Wohnungsboss erklärt Baukrise "Wir haben 20.000 Bauvorschriften - und jede einzelne kostet Geld"
19.10.2025, 15:17 Uhr Artikel anhören
Deutschland baut Wohnungen - aktuell sehr langsam.
(Foto: picture alliance / Karl Schöndorfer / picturedesk.com)
Die Ampel verspricht Deutschland 400.000 neue Wohnungen im Jahr, schafft aber nur 200.000 - ein Teilerfolg? Nein, sagt Lars von Lackum. Der Chef des Wohnungsunternehmens LEG kritisiert im "Klima-Labor" von ntv einen "überbürokratisierten Markt", der ihm zufolge auch durch hohe Energiestandards abgewürgt wird. "Die Zahl der Bauvorschriften hat sich vervierfacht und auch beim Dämmen muss man so ehrlich sein und sagen: Ein saniertes Produkt ist mit höheren Kosten verbunden." Der LEG-Chef hat jedoch einen Vorschlag, wie Deutschland sogar 600.000 Wohnungen im Jahr bauen kann. Ein Blick in die Nachkriegszeit reicht ihm zufolge aus - und mehr Mut beim Streichen von Vorschriften und Erteilen von Baugenhmigungen. Sein knallhartes Fazit: "Man kann nicht alle Interessen berücksichtigen."
ntv.de: Was genau macht die LEG?
Lars von Lackum: Wir sind die ehemalige Landesentwicklungsgesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, daher der Name. 2008 wurde die Gesellschaft aufgrund der anhaltenden Erfolglosigkeit in staatlicher Verwaltung privatisiert. 2013 sind wir an die Börse gekommen. Aktuell sind wir mit 170.000 Wohnungen Deutschlands zweitgrößtes Wohnungsunternehmen. Unser größter Aktionär ist Blackrock.

Lars von Lackum ist seit 2019 Vorstandsvorsitzender der LEG Immobilien SE.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein amerikanischer Asset Manager und Vermögensverwalter ist begeistert vom streng regulierten deutschen Wohnungsmarkt?
Er ist zumindest interessiert daran.
Aber mit einem Unternehmen wie LEG kann Blackrock doch gar kein Geld verdienen. Ihr Aktienkurs zeigt jedenfalls seit einiger Zeit eher nach unten.
Der Aktienkurs spiegelt vor allem die steigenden Zinskosten wider. Unsere Immobilien sind derzeit 20 Milliarden Euro wert. Diese 20 Milliarden erzielen derzeit einen Gewinn von etwa 200 Millionen Euro im Jahr, das entspricht einer Rendite von einem Prozent.
Viel ist das nicht.
Nein, und machen wir uns nichts vor: Wir konkurrieren weltweit um das Kapital von Firmen wie Blackrock, wir müssen uns gegen Hotels in Japan oder Rechenzentren in den USA behaupten. Das machen wir in Form einer Dividende. Unsere Dividendenrendite liegt derzeit bei 3,3 Prozent. Das spricht für unser kontinuierliches und langfristiges Geschäft. Deshalb investiert Blackrock bei uns.
Blackrock spekuliert nicht darauf, dass der deutsche Wohnungsmarkt durch den Bauturbo der schwarz-roten Koalition liberalisiert wird und sie mehr Geld über die Mieteinnahmen verdienen können?
Nein, der Fokus ist die Kontinuität. Unsere Mietzahlungsquote liegt bei mehr als 99 Prozent. Es kommt in Deutschland so gut wie nie vor, dass Mieter ihre Miete nicht zahlen. Das ist ein verlässliches Geschäft.
Sie sind aber trotzdem unglücklich mit Mietpreisbremse, Kappungsgrenze und auch den Energiestandards?
