Unterhaltung

"Tod meiner Jugend"Timo Jacobs' erhellender Film über Missbrauch

22.11.2025, 18:28 Uhr
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Timo Jacobs glaubt daran, dass man ein Trauma wahrscheinlich nie vollständig auflösen, aber lernen kann, damit zu leben. (Foto: IMAGO/APress)

Nach seiner schräg-lakonischen Komödie "Hochstapler und Ponys" legt Independent-Regisseur und Schauspieler Timo Jacobs mit "Tod meiner Jugend" einen radikalen Genre- und Stimmungswechsel hin. Mit ntv.de spricht der gleichwohl entspannte als auch rastlose Norddeutsche über Schmerz, impulsive Urviecher und Wahrhaftigkeit.

"Tod meiner Jugend" ist ein Film über Mobbing, Gewalt und sexuellen Missbrauch – beruhend auf einer wahren und erschütternden Geschichte. Jacobs erzählt das Leben des realen Kai Peter gleichzeitig komplex-aufgefächert und bodenständig. Dafür findet er eine eigene, rohe und berührende Form – und unternimmt gleichzeitig noch einen Ausflug in die künstlerische Aufarbeitung von Trauma, ausgerechnet auf der Comedy-Bühne. Ein im besten Sinne ungeschliffener, bewegender Film. Mit ntv.de spricht Jacobs über dieses Herzensprojekt, das bereits Preise gewonnen hat, aber noch keinen Starttermin.

ntv.de: Ist es eine gute Idee, an die Stätten seiner Kindheit zurückzukehren, wenn die Kindheit von Missbrauch geprägt war?

Timo Jacobs: Ich bin kein Therapeut, aber soweit ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, läuft Traumabewältigung oft so, dass man sich mit dem auseinandersetzen könnte, wo das Problem ursprünglich herkommt. Wenn jemand Höhenangst hat, müsste er vielleicht irgendwann mal hoch – jedenfalls in manchen Therapieansätzen. Und wir gehen in dem Film eben in die alte Heimat zurück. Ein Trauma kann man wahrscheinlich nie vollständig auflösen, aber man kann lernen, es zu integrieren und damit zu leben.

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Passt in keine Schublade, herrlich. (Foto: IMAGO/Eventpress)

Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, und der Hauptprotagonist, Kai Peter, geht auf die Bühne, um Comedy zu machen. Das wirkt erst mal etwas absurd …

Ich denke, Menschen, die innerlich viel spüren oder verarbeiten, witzeln oft über alles. Viele der lustigsten Menschen auf der Bühne tragen privat etwas Schweres mit sich – und gerade darin liegt oft ihre Stärke: Schmerz in etwas Verbindendes zu verwandeln. Das ist einfach seine Art, mit den Dingen umzugehen. Seine Frau bringt ihn ja überhaupt erst auf die Idee.

Und der, der die Comedy da in dem Ort veranstalten will, sagt ihm auch gleich mal, wo der Hammer hängt: "Das muss aus dir rauskommen und nicht aus deiner Frau", blafft er Kai Peter an. Ermutigen ist was anderes …

(lacht) Den spielt mein Kumpel Sascha Geršak – der ist eine Wucht. Aber kein klassischer Coach, eher ein impulsives Urvieh. Er hat die Weisheit vielleicht nicht mit dem Löffel gegessen, aber er kann differenzieren. Und Kai Peter mag das Ehrliche, damit kann er umgehen. Er stammt noch aus einer Generation, die mit direkter, manchmal auch sehr harter Kritik groß geworden ist.

Können andere Generationen, vor allem jüngere, das deiner Ansicht nach nicht?

Ich glaube, die junge Generation kann sehr gut mit Wahrhaftigkeit umgehen – nur eben nicht mit so einer harten Keule wie die vom Coach, aber ich will das besser gar nicht pauschalisieren. Viele sind es einfach gewohnt, sich ins Handy zurückzuziehen, Konflikten eher aus dem Weg zu gehen – das hat sicher auch mit der Corona-Zeit zu tun. Da hatten wir intensive Phasen, aber kaum echte Begegnungen. Da lernt man Konfliktlösung eben nicht. Jüngere mögen das Ruppige nicht so, sie sagen das auch klar. Finde ich gut. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir aufeinander achten. Ich denke, daran erinnert der Film im besten Sinne freundlich.

Der Film ist harter Tobak, aber auch zart … Wie bist du darauf gekommen?

