Markt läuft gerade hoch. Der Solarausbau ist deutlich über Plan, Wind ein wenig darunter. Im Schnitt erzeugen wir bereits fast 70 Prozent unseres Stroms mit Erneuerbaren und die Pipelines sind voll mit genehmigten Projekten, die noch gebaut werden müssen. Gleichzeitig explodiert der Speichermarkt gerade. Das nimmt also auch zu. Auf der Kundenseite, also bei den Stadtwerken, werden derzeit die IT-Systeme ertüchtigt. Es war ein langer Weg, aber wahrscheinlich werden wir Ende nächsten Jahres ein krasses Hochlaufen sehen.
Mit Ulrich Meyer sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
Anmerkung der Redaktion: Ursprünglich hieß es, dass die Smartmeter-Quote in Deutschland "zwischen 30 und 40 Prozent" liege. Das ist falsch, sie liegt zwischen 3 und 4 Prozent. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
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Quelle: ntv.de