Ja. Die Mietpreisbremse schützt den neuen Mieter. Sie besagt, dass die Miete in angespannten Märkten wie Berlin nicht höher sein darf als die ortsübliche Vergleichsmiete plus 10 Prozent. Und die Kappungsgrenze schützt Mieter im Bestand. In Berlin dürfen Vermieter die Miete innerhalb eines Dreijahreszeitraums nicht mehr als 15 Prozent erhöhen.
Eine Art Inflationsdeckel?
Diese Regeln sollen sicherstellen, dass sie nicht durch Mieterhöhungen überfordert werden. Beides zusammen führt aber dazu, dass der Wohnungsmarkt sich selbst blockiert: Familien wohnen in zu kleinen Wohnungen, Senioren in zu großen.
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Wenn wir diese Regeln lockern, schaffen wir mehr Wohnraum?
Vermieten und Bauen muss sich lohnen. Dafür müssen die Vorschriften entschlackt werden - das gilt für die Mietpreisbremse, aber auch für die Bauvorschriften. Der Markt ist überbürokratisiert. Die Zahl der Bauvorschriften hat sich über die letzten 20 Jahre vervierfacht. Es waren mal 5000, jetzt sind es 20.000. Die waren gut gemeint, aber man muss kein Experte sein, um zu wissen: Das macht den Wohnungsbau nicht leichter oder günstiger. Jede dieser Vorschriften kostet Geld.
Was wurde dort ergänzt?
Ein Beispiel sind Zwischendecken. Die waren früher 14 Zentimeter dick. Jetzt müssen sie 24 Zentimeter dick sein, weil man dachte: Lärmdämmung führt zu größerem Wohlbefinden beim Wohnen. Das ist nicht falsch, aber wenn die Zwischendecke dicker sein soll, benötigt man mehr Stahl und Beton. Auch beim Dämmen muss man so ehrlich sein und sagen: Ein saniertes Produkt ist mit höheren Kosten verbunden.
Diese Kosten landen doch aber bei den Mietern.
Wenn wir eine Heizung austauschen, gehen wir in Vorleistung und können die Investition sukzessive über eine Modernisierungsumlage abrechnen. Die ist beschränkt auf 50 Cent pro Quadratmeter. Das ist die kostengünstigste Lösung und das klingt nicht viel, aber unsere Mieter zahlen im Schnitt 440 Euro kalt für eine 65-Quadratmeter-Wohnung. Das ergibt eine Durchschnittsmiete von knapp 7 Euro. Mit der Modernisierungsumlage landen wir also bei einer Kostensteigerung von 8 Prozent. Das muss man sich leisten können. Bei Vollsanierung steigt die Modernisierungsumlage auf 2 bis 3 Euro. Unsere Mieter wünschen sich in allererster Linie aber keine nachhaltige Wohnung, sondern eine bezahlbare.
Die idealerweise aber trotzdem nachhaltig ist.
Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, muss die Klimawende bezahlbar und nachhaltig sein. Sonst verlieren wir die Menschen.
Und diese Probleme hat die gesamte Branche?
Ja, unabhängig von der Eigentümerschaft. Sie können Wohnungen verstaatlichen, aber dann müssen sie Investitionen ebenfalls verzinsen, sonst baut niemand. Sie können auch sagen, der Wohnungsbau soll sich nicht verzinsen, aber gucken Sie sich Berlin an: Es gibt sieben kommunale Wohnungsbaugesellschaften und es wird trotzdem nicht genug gebaut.
Wie bewerten Sie die Situation aktuell? Die Ampel hatte sich vorgenommen, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. Derzeit stehen wir bei 200.000. Kann man sagen, die Hälfte ist geschafft?
Sie scheinen ein großer Optimist zu sein.
Für den Anfang klingt es jedenfalls nicht schlecht.
Wir haben aber auch schon 600.000 Wohnungen geschafft. Das war in den 90er-Jahren. Man kann beim Neubau also noch vieles besser machen, die Frage ist: Wie? Ein Problem wird durch den Bauturbo adressiert: Der sieht vor, dass Kommunen in Zukunft grundsätzlich innerhalb von drei Monaten Baugenehmigungen erteilen sollen - es gibt aber keinen Zwang.
