Arbeit an Impfung gegen Krebs Wann die Biontech-Gründer mit einem Durchbruch rechnen
02.01.2023, 08:43 Uhr (aktualisiert)
Ein Impfstoff gegen Krebs ist das Ziel der Biontech-Gründer Sagin.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Impfung gegen das Coronavirus war für sie nur eine Etappe zu einem größeren Ziel: den Krebs zu bezwingen. Im Podcast "Eine neue Medizin – die Biontech-Story" erzählen die Mediziner Özlem Türeci und Uğur Şahin von ihren Plänen.
Uğur Şahin, der Gründer des Mainzer Unternehmens Biontech, führt einen Kampf gegen eine Zahl. Die Zahl lautet: 229.068. So viele Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland an einer Krebserkrankung gestorben, an Magenkrebs, Hautkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs. Fast 230.000 Menschen. Şahin weiß, dass er diese Zahl nicht auf null drücken kann. Aber die Zahl soll schrumpfen. "Ich glaube, dass wir Krebserkrankungen im Frühstadium besiegen können", sagt Şahin im "Stern"-Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story".
Einen Impfstoff gegen Krebs zu finden, mit diesem Ziel hat das Forscherpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci 2008 die Firma Biontech gegründet. Dass sie mit einem Impfstoff gegen das Coronavirus bekannt wurden - ungeplant. Wann also wird es den ersten Impfstoff gegen Krebs geben? Und welche Patientinnen und Patienten könnten als Erstes von ihm profitieren?
Immunsystem umleiten
Eines haben Impfungen gegen Krebs und Infektionskrankheiten wie Covid-19 oder die Grippe gemeinsam: Sie sollen das Immunsystem aktivieren. Die meisten Impfungen wirken vorbeugend, also bevor der Körper mit einem Erreger in Kontakt kommt. Eine Krebsimpfung dagegen würde als Therapie eingesetzt werden, wenn bereits Krebszellen im Körper sind. Sie richtet sich nicht gegen einen Eindringling von außen, sondern einen Feind von innen.
Dass unser Immunsystem die Kraft besitzt, Krebszellen zu bekämpfen, daran besteht kein Zweifel. "Wenn man als Mediziner mal eine Organabstoßung miterlebt, wird sofort klar, wie potent das Immunsystem ist", sagt Özlem Türeci. Nach kurzer Zeit sei von dem transplantierten Organ nichts mehr übrig. Die Mechanismen des Immunsystems im Kampf gegen Eindringlinge oder vermeintliche Fremdkörper seien über Jahrtausende verfeinert worden. "Und wir glauben fest daran, dass wir das gegen Krebs umleiten können."
Einen Impfstoff gegen Krebs zu entwickeln, ist allerdings schwieriger als gegen Covid-19. Schon seit mehr als 20 Jahren arbeitet das Gründerpaar an dieser Aufgabe, und noch immer ist kein Krebsimpfstoff zugelassen. Das hat auch damit zu tun, dass Krebs eine Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen beschreibt - und die Tumore von zwei Patienten niemals gleich aussehen.
"Krebszellen sind Meister im Tarnen"
Die größte Schwierigkeit besteht darin, dem Immunsystem beizubringen, was an einer Krebszelle fremd ist. Die Zellen entstammen schließlich - anders als Viren oder transplantierte Organe - dem eigenen Körper. Außerdem weisen sie zahlreiche Tricks auf, um dem Immunsystem zu entkommen und sich weiter teilen zu können. "Krebszellen sind Meister im Täuschen und Tarnen", sagt die Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover.
Die schnellste Impfstoffentwicklung aller Zeiten rettet Millionen Menschen das Leben und kommt von einem bis dahin unbekannten Mainzer Unternehmen. Der Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story" erzählt, wie dem Gründer-Ehepaar Uğur Şahin und Özlem Türeci nach drei Jahrzehnten Forschung mit einem mRNA-Impfstoff während der Corona-Pandemie der Durchbruch gelingt und, was sie als Nächstes planen: Therapien gegen HIV, Tuberkulose und Krebs - und vielleicht sogar eine, um das Altern zu stoppen. Jetzt bei RTL+ Musik.
Für eine Krebsimpfung suchen Biontech und andere Firmen nach Merkmalen auf der Oberfläche von Krebszellen, die sie von gesunden Zellen unterscheiden. Weil die Zellen einer bestimmten Krebsart auch von einem zum anderen Patienten anders aussehen, sollen bestimmte mRNA-Krebsimpfungen künftig sogar maßgeschneidert angefertigt werden. Die identifizierten Merkmale dienen dann als Grundlage für die mRNA-Impfung. So lernt das Immunsystem, welche Zellen es angreifen soll und welche nicht. Die Schwierigkeit liegt in der Wahl der passenden Merkmale - die Immunologin Falk nennt das die "hohe Kunst".
In der Medizingeschichte wurde schon oft die Hoffnung auf ein baldiges Ende von Krebs geschürt. 1971 verkündete der amerikanische Präsident Richard Nixon den National Cancer Act. Das Ziel: Krebs innerhalb des folgenden Vierteljahrhunderts zu heilen. Weitere Versprechen folgten, doch erfüllt wurden sie nicht. Krebs war im vergangenen Jahr die Todesursache Nummer zwei in Deutschland, hinter Herz- und Kreislauferkrankungen.