Kai Peter ist auf mich zugekommen, über Bekannte. Ich habe sein Buch gelesen und fand das Thema sehr stark. Ich habe schon überlegt, ob ich dieses hochsensible Thema wirklich tragen kann – mit einem Film beschäftigt man sich lange, und auf eine Art begleitet es einen ein Leben lang. Aber ich fand es extrem spannend und bin sehr froh, den Beitrag geleistet zu haben.

Du hast bereits einen Preis gewonnen für "Tod meiner Jugend" …

Ja, in New York – den Großen Preis der Jury, und der Preis als bester Schauspieler ging an mich. Und bei der Weltpremiere in Richmond den Hauptpreis für das beste Drehbuch. Das ist eine schöne Anerkennung und hilft, etwas über gewisse Unsicherheiten hinweg. Ich wollte eigentlich hinfliegen, aber ich war zu Dreharbeiten in Brüssel, das hat leider nicht gepasst.

Du hast ein ganz schön krasses Programm gerade: Dieser Film, dann direkt davor "Hochstapler und Ponys", Drehbuchautor, Produzent, Hauptdarsteller, Dreh in Brüssel …

Ja, aber besser als Stillstand (lacht). Diese Personalunion macht vieles einfacher. Ich mag Teamarbeit – Film ist am Ende immer ein großes Team –, aber in der Entwicklung ist das manchmal ganz gut, Dinge selbst zu steuern. Es war auch vieles noch ungewiss, und gleichzeitig musste es schnell gehen. Also habe ich es einfach gemacht. Ich bin diesen Workflow gewohnt, und manchmal spart man sich dadurch sogar Energie.

Deinen Film-Sohn finde ich extrem berührend …

Ja, und das Beste ist: Er ist der echte Sohn von Kai Peter. Das verleiht dem Ganzen natürlich eine besondere Authentizität. Der kennt viele Situationen, zum Beispiel diesen Handwaschzwang, und das ist wirklich tough. Dass sie ihre Themen so innerhalb der Familie aufarbeiten, finde ich außergewöhnlich mutig. Rein intuitiv sind da schon Bahnen gelegt, weil er diese Dinge aus der Realität kennt.

Es kommt sehr ehrlich und authentisch rüber, vielleicht, weil die jetzige Generation eben so tickt und die ältere Generation mit gewissen Dingen ganz anders umgeht. Heute ist man viel offener, früher hat man mehr weggedrückt.

Mir fällt positiv auf, dass junge Leute sich heute nicht alles gefallen lassen – das finde ich stark. Sie können sich gut artikulieren. Aber eines bleibt gleich: Den einen liegt emotionale Intelligenz, den anderen weniger – das war immer so und wird auch so bleiben. Und wenn ich eines vorwegnehmen darf: Der Film endet hoffnungsvoll und poetisch.

Der Cast ist herrlich. Der kleine Junge ist super, Silas, und Detlev Buck. Nadeshda Brennicke ganz natürlich und handfest. Auch Katy Karrenbauer, in Blond – sie wirkt ganz anders, so verletzlich.

Das war ihre Idee. Fand ich großartig.

Premiere war schon in Hof …

… und der Starttermin wird noch bekannt gegeben.

Dein nächstes Projekt spielt in einem amerikanischen Waschsalon – "Happy Laundry" …

Ja, das ist eine Begegnungsstätte: Da gibt es Ponys zum Streicheln, Stand-up-Comedy, und gleichzeitig wird aber auch die Einwanderercommunity durch ICE-Kontrollen zerrüttet. Man warnt sich dort gegenseitig vor Razzien. Und durch eine der Waschtrommeln – die etwas größer ist – gelangt man in einen versteckten Raum. Das wird abgefahren. Ich möchte Anfang 2026 mit kleinem Besteck drehen: kleines Team, schnell, flexibel, dynamisch.

Update Timo Jacobs: "Wir bereiten gemeinsam mit einer auf Filme zum Thema Missbrauch spezialisierten Verleihfirma eine gezielte Screening-Tour vor. Ziel ist es, Räume zu schaffen, in denen dieses schwierige Thema mit Feingefühl angegangen werden kann und Zuhören Teil des Heilungsprozesses wird. Wir arbeiten außerdem mit Berufsverbänden zusammen, damit Therapeut*innen an ausgewählten Vorführungen teilnehmen und bei Bedarf Unterstützung anbieten können."

Mit Timo Jacobs sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

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