Das ist dasselbe Prinzip wie bei der Genehmigung von Windrädern, auch der Wohnungsbau hat jetzt überragendes öffentliches Interesse?
Es geht in diese Richtung. Es wäre ein Riesenerfolg, wenn wir diesen Prozess beschleunigen können. Ich habe aus Berlin gehört, dass man manchmal 10 bis 15 Jahre auf eine Genehmigung warten muss. So schlimm ist es bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht, wir warten im Schnitt etwa sechs Jahre. Aber auch das ist zu lang.
Aber selbst mit einer schnellen Genehmigung ist noch nichts gebaut. Wenn ich Sie richtig verstehe, sind die Vorschriften und Energiestandards ein Problem, die Material- und Baukosten aber auch. Wie soll so günstiger Wohnraum entstehen?
Es sind zwei Herausforderungen. Der Zins hat sich in den vergangenen Jahren leider vervielfacht. Wir sind von Nullzinsen bei etwa 4 Prozent gelandet. Das ist eine Belastung. Ein weiteres Problem ist die Baukosten. Die steigen unter anderem durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine. Manche erinnern sich vielleicht noch an das Asowsche Stahlwerk, das dem Erdboden gleichgemacht wurde: Dort kamen 90 Prozent des Stahls für den deutschen Wohnungsbau her. Insgesamt sind die Baukosten in den vergangenen Jahren im zweistelligen Prozentbereich gestiegen.
Auf diese Entwicklungen kann die deutsche Politik schlecht Einfluss nehmen.
Sie verfügt aber über ein Instrument namens KfW.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau?
Die könnte vergünstigte Darlehen vergeben. Derjenige, der sie in Anspruch nimmt und baut, verspricht, dass er jahrzehntelang einen subventionierten Mietpreis anbietet. So ist Deutschland in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren wiederaufgebaut worden. Wir als LEG verfügen noch immer über 32.000 geförderte Wohnungen.
Sie bekommen günstiges Kapital und ihre Mieter günstigere Mieten?
Genau. Wenn wir gleichzeitig aus 20.000 Vorschriften wieder 5000 machen, bekommen wir sogar die Baukosten in den Griff. Das Schlimme ist doch: Jedes Bundesland hat eine eigene Landesbauordnung. Gebäude in Dülmen benötigen einen ganz anderen Brandschutz als in Greifswald. Warum? Ich weiß es nicht. Wir müssen dringend weg von dieser Kleinstaaterei. Wir benötigen einheitliche Regeln.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Länder freiwillig Kompetenzen abgeben werden.
Das kann ich nachvollziehen. Aber wenn wir Neubau wollen, müssen wir den hart priorisieren. Da müssen alle ran. Bund, Länder und vor allem die Kommunen. Wenn sie wie im Bauturbo geplant binnen drei Monaten eine Baugenehmigung erteilen sollen, brauchen sie mutige Menschen in Planungsämtern und Rathäusern. Man wird nicht alle Interessen berücksichtigen können.
Der Anwohner?
Zum Beispiel. Die Bebauungshöhe und der Schattenschlag sind ein beliebtes Thema. Man kann immer zuerst alle Anwohner fragen, aber irgendwer klagt immer. Wollen wir jedes Mal fünf bis zehn Jahre warten, bis die Gerichte über eine Baumaßnahme entschieden haben?
Und Sie sehen keine Gefahr, dass wir versehentlich die falschen Vorschriften aufheben?
Nichts im Leben ist ohne Risiko. Man wird sicher die eine oder andere Vorschrift streichen und dann feststellen: Mist, das war falsch. Aber aktuell befinden wir uns in einer Situation, in der gar nichts passiert. In den vergangenen Jahren haben viel zu viele Projektentwickler Insolvenz angemeldet. Wenn die weg sind, können wir gar nicht mehr bauen. Rettung tut not.
Mit Lars von Lackum sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de