Auto

Noch bevor er richtig begann Aus für Pick-ups in Europa

Das prominenteste Opfer unter den Pick-ups ist wohl die Mercedes X-Klasse. Viel hatte man sich in Stuttgart von dem Nissan-Navara-Klon erhofft.

Das prominenteste Opfer unter den Pick-ups ist wohl die Mercedes X-Klasse. Viel hatte man sich in Stuttgart von dem Nissan-Navara-Klon erhofft.

(Foto: Mercedes)

Noch vor wenigen Jahren galten Pick-ups als die kommenden SUV. Hersteller brachten schnell ihre Lifestyle-Pritschenwagen in Stellung, um für den vorausgesagten Boom gerüstet zu sein. Doch es kam anders als gedacht. Und dennoch gibt es am Ende einen Gewinner.

Irgendwie hatte die Autoindustrie die Idee, dass der Pick-up, ähnlich wie in den USA, ein stylischer Ersatz für das SUV werden könnte. Und die Hersteller waren mit dem Gedanken nicht allein. Auch die Fachjournalisten sahen die Arbeitstiere bald in großer Zahl auf den Straßen Europas. Doch noch ehe der Pick-up-Boom richtig beginnen konnte, ist er unterdessen auch schon wieder vorbei. Die Neuzulassungszahlen der Pritschenwagen sind eingebrochen und viele Hersteller ziehen ihre Modelle vom Markt zurück. Dabei waren sie erst vor wenigen Jahren mit großem Optimismus gestartet.

Der Toyota Hillux erfreut sich weltweit großer Beliebtheit. Nur in Europa nicht.

Der Toyota Hillux erfreut sich weltweit großer Beliebtheit. Nur in Europa nicht.

(Foto: Toyota)

Das wohl prominenteste Opfer unter den Hoffnungsträgern ist die Mercedes X-Klasse. Nach gerade einmal drei Jahren Bauzeit lief bereits im Mai 2020 das letzte Exemplar des gemeinsam mit Nissan gebauten Allraders vom Band. Zuvor hatten die Stuttgarter bereits den eigentlich geplanten Markteintritt in Südamerika gestrichen. Zu gering war hier wie dort das Interesse der Kunden an dem Sternenträger mit Ladefläche. Was möglicherweise auch an der optimistischen Positionierung gelegen haben könnte - die X-Klasse präsentierte sich als edle Alternative zu den vergleichsweise schmucklosen Arbeitstieren der Konkurrenz. Und wollte sich das auch entsprechend bezahlen lassen. Was die potenzielle Pick-up-Kundschaft dann aber eher verschreckte als lockte.

Startschuss fiel vor zehn Jahren

Dabei schien die Europäisierung des Pick-ups nicht nur für Daimler eine gute Idee. Vor gut einem Jahrzehnt starteten gleich mehrere Hersteller eine Pritschenwagen-Offensive: angeführt von VW mit dem Amarok drängten neben dem Mercedes auch der Renault Alaskan und der Fiat Fullback in das zuvor kleine Segment. Beherrscht wurde es von wenigen Platzhirschen, zu denen vor allem die asiatischen Modelle Nissan Navara, der übrigens die Grundlage für die Mercedes X-Klasse bildete, Mitsubishi L200 und Toyota Hilux zählten. Diese mittelgroßen Pritschenwagen im Ein-Tonnen-Segment waren und sind vor allen in Südostasien populär. Dass sie auch in Europa ein paar Fans fanden, war eher ein angenehmer Nebeneffekt für die Hersteller.

Der Nissan Navara bildete die Grundlage für die Mercedes X-Klasse. Nur war er viel preiswerter als der Bruder aus Stuttgart.

Der Nissan Navara bildete die Grundlage für die Mercedes X-Klasse. Nur war er viel preiswerter als der Bruder aus Stuttgart.

(Foto: Nissan)

Anfang des Jahrtausends weckte die kleine, aber stabile Kundschaft aus Handwerkern und Freizeitsportlern zunehmend das Interesse der europäischen Hersteller. So hielt man den Zeitpunkt für gekommen, um einen Versuch zu starten, die exotische Fahrzeugklasse auch hierzulande zu etablieren: SUV und Geländewagen waren populär wie nie, präsentierten sich aber zunehmend weichgespült, ließen zunehmend den Charakter des harten Geländewagens vermissen. Der Pick-up mit seinem robusten Leiterrahmen, dem bulligen Auftritt und der Abenteuer-Aura sollte in die Lücke stoßen, die die SUV offen ließen.

