Wirtschaft

Warnung vor Dogma der Effizienz "Dämmen ist unfassbar teuer und hat kaum Klimaeffekte"

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"Dämmen ist unfassbar teuer und hat kaum Klimaeffekte.", sagt Lars von Lackum.

"Dämmen ist unfassbar teuer und hat kaum Klimaeffekte.", sagt Lars von Lackum.

(Foto: picture alliance / Jochen Tack)

In Deutschland entsteht kaum noch Wohnraum, und wenn, dann teurer. Lars von Lackum macht unter anderem strenge Vorgaben beim Sanieren und Dämmen verantwortlich: "Die steigende Zahl der Bauvorschriften verursacht Mieterhöhungen, die sich unsere Mieter nicht leisten können", sagt der Chef des Wohnungsunternehmens LEG im "Klima-Labor" von ntv. "Der Hammer ist: Der Energieverbrauch sinkt um weniger als ein Prozent." Der LEG-Chef plädiert daher für einen anderen Ansatz, um den Gebäudesektor auf den Klimapfad zu bringen: "Zwei Drittel unserer Mieter wünschen sich in erster Linie keine nachhaltige, sondern eine bezahlbare Wohnung. Darüber sollten wir uns den Kopf zerbrechen."

ntv.de: Sie sind unglücklich mit den Vorschriften beim Wohnungsbau und auch mit den Energiestandards. Warum?

Lars von Lackum: Der Markt ist überbürokratisiert. Die Zahl der Bauvorschriften hat sich über die letzten 20 Jahre vervierfacht. Es waren mal 5000 Vorschriften, jetzt sind es 20.000. Die waren gut gemeint, aber man muss kein Experte sein, um zu wissen: Das macht den Wohnungsbau nicht leichter oder günstiger. Jede dieser Vorschriften kostet Geld.

Lars von Lackum ist seit 2019 Vorstandvorsitzender der LEG Immobilien SE. Der Duisburger Konzern besitzt 170.000 Wohnungen und ist damit Deutschlands zweitgrößtes Wohnungsunternehmen.

Lars von Lackum ist seit 2019 Vorstandvorsitzender der LEG Immobilien SE. Der Duisburger Konzern besitzt 170.000 Wohnungen und ist damit Deutschlands zweitgrößtes Wohnungsunternehmen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Was wurde dort ergänzt?

Zwischendecken waren früher 14 Zentimeter dick. Jetzt müssen sie 24 Zentimeter dick sein, weil man dachte: Lärmdämmung führt zu größerem Wohlbefinden beim Wohnen. Das ist nicht falsch, aber wenn die Zwischendecke dicker sein soll, benötigt man mehr Stahl und Beton. Das erhöht die Kosten, genauso wie die Vorgaben bei den Steckdosen.

Steckdosen?

Ja, in Deutschland muss eine bestimmte Zahl an Steckdosen verbaut sein. Das kann man regulieren. Ich weiß aber nicht, ob irgendwer jemals gesagt hat: Diese Wohnung nehme ich nicht, weil sie zu wenige Steckdosen hat. Inzwischen bauen wir Wohnraum in Deutschland für etwa 4000 Euro pro Quadratmeter, in Polen schaffen sie es für die Hälfte. Ich habe nicht den Eindruck, dass Neubauwohnungen in Polen deutlich anders aussehen oder schneller brennen als unsere.

Diese Vorschriften müssen wir entschlacken?

Die für den Klimaschutz bitte auch. Die Vorstellung, dass ein Gebäude erst dann energieeffizient und nachhaltig ist, wenn man es richtig dick in mehreren Lagen eingepackt hat, macht es enorm teuer. Davor darf man die Augen nicht verschließen.

Aber der Gebäudesektor ist einer von zwei großen Problembereichen bei unseren Klimazielen.

Die Frage ist doch: Was wollen wir eigentlich erreichen? Meiner Meinung nach wollen wir alle miteinander möglichst schnell klimaneutral werden - und zwar zu möglichst geringen Kosten. Unsere Mieter zahlen im Schnitt 440 Euro kalt für eine 65-Quadratmeter-Wohnung.

Das wäre ein super Preis in Berlin.

Das ist auch ein super Preis in Nordrhein-Westfalen. Zwei Drittel unserer Mieter wünschen sich in allererster Linie aber keine nachhaltige Wohnung, sondern eine bezahlbare. Deswegen sollten wir uns wirklich den Kopf darüber zerbrechen, mit welchen Maßnahmen wir die höchste CO2-Reduktion bei möglichst geringen Kosten erreichen.

