"Gotta find me an Angel"Gute Reise, Aretha!

Es gibt nicht viele, bei denen nur die Erwähnung des Vornamens für Gänsehaut und einstimmiges Kopfnicken ob ihrer Großartigkeit sorgt: Marilyn gehört dazu. Elvis und Nelson. Auch Amy. Und natürlich Aretha. Aretha Franklin. Die Musikwelt weint.
1973: "Gotta find me an angel, to fly away with me/Gotta find me an angel, and set me free (...) Gotta find me an angel in my life/In my life I know there must be someone, somewhere for me."
Wie jede andere Person war auch Aretha Franklin auf der Suche nach dem Menschen, der ihre andere Hälfte sein könnte. Der fehlende Teil. Das, was ein Mensch zum Glück braucht. Und deswegen singt sie in "Angel", den für viele allerschönsten Song der Soul-Göttin, den Fernando Lamas Saunders für sie geschrieben hat, davon, auf der Suche nach einem Engel zu sein, diesem Engel, der mit ihr davonfliegt, der sie befreit.
Denn sie weiß, da muss jemand sein, irgendwo, nur für sie, der auf sie wartet und der zu ihr passt. Nun ist sie davon geflogen, und wer weiß, wie viele Engel ihr auf ihrem weiteren Weg begegnen werden. Aretha Franklin ist von uns gegangen, sie starb im Alter von 76 Jahren in Detroit an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie hat gekämpft. Schon immer und nun ganz besonders, gegen eine Krankheit, die nach wie vor so viele Menschen zu früh dahinrafft, Menschen, die der Welt noch so viel hätten geben können.
Einfach war diese Suche nach Liebe und Anerkennung für Aretha Franklin Zeit ihres Lebens wohl nicht. Sie war zwei Mal verheiratet und hat vier Kinder - ob sie deswegen glücklich war? Man munkelt, mit den Männern sei es kompliziert gewesen. Die Liebe ihrer Fans hingegen war ihr immer sicher. Egal, ob sie gut drauf war oder schlecht, ob sie dicker oder dünner war, jünger oder älter - Aretha Franklin ist und bleibt unantastbar.
We say a little Prayer
Denn das - einen Mann haben oder nicht - ist ja nicht der einzige Faktor, der eine Frau glücklich oder unglücklich machen kann. Aretha Franklin hatte so viel mehr, und sie hatte vor allem eines: die Stimme eines Engels. Nicht die eines blassen, blutleeren, ätherischen Engels, den man sich gemeinhin so vorstellt, wenn man an "Engel" denkt. Nein, gemeint sind hier die Engel, die Wucht und Wumms haben und die ihre geradezu überirdische Power dafür einsetzen, Gutes zu tun. Das ist Aretha Franklin auf jeden Fall gelungen.
Messen kann man das, indem man sich anschaut, wie viele Preise sie gewonnen und wie viele Alben sie verkauft hat. Sehen kann man das, wenn dein Gegenüber feuchte Augen bekommt, weil Aretha singt. Fühlen kann man das selbst, wenn man sie hört. Zum Glück können wir sie weiterhin anhören, denn ihre Musik lebt ja weiter.
Einen Grammy nach dem anderen sackte Franklin ein, während sie mit Titeln wie "Respect", "Chain Of Fools" und "I Say a Little Prayer" eine immer größere Gefolgschaft fand. 18 Grammys wurden es insgesamt. Ihre Songs haben längst ein Eigenleben entwickelt und gehören in Playlisten bei Protestmärschen, Werbeagenturen, Karaoke-Bars und Best-of-Abenden. Dass Franklin diese Hits oft nicht selbst schrieb, sondern sie einfach unfassbar bewegend einsang, interessierte dabei die wenigsten.
So war es bei der Ballade "(You Make Me Feel Like) A Natural Woman" von Songschreiberin Carole King. Franklin brachte mit dem Titel Weihnachten 2015 im Kennedy Center sogar den damaligen US-Präsidenten Barack Obama, zu dessen Amtseinführung 2009 sie vor mehr als einer Million Menschen gesungen hatte, zum Weinen. Auch Carole King war völlig fassungslos, als die Diva im Pelzmantel am Flügel des Kennedy Center Platz genommen hatte. Franklins eindringliches Klavierspiel wurde wegen ihrer voluminösen Stimme oft unterschätzt oder kaum wahrgenommen.