Chemotherapien kann wohl nicht ersetzt werden
Wenn Şahin über seine Ziele spricht, ist er deshalb vorsichtig. Er unterscheidet zwischen Krebs im Frühstadium und fortgeschrittenen Tumoren. Im Frühstadium werde man den Krebs, nach einer operativen Entfernung, besiegen können. "Da muss unsere Zielsetzung sein, dass wir von 60 auf 99 Prozent kommen", sagt er im Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story". Anders sehe es bei ausgedehnten Tumoren aus. "Da geht es um zweistellige Milliardenzahlen von Tumorzellen, die alle unterschiedlich sind." Hier laute das Ziel, den Tumor so lange wie möglich zu kontrollieren. Özlem Türeci ergänzt: "Ich glaube nicht, dass wir Chemotherapien ganz ersetzen werden. Wir werden mit der Zeit entdecken, wie wir sie besser einsetzen können, ihre Synergie nutzen können mit hochpräzisen Medikamenten."
Ob Krebsimpfstoffe das Überleben von Patienten auch mit fortgeschrittenen Tumoren entscheidend verlängern können, müssen Studien erst noch überzeugend belegen. Manche Fachleute befürchten, dass die Krebszellen der Immunabwehr nach ersten Therapieerfolgen entkommen könnten. Das Problem: Das Erbgut des Tumors ändert sich stetig. Es könnten sich Zellen mit neuen Merkmalen bilden, die von den Abwehrzellen nicht mehr erkannt werden.
Erste Studien stimmen jedoch hoffnungsfroh. Am weitesten fortgeschritten ist ein mRNA-Impfstoff gegen den schwarzen Hautkrebs, auch Melanom genannt. Er könnte als erster auf den Markt kommen. An einem Melanom, einem unkontrollierten Wachstum von Pigment-Zellen in der Haut, versterben jedes Jahr Tausende in Deutschland. Biontech testet einen Impfstoff gegen diese Krebsart bereits in einer fortgeschrittenen Studie an Patienten. Ergebnisse könnten im nächsten Jahr vorliegen.
Studienphasen könnten bis zu zehn Jahre dauern
Auch der US-Mitbewerber Moderna arbeitet zusammen mit dem Pharmakonzern MSD an einem ähnlichen Medikament. Vor einigen Wochen veröffentlichte er hoffnungsvolle Zwischendaten: In einer Studie wurde einem Teil der 157 Patienten ein spezieller Krebs-Impfstoff zusammen mit einem weiteren Krebsmedikament gegeben, einem sogenannten Checkpoint-Inhibitor. Die anderen Patienten bekamen nur den Checkpoint-Inhibitor. Die Kombination verringerte die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens des Melanoms oder gar des Todes des Patienten um fast die Hälfte. Für das kommende Jahr möchten die Firmen mit der für eine Zulassung entscheidenden Phase-3-Studie beginnen.
Während die Wirksamkeitsstudien beim Impfstoff gegen das Coronavirus nach einigen Monaten abgeschlossen waren, dauern sie bei Krebsimpfstoffen naturgemäß länger. Das liegt daran, dass die Behandlungs- und Nachbeobachtungszeiten bei Krebserkrankungen länger sind. Um sicherzugehen, dass der Krebs nicht zurückkommt, müssen die Forschenden die Patienten mehrere Jahre beobachten. Zusammengenommen können die Studienphasen daher bis zu zehn Jahre dauern.
In Zukunft wird das bezahlbar werden
Biontech-Chef Şahin hat wiederholt gesagt, der erste Krebsimpfstoff komme noch in diesem Jahrzehnt auf den Markt. Dem britischen Sender BBC sagte er kürzlich, er rechne mit einer Zulassung "vor dem Jahr 2030". Auf eine genaue Jahreszahl möchte er sich nicht festlegen. Klar ist, dass es nicht bei einem Medikament bleiben soll; neben Biontech werden voraussichtlich auch andere Hersteller auf den Markt drängen. "Wir sind davon überzeugt, dass in 15 Jahren ungefähr ein Drittel aller neu zugelassenen Medikamente auf mRNA beruht", sagt Türeci.
Bleibt noch die Frage: Wie teuer wird die neue mRNA-Medizin? Kann sie unser Gesundheitssystem überlasten? Die Erfahrung zeigt: Je stärker eine Therapie auf einen Patienten zugeschnitten ist, desto teurer wird sie. Für maßgeschneiderte Car-T-Zelltherapien, bei denen Immunzellen von Krebspatienten auf komplizierte Weise umprogrammiert werden, werden beispielsweise mehrere Hunderttausend Euro verlangt.
Biontech zielt bei den Krebsimpfungen auf einen deutlich niedrigeren Preis ab, nennt aber keine konkrete Zahl. Stattdessen verweist Şahin darauf, dass man neben den Impfstoffen an sich auch deren Herstellung weiterentwickele. Mit jeder neuen Anlagengeneration würde mehr automatisiert, und es sänken die Kosten pro Dosis. Zu Beginn hätte es rund 350.000 Euro gekostet, den Impfstoff für einen einzigen Patienten herzustellen. Dann komme sofort die Diskussion auf, ob das bezahlbar sei, sagt Uğur Şahin: "Und die Antwort ist: jetzt noch nicht. Aber in Zukunft wird das bezahlbar werden."
(Dieser Artikel wurde am Freitag, 30. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de