Gerade beim Dämmen sagt man doch aber: Wird es richtig gemacht, braucht man gar keine Heizung mehr.

Das stimmt so leider nicht. Dämmen ist unfassbar teuer und hat kaum Klimaeffekte. Der Verband der Wohnungswirtschaft (GDW) hat das untersucht: Zwischen 2010 und 2022 haben wir pro Jahr 45 Milliarden Euro fürs Dämmen ausgegeben.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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45 Milliarden Euro?

Ja. Im Bestand für Mehrfamilienhäuser. Der Hammer kommt aber noch: Der durchschnittliche Energieverbrauch ist dadurch lediglich von 131 Kilowattstunden pro Quadratmeter auf 129 Kilowattstunden gesunken. Bitte nicht falsch verstehen, wir verfolgen dasselbe Ziel, aber dieses Ergebnis zeigt: Wir müssen uns dringend Gedanken machen, ob dieser Ansatz zum Erfolg führt.

Die Ersparnis beträgt weniger als ein Prozent? Da ist doch irgendetwas falsch gelaufen.

Ein Problem ist das Nutzerverhalten.

Die Leute heizen, obwohl gedämmt wurde?

Jein. Beim Dämmen bauen wir zum Beispiel aufwendige technische Gebäudeausstattung wie automatische Belüftungen in der Deckenfläche ein. Auf diese Weise wird Frischluft zugeführt, aber das Klackern der Lamellen stört viele Menschen. Deshalb stecken sie manchmal einen Stift rein, dann bewegen sich die Lamellen nicht mehr. Das führt aber im Winter dazu, dass die Mieter in ihre Wohnung kommen und denken: Oh, die Luft ist komisch. Dann öffnen sie das Fenster - und um nicht zu frieren, drehen sie den Heizkörper auf.

Aber dann ist doch nicht das Dämmen das Problem, sondern fehlende Aufklärung.

Ich wäre mir nicht so sicher. Entscheidend sind letztlich die Kosten pro reduzierter Tonne CO2. Eine Vollmodernisierung umfasst Dach, Zwischendecken, Fassade und Fenster. Dort liegen wir bei 1000 bis 1500 Euro Vermeidungskosten pro Tonne CO2. Ist das die kostengünstigste Möglichkeit?

Wahrscheinlich nicht?

Ich klinge jetzt wie ein Schlaumeier, aber: Nein, ist es nicht. Und diesen Kosten stehen Mieterhöhungen gegenüber, die sich unsere Mieter einfach nicht leisten können. Das haben wir in den vergangenen Jahren deutlich gemerkt. Für einen nachhaltigen Bestand benötigen wir andere Ideen, schlauere Thermostate oder Heizungsanlagen zum Beispiel.

Und die Vorgaben beim Dämmen schrauben wir zurück?

Wir müssen uns auf jeden Fall aus diesem Dogma der Energieeffizienz befreien, denn das hilft nicht. Nehmen Sie Energieausweise. Die sollen anzeigen, wie viel Energie ein Haus benötigt. Alle verlassen sich darauf, aber die sind generell falsch. Wenn Sie vier Energieberater fragen, bekommen Sie vier unterschiedliche Ergebnisse - mit einer riesigen Schwankung: Ein Haus der Effizienzklasse C könnte genauso gut Klasse A sein.

Warum?

Weil Energieberater unterschiedliche Ansätze haben, wie sie Fenster und Dämmung bewerten. Dabei gibt es Spielräume, die ganz unterschiedliche Energieausweise ergeben. Deshalb schauen wir als LEG in der Regel nicht auf den geschätzten Bedarf der Energieausweise, sondern nehmen die Abrechnung der Versorger und berechnen, wie viel CO2 tatsächlich ausgestoßen wurde. Dann wissen wir: Haben wir die Emissionen reduziert oder nicht?

Aber das Haus wird trotzdem gedämmt?

Ja, aber eben nicht wie derzeit vorgeschrieben mit Sommerjacke, Herbstjacke und Winterjacke. Wenn man die Fenster saniert, die Dachgeschossdecke, die Kellerdecke und eventuell die Türen, haben wir Wohnkomfort hergestellt. Das ist gemütlich und kuschelig.

Und damit sinken dann auch die Kosten für die Mieterinnen und Mieter?

Nein. Aber wenn wir es so machen, steigen sie weniger stark an. Auch Investitionen in den Klimaschutz müssen sich verzinsen, so ehrlich müssen wir sein: Ein nachhaltiges, saniertes Produkt ist mit höheren Kosten verbunden.

Mit Lars von Lackum sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

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Quelle: ntv.de

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