Als Franklin 1967 Otis Reddings "Respect" einsang, setzte sie sich damit nicht nur für acht Wochen auf den ersten Platz der R&B-Charts, sondern an die Spitze der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Für viele wurde Franklin ein Symbol für ein politisch turbulentes Jahrzehnt und für ein schwarzes, selbstbewusstes Amerika. "Dieses Mädchen hat diesen Song von mir gestohlen", sagte Redding, der im Dezember 1967 starb, in einem 2001 ausgestrahlten TV-Beitrag über "Respect". An den Millionenverkäufen der Single verdiente er allerdings ordentlich mit.
Diva? Soul-Queen? Legende!
Und auch außerhalb der Musik hat sie ihren Fußabdruck hinterlassen: "Was eine Diva für mich ausmacht, sind nicht nur erfolgreiche Platten, sondern das, was sie gibt, ihr Beitrag zum Gemeinwohl", erzählte sie n-tv.de 2014 anlässlich der Album-Veröffentlichung von "Diva". Klar, dass wir mit ihr auch über die Definition der Diva gesprochen haben: "Nun, das ist ein weites Feld. Der Begriff stammt aus der klassischen Musik, wo die Sängerinnen als Diven bezeichnet wurden. Später wanderte das Wort in die Popmusik", so Franklin. "Wenn man von einer Diva spricht, dann meint man eine moderne, zeitgenössische Sängerin mit hervorragender Stimme. Ich denke also, jemanden Diva zu nennen, sollte stets ein Kompliment sein."
So und nicht anders wird es in ihrem Falle auch immer gemeint gewesen sein, aber: "Das Wort wird meist abwertend gebraucht. Eine Künstlerin, die etwas, sagen wir, viel Temperament besitzt, wird als Diva bezeichnet." Und dabei war sie doch höchstens auf der Bühne eine Diva - Mrs. Franklin kochte schließlich gerne selbst. Sie wisse am besten, was und wie sie es will, erklärte sie n-tv.de damals. Und: "Ich bügele alle meine Klamotten selbst. Ich wasche auch selbst. An meine Wäsche kommt sonst niemand."
"Frauen kommen nach vorne"
Aretha Franklin hinterlässt eine große Familie - ihre eigene und die der Musik. Und sie hinterlässt ein gigantisches Vermächtnis. Musik und eine große Botschaft für Frauen, vielleicht sogar speziell für junge Künstlerinnen: "Frauen haben einen sehr, sehr weiten Weg zurückgelegt. Nach meiner Meinung haben es die Frauen längst geschafft, die sogenannte Gläserne Decke zu durchbrechen. Ich kenne genügend Frauen in vorderster Position in ihren Unternehmen. Also, bei uns im Westen, ist das meiste erreicht", resümierte die Legende im Interview. Aber: "Jetzt geht es um die Frauen auf anderen Kontinenten, die bis heute darunter leiden, keine Gleichberechtigung, geschweige denn Unabhängigkeit erlangt zu haben. Frauen gehören und kommen nach vorne."
Solche Künstlerinnen, solche Frauen wie Aretha Franklin, sie sterben nun aus. Und was bleibt uns? Die Erinnerungen. Die Erinnerungen an eine "Queen of Soul" - eine Bezeichnung, die ihr viel besser gefiel als das immer leicht zickig wirkende, bereits erwähnte Wort "Diva": "Das ist ein unvorstellbares Kompliment. "Sie verstehen sicher, dass ich mich nicht selbst als Legende bezeichnen mag", so Franklin im Interview, "aber wenn die Menschen das tun, ehrt mich das. Es gibt kein besseres Gefühl, als wenn Menschen das wertschätzen, was man macht."
Das tun wir, versprochen! Jetzt hören wir uns Aretha an, mit dem Wissen, dass ein "Angel" von uns gegangen ist, wir weinen, wir singen, wir sind untröstlich. Zyniker finden, dass jeder Mensch ersetzbar ist. Nein, dem ist nicht so. Weder im kleinen, privaten Bereich, noch im großen, der die Bühnen der Welt reicher macht. Wir sind nun ärmer. Und wir müssen lernen, mit dem Verlust umzugehen. Der frühere US-Präsident Bill Clinton sagte schon vor einiger Zeit: "Mehr als 50 Jahre lang hat sie unsere Seelen berührt." Und es werden mindestens nochmal 50.