Vorbild USA

Vorbild waren die in den USA populären Full-Size-Pick-ups. Nicht nur technisch, sondern vor allem kommerziell. Die eher einfach konstruierten, dafür schwer motorisierten Trucks sind wahre Margen-Raketen. Ford etwa verdient weltweit an keinem Modell mehr Geld als an seinem Pick-up F-150. Bei den Konkurrenten Chevrolet Silverado und dem Ram von Dodge sieht es ähnlich aus. Und das, obwohl die US-Bestseller vor Ort eher zu den günstigen Autos für preissensible Kunden zählen.

Der VW Amarok wird in Zukunft von Ford gebaut.

Der VW Amarok wird in Zukunft von Ford gebaut.

(Foto: VW)

In Europa ging das Konzept nicht auf. Auch wenn X-Klasse und Co. mit gut fünf Metern Länge deutlich kompakter sind als ihre amerikanischen Verwandten, stießen sie vor allem in Altstädten, Parkhäusern und selbst auf Baumarkt-Parkplätzen schnell an Platzgrenzen. Ihre praktischen Vorteile konnten sie im Gegenzug häufig nicht ausspielen: Die Ladefläche ist vielleicht für Rindenmulch oder den Quad-Transport geeignet, der Wochenendeinkauf hingegen muss umständlich festgezurrt und gegen möglichen Regen geschützt werden.

Als Alltagsfahrzeug, das der Pick-up in vielen Regionen der USA ist, taugt er hierzulande kaum. Dazu kommen ein gelegentlich ruppiges Fahrverhalten, ein recht hoher Spritverbrauch und ein nicht eben dezenter Auftritt. Nicht zuletzt haben die durstigen und raumgreifenden Allrader zunehmend ein Problem mit der sozialen Akzeptanz bekommen, vor allem dort, wo sie nicht als Nutzfahrzeuge, sondern als Lifestyle-Fahrzeuge eingesetzt werden.

Einbruch der Verkaufszahlen

Auch Fiat versuchte mit dem Fullback ein Pick-up in Europa zu platzieren.

Auch Fiat versuchte mit dem Fullback ein Pick-up in Europa zu platzieren.

(Foto: Fiat)

Und so ließen die Verkaufszahlen bald zu Wünschen übrig. Stieg der Absatz in Europa laut der Beratungsagentur Inovev von rund 50.000 Einheiten im Jahr 2013 innerhalb von fünf Jahren noch auf 114.000 Fahrzeuge, geriet der Absatz anschließend ins Stocken. Schon ein Jahr später fanden nur noch 105.000 Autos einen Käufer, im Corona-Jahr 2020 sanken die Zulassungen auf 75.000 Einheiten. Und obwohl sich der Markt in Europa zuletzt wieder erholt hat, rollten auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres kaum 50.000 neue Einheiten auf die Straße. Angesichts des gewachsenen Angebots war das auch aus wirtschaftlicher Sicht deutlich zu wenig: Zwischenzeitlich mussten sich ein gutes Dutzend unterschiedlicher Modelle die wenigen Interessenten teilen.

Neben Mercedes reagierten auch die anderen Hersteller. Der Renault Alaskan ist ebenso verschwunden, wie der Fiat Fullback. Und selbst der Nissan Navara soll künftig auf dem Kontinent nicht mehr angeboten werden. VW, als Vollsegments-Anbieter, mit starker Südamerika- und Asien-Präsenz eigentlich prädestiniert für einen Pick-up, lässt die nächste Generation des Amarok von Ford bauen. Deren Ranger dürfte zu den wenigen Gewinnern des Pritschenwagen-Abschwungs zählen, muss er sich den Europa-Markt doch künftig wieder mit weniger Konkurrenten teilen. Denn einen kleinen Markt für die robusten Pritschenwagen gibt es hierzulande weiterhin.

Quelle: ntv.de, Holger Holzer, sp-x

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